Dass doch sein darf, was nicht sein kann
oder: Durchmarsch auf homöopathisch
Udo Endruscheit
oder: Durchmarsch auf homöopathisch
Udo Endruscheit
Die MedUni Wien hatte aufgrund der Untersuchungsergebnisse von INH / IWM die OAWI um eine Beurteilung des Vorgangs gebeten. Deren ausführliche Analyse kam zu dem Schluss, dass die zu den sensationellen Ergebnissen führenden Daten schlichtweg manipuliert sein müssen, eine Einschätzung, die sogar im OAWI-Jahresbericht 2022 dokumentiert wurdei (zu Anfrage A2021/10). INH / IWM drangen daher gemeinsam mit den genannten Institutionen seit langem auf eine Rücknahme der Studie durch den Oncologist, das veröffentlichende Fachjournal (siehe hierzu den Beitrag von Norbert Aust und Viktor Weisshaupl in Skeptiker 4/2022, S. 177 – 184).
Nach Vorliegen der OAWI-Analyse 2022 (allerdings mehr als ein Jahr nach Bekanntgabe der Kritik durch INH / IWM) rang sich der Oncologist dazu durch, die Studie mit einer Expression of Concern zu versehen, mit dem immerhin zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Ergebnisse möglicherweise nicht zuverlässig seien („may not be reliable“). Auch das liegt bereits zwei Jahre zurück, in denen es zahlreiche Eingaben sowohl an das Editorial Board des Journals als auch an die Herausgeberschaft (bis 31.12.2021 Wiley, ab 01.01.2022 Oxford University Press – OUP) mit dem Ziel gab, auf die Rücknahme der Studie zu drängen.
Sozusagen plötzlich und unerwartet kam nun im September 2024 Bewegung in die Sache, allerdings in eine unerwartete Richtung.
Das Journal erklärte nämlich nicht etwa ein Zurückziehen der Studie, sondern veröffentlichte eine zweite Korrekturii – und erwähnt dabei mit keiner Silbe die Kernvorwürfe der Datenmanipulation. Diese Korrektur spricht nur unwesentliche und teils zweifelhafte Details an und stammt zudem von den Studienautoren selbst, nicht von der Redaktion des Journals. Der Expression of Concern selbst ist nach wie vor auf der Journalseite veröffentlicht, allerdings hat der Oncologist in einer Stellungnahme für den Blog Retraction Watch bekundet, man habe „entschieden, dass eine Korrektur die angemessene Reaktion auf die vorgebrachten Bedenken ist. […] Die Korrektur und der Leitartikel sind die vollständige Antwort der Zeitschrift“ (auf die Kritik). Das versteht die Redaktion offensichtlich unter einer „eigenen Untersuchung“. Das genannte begleitende Editorial soll offenbar den Fortbestand der Studie im Journal legitimieren, zeigt allerdings unter anderem eine tiefgreifende Unkenntnis über Homöopathie, wenn es in wirkstofflosen Mitteln, wie sie auch in der Frass-Studie verwendet wurden, allen Ernstes Ansätze für Fortschritte in der Krebstherapie sieht. Ein klarer Rückschritt, gemessen daran, dass einige Journale in den letzten Jahren erklärt hatten, jedenfalls keine Studien mit homöopathischen Hochpotenzen mehr anzunehmen, und solche Studien auch ohne Umschweife zurückgezogen hatteniiiiv
Man kann es kaum anders formulieren: The Oncologist, bislang ein ernstzunehmendes wissenschaftliches Journal, riskiert durch sein Vorgehen – oder vielmehr: durch sein bewusstes Nichthandeln – schweren Reputationsverlust. Die Strategie des Oncologist bestand offenbar darin, die Beschwerdeführer hinzuhalten und dabei auf die Vergesslichkeit der Community zu hoffen. So richtig hat das allerdings nicht funktioniert – siehe etwa das Interview mit Edzard Ernst im Spiegel vom 27.05.2024 (Spiegel+).
Am Rande sei erwähnt, dass das Journal auf die Erklärung von fünf Mitautoren der Studie, dass sie ihre Beteiligung zurückziehen, binnen zwei Jahren nicht einmal geantwortet, geschweige denn die Veröffentlichung berichtigt hat. Damit hatten die Erklärungen der Mitautoren das gleiche Schicksal wie der „Letter to the Editor“ von INH / IWM aus dem Jahre 2021, mit dem zum ersten Mal dem Oncologist Bedenken gegen die Studie vorgetragen wurden: Dieser wurde in der gesamten Zeit vom Journal keinerlei Erwähnung, geschweige denn Veröffentlichung, gewürdigt. Übrigens war die Einreichung eines solchen „LTE“ seinerzeit noch kostenpflichtig.
Dieser Fall wirft zentrale Fragen zur wissenschaftlichen Redlichkeit und zur Publikationsethik auf, ganz unabhängig von der – entschiedenen – Frage zur spezifischen Wirksamkeit von Homöopathie. Bei der Frass-Studie handelt es sich um eine Publikation, die sich nach den Ergebnissen mehrerer unabhängiger Prüfungen gravierende Datenmanipulation vorhalten lassen muss, was gegen grundlegende wissenschaftliche Standards verstößt.
Besonders schwer wiegt, dass ein renommiertes Fachjournal wie The Oncologist trotz belegter Manipulationsvorwürfe und Anfragen hochrangiger wissenschaftlicher Institutionen „auf Zeit gespielt“ und offenbar zu keinem Zeitpunkt ein Zurückziehen der Studie ernsthaft erwogen hat. Der Oncologist hat drei Jahre, nachdem ihm die Vorhalte gegen die Studie erstmals bekannt gemacht wurden, die Kritik mit einer „Second Correction“ der Studienautoren selbst beantwortet und verzichtet auf eine unabhängige Überprüfung oder Klarstellung der Manipulationsvorwürfe. Diese Art der Reaktion steht nicht nur im Widerspruch zu den Prinzipien wissenschaftlicher Integrität, wie sie in den Richtlinien des Committee on Publication Ethics (COPE) festgelegt sind, sondern verlagert auch die Verantwortung fur Transparenz und wissenschaftliche Korrektheit der Publikation zurück auf die Verfasser – ein Unding. Das zusätzlich veröffentlichte Editorial zeigt, wie hier offenbar versucht wird, auf einem schmalen Grat zwischen Vermeidung einer Retraction und der Vernebelung des wissenschaftlichen (Un-)Wertes der Studie zu gehen. Der Verzicht auf eine Retraction trotz überwältigender Belege für wissenschaftliches Fehlverhalten signalisiert eine problematische Tendenz zur Akzeptanz fragwürdiger Forschungsergebnisse.
Eine Intervention bei COPE zum Umgang des Oncologist mit dem Vorgang erscheint daher mehr als angebracht, um dieses Vorgehen in Frage zu stellen und den Druck auf Verlage zu erhöhen, wissenschaftliche Integrität als oberstes Prinzip zu wahren. Eine solche wird in Kürze ergehen. Was bleibt, ist ein trauriges Bild, das das Vertrauen auf einen verantwortungsbewussten, wissenschaftlichen Publikationsprozess massiv untergräbt. Ein renommierter Verlag wie OUP beschädigt mit diesem Verhalten nicht nur die wissenschaftliche Integrität – er signalisiert, dass offenbar auch angesehene Teile der Community Manipulationen hinzunehmen bereit sind, selbst wenn es um Krebspatienten und ihre Angehörigen geht, die in ihrer Verzweiflung auf solche „Ergebnisse“ falsche Hoffnungen bauen konnten. Warum ein angesehenes Mitglied der Community wie der Oncologist so handelt, muss letztlich offenbleiben.
Udo Endruscheit
unterstützt das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) seit 2016 und ist einer seiner Sprecher. Als Autor klärt er in verschiedenen Blogs und Publikationen über Homöopathie und andere Pseudomedizin auf.
(Foto: Markus Endruscheit)
COPE, das Committee on Publication Ethics, ist eine 1997 gegründete internationale Organisation mit dem Ziel, wissenschaftliche Integrität in der Publikationspraxis zu fördern und ethische Standards für wissenschaftliche Zeitschriften und Verlage zu setzen. COPE bietet Richtlinien und Unterstützung für Herausgeber, Autoren und Institutionen, um sicherzustellen, dass wissenschaftliche Artikel auf transparente, faire und ethisch vertretbare Weise veröffentlicht werden.
COPE entwickelt Standards für ethisches Verhalten in der Forschungspublikation und setzt sich mit Problemen wie Plagiaten, Datenmanipulation, Interessenkonflikten und Verstößen gegen Publikationsrichtlinien auseinander. Zudem stellt COPE ein Netzwerk und Ressourcen zur Verfugung, damit wissenschaftliche Verlage, die Mitglieder sind, diese Standards effektiv umsetzen und schwierige Fälle losen können. Bei strittigen Fallen bietet COPE Empfehlungen, die Um- und Durchsetzung der Maßnahmen liegt aber bei den jeweiligen Institutionen und Verlagen.