Streit um ,,Florida-Effekt"

26.05.2013 (GWUP): Beeinflussen Dinge, mit denen man sich gedanklich beschäftigt hat,
im Nachhinein unbewusst unser Verhalten? Über diesen ,,Priming" genannten Effekt ist nun ein Streit entbrannt, wie die ,,Zeit" in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet.

Entzündet hatte sich der Streit, als Brüsseler Wissenschaftler versuchten, ein als ,,Florida-Effekt" bekanntgewordenes Ergebnis eines Experimentes von 1996 zu wiederholen. Damals mussten Testgruppen aus vorgegebenen Worten Sätze bilden. Eine Gruppe erhielt Alltagsbegriffe zur Auswahl, eine andere Begriffe, die man mit üblicherweise mit dem Alter in Verbindung bringt, etwa  Falte, grau, Glatze, vergesslich oder Florida (für Amerikaner offenbar ein Rentnerparadies). Dann mussten die Probanden durch einen Korridor in einen anderen Raum gehen. Dabei maß man die Schrittgeschwindigkeit, mit der die Versuchsteilnehmer durch den Gang liefen. Diejenigen, die mit dem Alter verbundene Begriffe zur Satzbildung verwendet hatten, liefen langsamer. Offenbar hatte die Beschäftigung mit den altersbezogenen Inhalten schon ihr Verhalten beeinflusst und den so genannten ,,Florida-Effekt" erzeugt. Nachdem  der Psychologe Stéphane Doyen  von der Université Libre de Bruxelles dieses Ergebnis nicht wiederholen konnte (hier das bei PlosOne veröffentlichte Abstract zur Studie)  ist ein Streit darüber entbrannt, wie zuverlässig derartige Forschungsergebnisse überhaupt sind. Doyen vermutet beispielsweise, dass die Versuchsleiter unwissentlich die Laufgeschwindigkeit der Probanden beeinflusst haben könnten, weil sie ein bestimmtes Ergebnis erwarteten (,,Experimenters could thus unwittingly have communicated their expectations to participants and influenced their walking speed.").Schützenhilfe erhält Doyen von einem britischen Kollegen, der ähnliche Ergebnisse bei Wiederholung von Priming-Versuchen erhielt, sowie von dem  amerikanischen Psychologen (und Wirtschafts-Nobelpreisträger) Daniel Kahnemann, der das ,,Priming" nicht generell anzweifelt, sondern in einem bereits im letzten Jahr u. a. vom Wissenschaftsmagazin ,,Nature" veröffentlichten Brief seine Sorge äußert, das populäre Forschungsfeld könnte durch widersprüchliche Studienergebnisse in Misskredit geraten. Wer sich während seines Studiums beispielsweise mit diesem Thema befasst habe, könne später bei der Jobsuche Schwierigkeiten haben. Deshalb fordert er, mehrere dieser Versuche von  fünf verschiedenen Instituten wiederholen zu lassen - und dann erst ein endgültiges Urteil zu fällen.
Kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch, dass kleine Studien mit scheinbar spektakulären Ergebnissen schnell publiziert und weit verbreitet werden, Wiederholungsstudien, deren Ergebnisse populären Studien widersprechen, jedoch kaum Beachtung finden oder möglicherweise gar nicht erst veröffentlicht werden. Dadurch wird eine Kontrollmöglichkeit bei gefälschten oder fehlerhaften Erststudien  vernachlässigt. Dies hatte bei einer Studie, bei der angeblich PSI-Effekte nachgewiesen wurden, im letzten Jahr dazu geführt, dass der Wissenschaftler Christopher French seine (diese Ergebnisse nicht bestätigende) Untersuchung erst nach zahlreichen Absagen bei psychologischen Fachmagazinen bei PlusOne veröffentlichen konnte - genau dem Online-Journal, das nun auch die Arbeit von Stéphane Doyen publizierte. Außerdem wurden schon einige Projekte initiiert, die sich mit der Replikation bekannter Studien befassen, so die Reproducibilty Initiative, die die Kollegen von SciLogs bereits vorgestellt haben.

Wie der Streit ausgeht, müssen die Fachleute entscheiden. Was neue Versuche für spannende Ergebnisse bringen, wird sich zeigen. Falls Sie nach der Lektüre dieses Artikels (und der ausführlichen Darstellung in der ,,Zeit", auf die wir ausdrücklich verweisen) die Berichte über manche wissenschaftlichen Studien skeptischer betrachten, könnte das ja schon mal ein Hinweis sein, dass das ,,Priming" funktioniert.


Holger von Rybinski

Schramm, Stefanie: Ein einmaliges Ergebnis. In: ,,Die Zeit", 23.05.2013.