Geschlecht
Die neuen Irrungen und Wirrungen um einen altbewährten Begriff
Dittmar Graf
Die neuen Irrungen und Wirrungen um einen altbewährten Begriff
Dittmar Graf
In einem Interview des Spiegel im August 2023 (Becker 2023) wurde die Soziologin Paula-Irene Villa Braslasky gefragt, wie sie den Begriff „Geschlecht“ definiere. Sie erwiderte: „Meine Standardantwort ist: Geschlecht ist eine biosoziale, kulturell bedeutete, historisch gewordene, kontextvariable, andauernd gemachte, träge, bedingt verfügbare Geschlechterdifferenzierung, die intersektional mit anderen sozialen Differenzen verbunden ist und Ungleichheit generiert.“
Diese Definition weist mehrere formale Schwächen auf, die ihre Klarheit und Verständlichkeit erheblich beeinträchtigen. Ein zentrales Problem ist die Zirkularität: Der Begriff „Geschlecht“ wird in der Begriffserklärung indirekt durch „Geschlechterdifferenzierung“ vorausgesetzt, was impliziert, dass das Definierte bereits verstanden sein muss. Dies untergräbt die Funktion einer Definition, einen Begriff klar zu erläutern. Darüber hinaus mangelt es der Definition an Präzision, da sie vage Formulierungen wie „kulturell bedeutete“ oder „historisch gewordene“ verwendet. Solche Ausdrücke bleiben unspezifisch und laden zu unterschiedlichen Interpretationen ein, anstatt das Konzept eindeutig zu klären. Der gewählte Duktus erschwert es, die genauen Merkmale oder den Kern des Begriffs „Geschlecht“ zu erkennen.
Ein weiteres Problem ist die Überkomplexität der Definition, die durch eine Aneinanderreihung zahlreicher Adjektive und Beschreibungen geprägt ist. Diese sprachliche Überfrachtung macht es schwierig, die zentralen Gedanken der Definition zu erfassen. Sie ist auch aus biologischer Sicht problematisch, da sie die biologische Grundlage des Begriffs nahezu vollständig ignoriert und stattdessen eine stark sozialwissenschaftliche und kulturtheoretische Perspektive einnimmt. Dies führt zu einer Vermischung von Sexus (biologisches Geschlecht) und Gender (soziale und kulturelle Dimensionen), ohne die Unterschiede zwischen ihnen herauszuarbeiten. Insgesamt fehlen der Definition sowohl logische Stringenz als auch sprachliche Präzision, was sie als Grundlage für eine sachliche Diskussion ungeeignet macht.
Als der Interviewer um eine einfachere Definition bat, hätte man eine didaktisch reduzierte Version ihrer Standarddefinition erwartet, aber die Soziologin formuliert eine gänzlich andere: „Geschlecht ist kein Ding an sich, es ist ein Prozess, an dem viele beteiligt sind. Geschlecht hat viel zu tun mit Biologie, aber die Biologie bestimmt Geschlecht nicht komplett. Genauso wenig wie die Gesellschaft und die Kultur das Geschlecht komplett bestimmen. Beide bedingen sich wechselseitig.“ Auch diese Definition weist deutliche Schwächen auf. Sie verfolgt einen anderen Begriffsinhalt, indem sie Geschlecht als „Prozess“ darstellt, bleibt dabei jedoch inhaltlich und formal unscharf.
Die Aussage, dass Geschlecht „kein Ding an sich“ sei, trägt wenig zur Klärung bei, da nicht deutlich wird, welche Mechanismen oder Ebenen diesen „Prozess“ ausmachen. Eine rein negative Abgrenzung – also zu sagen, was etwas nicht ist – genügt nicht, um den Sachverhalt inhaltlich präzise zu bestimmen. Zudem fehlt auch hier eine klare Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht.
Die angedeutete Wechselwirkung zwischen Biologie, Gesellschaft und Kultur wird nicht näher erläutert, was die Definition zusätzlich unpräzise macht. Auch die biologische Grundlage wird nur vage erwähnt. Der Begriff wird unnötig verkompliziert und bietet keine tragfähige Grundlage für eine sachliche Diskussion (s. Kasten 1). In wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskursen sind verworrene und unklare Definitionen, die Sexus und Gender vermischen, leider keine Seltenheit.
»Wenn Begriffe wage gehalten werden, fehlt eine überprüfbare Grundlage.«
Es liegt nahe zu vermuten, dass sie bewusst darauf abzielen, traditionelle oder biologische Geschlechtskonzepte zu dekonstruieren, um alternative Perspektiven zu etablieren. In gesellschaftlichen Debatten wird oft versucht, starre, binäre Vorstellungen von „männlich“ und „weiblich“ zu hinterfragen und durch fluide, kontextabhängige Modelle zu ersetzen. Noch häufiger jedoch wird in Diskussionen zum Thema Geschlecht gänzlich auf eine Definition verzichtet.
Dies zeigt sich beispielsweise in den Ausführungen von Robyn R. Ryle, (2023), die darüber nachdenkt, durch Definitionen erzeugte, starre Denkmuster aufzubrechen, um Raum für eine differenzierte, wandelbare Betrachtung von Geschlecht zu schaffen.
Dies ist problematisch, da in der Wissenschaft auch für komplexe und fluide Begriffe verständliche und präzise Definitionen angestrebt werden sollten. Schließlich sind dynamische Konzepte in der Wissenschaft keine Ausnahme, sondern die Regel. Keine wissenschaftliche Realdefinition (s. Kasten 1) erhebt Anspruch auf eine „letzte Wahrheit“, da wissenschaftlich-empirisches Wissen stets im Fluss ist und durch neue Erkenntnisse weiterentwickelt wird.
Das Vermeiden von Definitionen im wissenschaftlichen Diskurs kann zudem als eine Strategie aufgefasst werden, die eigenen Vorstellungen gegen Kritik zu immunisieren. Wenn Begriffe vage gehalten werden, fehlt eine überprüfbare Grundlage, die eine sachliche Auseinandersetzung ermöglichen würde. Dadurch wird Kritik nicht inhaltlich beantwortet, sondern oft als missverständlich oder als Angriff auf eine vermeintliche Offenheit der Debatte dargestellt. Ein solches Vorgehen gefährdet jedoch nicht nur die wissenschaftliche Integrität, sondern auch die Möglichkeit eines konstruktiven und faktenbasierten Dialogs.
Im Folgenden wird der Geschlechtsbegriff aus biologischer Sicht explizit geklärt und damit von sozialwissenschaftlichen Konzepten wie „Gender“ abgegrenzt, um eine sachlich fundierte Basis für weiterführende Diskussionen zu schaffen (s. Kasten 2). In der Biologie werden funktionale Definitionen beschreibenden Ansätzen grundsätzlich vorgezogen, da sie ein präziseres und umfassenderes Verständnis biologischer Phänomene ermöglichen. Strukturelle Merkmale eines Organismus sind dabei Ausgangspunkt, entscheidend ist jedoch deren funktionale Einbindung in biologische Prozesse.
Kasten 1: Bedeutung von Definitionen für die wissenschaftliche Kommunikation
Klare und präzise Definitionen bilden die unverzichtbare Grundlage jeder wissenschaftlichen Diskussion und effektiven Kommunikation. Sie schaffen einen eindeutigen Rahmen, der die Analyse wissenschaftlicher Konzepte und den fundierten Austausch von Argumenten ermöglicht. Definitionen sollten den Begriffsinhalt – das heißt die gemeinsamen Merkmale der Begriffsvertreter – präzise erfassen und den Begriffsumfang – also die Gesamtheit der Begriffsvertreter – umfassend abbilden (vgl. Abb. 2). Dabei sollten sie einfach sowie allgemeinverständlich formuliert sein. Ohne verständliche Definitionen entstehen zwangsläufig Missverständnisse, fehlerhafte Schlussfolgerungen und ein unproduktives Aneinander-Vorbeireden. Besonders in kontroversen Themenbereichen wie „Geschlecht“ sind genaue Begriffsbestimmungen unverzichtbar. Eine klare Definition hilft, Unterschiede im Begriffsverständnis zwischen biologischen, sozialen oder kulturellen Kontexten zu verdeutlichen und den Gedankenaustausch auf eine solide Basis zu stellen.
Bei der Definition des biologischen Geschlechts handelt es sich um eine Realdefinition. Diese bestimmt einen Begriff, indem sie wesentliche, prüfbare und unveränderliche Eigenschaften seiner Bezugsobjekte benennt, die diese von anderen unterscheiden. Realdefinitionen können und sollten angepasst werden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden – aber nur dann. Bekannte Beispiele für die Veränderungen in Definitionen durch Erkenntnisfortschritt sind „Atom“ oder „Gen“.
Dieses Prinzip findet auch bei der Definition des biologischen Geschlechts Anwendung: Maßgeblich ist die reproduktive Funktion eines Individuums – konkret seine Beteiligung an der sexuellen Fortpflanzung. Diese Definition ist unabhängig von rechtlichen, sozialen oder kulturellen Kategorien und basiert auf dem zentralen, bei sämtlichen Tier- und Landpflanzenarten auftretenden biologischen Prinzip der Anisogamie (s. Abb. 1 und Kasten 2): dem Vorhandensein zweier unterschiedlich spezialisierter Keimzellen (Gameten). Daraus ergibt sich, dass aus biologischer Sicht zwei Geschlechter unterschieden werden – weiblich und männlich –, definiert über das Potenzial zur Produktion großer, unbeweglicher Gameten (Eizellen) bzw. kleiner, beweglicher Gameten (Spermien bei Tieren bzw. Spermazellen bei Pflanzen (1)) (s. Kasten 2). Die Definition hat ihren Ursprung in Forschungen und Überlegungen von E. Strasburger (Botanik) und A. Weismann (Zoologie) Ende des 19. Jahrhunderts. Bereits im Jahr 1906 findet sich in einem Konversationslexikon eine entsprechende Erklärung des Begriffs „Geschlecht“ (Brockhaus 2001): „… im engeren Sinne (Sexus) der Gegensatz der Zeugungsverhältnisse (das weibliche Ei und der männliche Same)“. Diese Definition ist im Kern immer noch gültig und ist bis heute die einzig sinnvolle Definition für das biologische Geschlecht. Sie war über viele Jahrzehnte auch in der gesellschaftlichen Debatte unumstritten.
Die beiden Gameten, die jeweils nur einen einfachen Chromosomensatz haben, verschmelzen bei der Befruchtung. Das Spermium dringt in die Eizelle ein und kombiniert seine DNA mit der DNA der Eizelle. Die befruchtete Eizelle (Zygote) besitzt so – wie jede Körperzelle – einen doppelten Chromosomensatz. Jeder der beiden Fortpflanzungspartner liefert dabei die Hälfte des genetischen Materials.
»Aus biologischer Sicht unterscheidet man zwei Geschlechter.«
Durch diesen Mechanismus wird die Anzahl der Chromosomen konstant gehalten. Er hat sich evolutionär als herausragend erfolgreich erwiesen, da er eine effiziente Kombination unterschiedlicher genetischer Informationen ermöglicht. Die resultierende genetische Variation erhöht die Vielfalt innerhalb einer Population und dient als zentraler Motor der Evolution, da sie Anpassungen an veränderte Umweltbedingungen erleichtert. Ohne die geschlechtliche, genauer, zweigeschlechtliche Fortpflanzung wäre die Entstehung vielzelliger, komplexer Organismen kaum denkbar.
Anisogamie ist vermutlich in verschiedenen evolutionären Linien mehrfach unabhängig aus isogamen Vorformen hervorgegangen. Dies unterstreicht ihre hohe Anpassungsfähigkeit und ihren evolutionären Erfolg in unterschiedlichen ökologischen und reproduktiven Kontexten. Die Entwicklung wird als Reaktion auf Selektionsdrücke interpretiert, die eine effizientere Ressourcennutzung sowie eine größere genetische Vielfalt in der Fortpflanzung begünstigten.
Die Unterschiede zwischen den beiden Gametentypen sind in der Regel signifikant. Eizellen sind typischerweise deutlich größer als Spermien und werden in wesentlich geringerer Anzahl produziert. Beim Menschen ist das Volumen einer Eizelle etwa 8000-mal größer als das eines Spermiums, sie ist damit die größte Zelle im menschlichen Körper. Während ein Mann täglich über 100 Millionen Spermien produziert, reifen bei einer Frau im Laufe ihres Lebens maximal 500 Eizellen heran.
Über mehr als eine Milliarde Jahre hinweg hat sich im Pflanzen- und Tierreich kein weiteres Geschlecht etabliert. Dies deutet darauf hin, dass eine Erweiterung der binären Geschlechterstruktur entweder keinen evolutionären Vorteil bietet oder gar mit Nachteilen verbunden ist. Mathematische Modelle von Lehtonen und Parker (2014) konnten die in der Natur beobachteten Muster der Anisogamie erfolgreich reproduzieren. Die Simulation ergab, dass die Selektion zwei Strategien bevorzugt: die Produktion vieler kleiner, hochmobiler Gameten (männlich) und die Produktion weniger großer Gameten (weiblich). Johow und Voland (2012) argumentieren zusätzlich, dass die Zweigeschlechtlichkeit den Aufwand für die Partnerwahl und die Keimzellenproduktion effizient auf die beiden Geschlechter verteilt. Ein drittes Geschlecht oder ein alternatives System hätten im Vergleich dazu keine stabilen Vorteile und könnten sich daher evolutionär nicht durchsetzen.
Die in der Biologie universell gültige Definition anhand des Typs der Gameten, die ein Organismus potenziell bilden kann, ermöglicht eine konsistente und fachlich eindeutige Bestimmung und sollte konsequent als „biologische Geschlechtsdefinition“ bezeichnet werden (s. Kasten 2 und Tabelle 1). Sie ist eng an der biologischen Funktion der Fortpflanzung orientiert und spiegelt grundlegende evolutionäre Entwicklungen wider. Sie gilt ferner unabhängig von äußeren Erscheinungsformen, genetischer Ausstattung oder hormoneller Regulation und ist auf alle Organismengruppen anwendbar – ob Landpflanzen, Tiere oder den Menschen, der biologisch der Säugetierordnung der Primaten angehört. Die Evolutionsbiologin Joan Roughgarden (2004, S. 23, eigene Übersetzung) fasst dies prägnant zusammen: „Für einen Biologen bedeutet ‚männlich‘, kleine Gameten zu produzieren, und ‚weiblich‘, große Gameten zu produzieren. Punkt! … Abgesehen von der Größe der Gameten erkennen Biologen keinen weiteren universellen Unterschied zwischen männlich und weiblich an“.
Den Gameten eines hypothetischen dritten oder vierten Geschlechts müsste eine eigenständige, funktional klar definierte Rolle bei der Zygotenbildung zukommen. Diese Gameten müssten komplementär mit den beiden existierenden Typen interagieren, um eine Zygote zu bilden. Ihre Existenz müsste evolutionäre Vorteile bieten, die sowohl die komplexen Mechanismen der Gametenkombination als auch die energetischen Anforderungen der Reproduktion übertreffen. Wie ein solches System aussehen könnte, ist schwer vorstellbar, da die bestehende binäre Struktur der Gametenproduktion sowohl energetisch effizient als auch evolutionsbiologisch stabil ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein drittes Geschlecht im Laufe der Phylogenese entstanden ist, ist also gering. Obwohl nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, dass in Zukunft eine unbekannte neue Rolle im Prozess der sexuellen Fortpflanzung entdeckt wird, bleibt dies spekulativ und bedarf wissenschaftlicher Belege. Bislang gibt es nicht die geringsten empirischen Hinweise auf ein solches System. Die Zweigeschlechtlichkeit bildet einen biologischen Angelpunkt der Evolution – als fundamentale Grundlage für die Vielfalt und Anpassungsfähigkeit des Lebens.
Kasten 2: Biologische Definitionen von „biologischem Geschlecht“, „männlich“ und „weiblich“. Die hier vorgeschlagenen Definitionen stellen fundierte Arbeitsgrundlagen dar und sind selbstverständlich offen für sachliche Kritik und Weiterentwicklung

Die sexuelle Fortpflanzung (s. Abb. 1) ist ein biologischer Prozess, bei dem zwei spezialisierte Fortpflanzungszellen, die sogenannten Keimzellen oder Gameten, miteinander verschmelzen und eine genetisch neue Zelle (Zygote) bilden. Diese Form der Fortpflanzung führt durch die Neukombination der Erbanlagen zu genetischer Vielfalt. Die isogame Fortpflanzung (Isogamie) zeichnet sich dadurch aus, dass die miteinander verschmelzenden Gameten gleich groß und morphologisch gleich gestaltet sind. Dennoch unterscheiden sie sich genetisch und physiologisch, was Selbstbefruchtung verhindert. Da keine morphologisch unterscheidbaren Geschlechter vorliegen, spricht man in diesem Zusammenhang von Paarungstypen. Isogamie tritt vor allem bei einfach aufgebauten Organismen wie Protisten, Pilzen und manchen Algen auf und gilt als evolutionär ursprünglich.
Demgegenüber steht die anisogame Fortpflanzung (Anisogamie), bei der sich die Gameten deutlich in Größe und Funktion voneinander unterscheiden, ein Prinzip, das für alle Tiere, Landpflanzen und viele Algenarten charakteristisch ist. Dabei entstehen zwei klar abgegrenzte Geschlechter: das weibliche Geschlecht, das relativ wenige, große, nährstoffreiche und meist unbewegliche Gameten (Eizellen) produziert, sowie das männliche Geschlecht, das in sehr großer Zahl kleine, bewegliche Gameten, die sogenannten Spermien, bildet. Geschlechter im biologischen Sinne treten also nur bei Organismen mit anisogamer Fortpflanzung auf. Hier liegen nicht nur zwei unterschiedlich spezialisierte und morphologisch unterscheidbare Gametentypen vor, sondern die Individuen, die diese Gameten bilden, unterscheiden sich entsprechend dem zu bildenden Gametentyp physiologisch und morphologisch. Bei isogamer Fortpflanzung hingegen handelt es sich um sexuelle Fortpflanzung ohne unterscheidbare Geschlechter. Es ergeben sich folgende Definitionen:
Das biologische Geschlecht (Sexus) eines Organismus wird durch dessen Ausrichtung auf die Produktion eines bestimmten Typs von Fortpflanzungszellen (Gameten) bestimmt. Unterschieden werden zwei klar voneinander abgrenzbare Formen: weibliche Makrogameten (Eizellen) und männliche Mikrogameten (Spermien).
Als weiblich gilt ein Organismus, dessen Individualentwicklung auf die Produktion von Makrogameten ausgerichtet ist. Als männlich gilt ein Organismus, dessen Individualentwicklung auf die Produktion von Mikrogameten ausgerichtet ist. Diese Definitionen gelten unabhängig davon, ob aktuell Mikro- oder Makrogameten gebildet werden bzw. heranreifen oder ob die dafür notwendigen Gameten erzeugenden Strukturen voll ausgebildet, vorübergehend inaktiv, krankheitsbedingt eingeschränkt, altersbedingt zurückgebildet oder entfernt sind. Entscheidend ist der zugrunde liegende entwicklungsbiologische Prozess, der im Normalfall zur Produktion eines dieser Gametentypen führt – auch wenn er in Ausnahmefällen nicht erfolgreich abgeschlossen wird oder es später zu den genannten Einschränkungen kommt.
Abb. 1. Formen sexueller Fortpflanzung. Bei Paarungstypen gibt es neben den dargestellten weitere Bezeichnungen, etwa Typ I und Typ II. Entscheidend ist, dass jeweils zwei Partner zur Fortpflanzung zusammenkommen.
„Gender“ rückt den Menschen in den Mittelpunkt (2) der Betrachtung und beschreibt die sozialen, kulturellen und psychologischen Dimensionen von Geschlecht. Es umfasst die Geschlechtsidentität – das individuelle Empfinden eines Menschen in Bezug auf sein Geschlecht – sowie gesellschaftlich geprägte Rollen, Erwartungen und Normen. Aus dieser Perspektive kann es sinnvoll sein, von einem Spektrum oder mehr als zwei Geschlechtern zu sprechen, da Gender stark von individuellen und kulturellen Faktoren geprägt ist.
In der öffentlichen Diskussion und in vielen Definitionsversuchen (s. o.) wird häufig keine klare Trennung zwischen Gender und biologischem Geschlecht vorgenommen. Dies führt zu Mehrdeutigkeitsfehlern, etwa wenn biologisch fundierte Aussagen über das biologische Geschlecht fälschlicherweise als Aussagen über Geschlechtsidentität interpretiert werden. Umgekehrt wird gelegentlich das biologische Geschlecht verzerrt dargestellt, etwa durch die Behauptung, dass die binäre Grundlage des Sexus durch Gender-Identitäten widerlegt werde. Solche Fehlschlüsse können die Diskussion emotional aufladen und dazu beitragen, dass biologische Fakten moralisch herabgesetzt oder zur Diskriminierung bestimmter Gruppen missbraucht werden (s. u.).
Die biologische Geschlechtsdefinition (s. Kasten 2) ist weitaus allgemeingültiger als Definitionen, die sich auf äußere Merkmale, Hormonkonstellationen oder Chromosomenmuster stützen (vgl. Tab. 1). Zwar korrelieren bei vielen Arten bestimmte Chromosomenkombinationen mit der Produktion spezifischer Gameten, doch ist diese Übereinstimmung weder universell noch zwingend. Die Verhältnisse variieren stark zwischen den Organismen, was Chromosomenmuster für eine einheitliche Definition ungeeignet macht. Bei Säugetieren tragen beispielsweise die Eizellen ein X-Chromosom, während Spermien entweder ein X- oder ein Y-Chromosom enthalten. Eine Ausnahme bilden die Kloakentiere, die ein komplexes System mehrerer Geschlechtschromosomen besitzen. Bei Vögeln hingegen verfügen alle Spermien über ein Z-Chromosom, während Eizellen entweder ein Z- oder ein W-Chromosom tragen. Andere Arten nutzen völlig andersgeartete Systeme zur Geschlechtsbestimmung: So wird das Geschlecht bei einigen Reptilien durch die Temperatur während der Brutzeit bestimmt, während bei bestimmten Fisch- und Schneckenarten die soziale Umgebung eine entscheidende Rolle spielt. Bei Hautflüglern wie Bienen, Ameisen und Wespen hingegen hängt die Geschlechtsentwicklung von der Befruchtung ab: Männchen entstehen aus unbefruchteten Eizellen, während Weibchen aus befruchteten Eizellen hervorgehen.
Die hormonelle Definition von Geschlecht, die sich auf die Konzentration und Art von Geschlechtshormonen wie Testosteron und Östrogen stützt, ist aus mehreren Gründen ungeeignet. Ein Hauptproblem ist die erhebliche Variabilität der Hormonspiegel innerhalb der Geschlechter.
So sinkt beispielsweise der Östrogenspiegel bei Frauen nach der Menopause deutlich, ohne dass sich ihr biologisches Geschlecht ändert. Ebenso können Männer mit hormonellen Störungen niedrige Testosteronwerte aufweisen, ohne dass dies ihr biologisches Geschlecht beeinflusst. Zudem überschneiden sich die Hormonwerte von Männern und Frauen häufig, insbesondere bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung wie der Androgenresistenz (s. u.). Diese Dynamik und Kontextabhängigkeit der Hormonspiegel – beeinflusst durch Lebensphasen, Umweltfaktoren oder physiologische Zustände wie Schwangerschaft oder Stress – machen Hormone zu einer unscharfen Grundlage für die Geschlechtsdefinition. Hinzu kommt, dass viele Arten, insbesondere Pflanzen und bestimmte Wirbellose, keine Geschlechtshormone zur Geschlechtsdifferenzierung nutzen.
Auch die phänotypische Definition von Geschlecht, die auf der Betrachtung morphologischer Merkmale basiert, ist aufgrund ihrer Variabilität, Überlappung, Veränderlichkeit und ihrer fehlenden universellen Anwendbarkeit ungeeignet.
| Art der Geschlechtsfeststellung und Name der Definition | Kritische Merkmale |
|---|---|
| Biologische | Gameten |
| Chromosomale | Geschlechtschromosomen |
| Hormonelle | Geschlechtshormone |
| Phänotypische | Morphologie: primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale |
| Osteologische | Skelett (beim Menschen Becken-, Schädelknochen) |
Entscheidend ist, sich bewusst zu machen, dass alle in diesem Abschnitt beschriebenen Merkmale letztlich „Hilfsstrukturen“ sind, die in der Organismenwelt in unüberschaubarer Vielfalt auftreten, um den zentralen biologischen Zweck der sexuellen Fortpflanzung zu unterstützen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, die Effizienz der Reproduktion zu optimieren. Der eigentliche Kern bleibt jedoch der oben beschriebene Prozess der Verschmelzung von Mikro- und Makrogameten, der – man kann es nicht oft genug wiederholen – die einzige angemessene Grundlage für die Definition des biologischen Geschlechts darstellt.

Sonderfälle wie genetische Abweichungen oder intersexuelle Merkmale, die bei Menschen und anderen Organismen auftreten können, widerlegen die binäre Natur des biologischen Geschlechts nicht. Genetische Variationen wie das Klinefelter- (XXY, zwei X- und ein Y-Chromosom) oder das Turner-Syndrom (XO, ein X-Chromosom) beeinflussen zwar die Chromosomenzusammensetzung und können die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, ändern jedoch nichts an der grundlegenden Unterscheidung der Geschlechter auf Basis der Gametenproduktion. Personen mit solchen Abweichungen lassen sich entweder als männlich oder weiblich einordnen oder gelten aus funktionaler Sicht als unklassifizierbar. Diese Variationen verdeutlichen die Vielfalt innerhalb der binären Kategorien, schaffen aber keine neuen biologischen Geschlechter.
Ein weiteres Beispiel ist das Androgenresistenzsyndrom, bei dem Personen mit einem XY-Chromosomensatz eine weibliche Geschlechtsanlage entwickeln. Hier reagieren die Körperzellen nicht auf männliche Hormone (Androgene). Betroffene sind phänotypisch weiblich, verfügen aber über keine inneren weiblichen Fortpflanzungsorgane, wie Ovarien, Eileiter oder eine Gebärmutter.
Beim Menschen wird gelegentlich fälschlich von „Zwittern“ gesprochen. In der Biologie bezeichnet dieser Terminus Organismen, die sowohl Eizellen als auch Spermien produzieren können, was bei Säugetieren nicht vorkommt – wohl aber beispielsweise bei Schnecken, Fischen oder den meisten Pflanzen. Dennoch bleibt auch hier die binäre Natur der Gametenproduktion erhalten, da sie je nach reproduktivem Kontext nur männliche und/oder weibliche Gameten produzieren (s. Abb. 2). Auch die Drohnen bei Hautflüglern (s. o.) stellen das binäre System nicht infrage, da sie ausschließlich Spermien produzieren und somit dem männlichen Geschlecht zugeordnet sind.
Auch andere Sonderfälle, wie beispielsweise Individuen, deren Körperzellen ein Mosaik aus unterschiedlichen Geschlechtschromosomen aufweisen, ändern nichts am grundlegenden Prinzip der biologischen Zweigeschlechtlichkeit. Aus biologischer Sicht gibt es kein „Entrinnen“ aus dieser Binarität.
Es ist irritierend, wenn behauptet wird, die Zweigeschlechtlichkeit sei in der Biologie überholt, wie es beispielsweise der Biologe und Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß (2018) nahelegt. Zwar betont er zutreffend, dass die Geschlechtsentwicklung ein komplexer und interaktiver Prozess ist, bei dem genetische, hormonelle und umweltbedingte Faktoren dynamisch zusammenwirken. Auch zeigt die Forschung in Bereichen wie Epigenetik und Systembiologie, dass die Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen vielfältig und variabel sein kann. Alle diese Aussagen ändern jedoch nichts an der fundamentalen binären Grundlage des biologischen Geschlechts.
Von Voß wird eine Geschlechtsdefinition angegriffen, die zwar im Alltag oft verwendet wird, aber nicht der biologischen Definition entspricht. Die Variationen betreffen lediglich die Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen und fallen in den Bereich biologischer Vielfalt innerhalb der beiden Kategorien „männlich“ und „weiblich“. Dies wurde oben schon erörtert.
Gelegentlich wird argumentiert, dass es unter Biologen Uneinigkeit über die Definition von Geschlecht gebe, da verschiedene Ebenen betrachtet werden können – etwa Chromosomen, Hormone oder Geschlechtsmerkmale. Diese Perspektiven sind jedoch keine alternativen Ansätze, sondern ergänzen die biologische Definition und stehen nicht im Widerspruch zu ihr.
Die ebenfalls vertretene Behauptung, Zweigeschlechtlichkeit sei willkürlich und könne beliebig aufgegeben werden, ignoriert die Tatsache, dass dieses Konzept unmittelbar aus der Beobachtung natürlicher Prozesse abgeleitet ist.
Viele Verfechter der biologischen Vielgeschlechtlichkeit berufen sich auf die Wissenschaftsjournalistin und Biologin Claire Ainsworth (2015), die in der renommierten Fachzeitschrift Nature einen viel beachteten Artikel mit dem Titel „Sex redefined“ veröffentlicht hat. In diesem Beitrag setzt sie sich mit der Komplexität der Geschlechtsentwicklung auseinander und beschreibt die Vielfalt genetischer, hormoneller und anatomischer Variationen. Sie betont, dass Geschlecht ein Spektrum darstellt, und erläutert verschiedene Formen von intersexuellen Zuständen sowie genetische Mosaikformen und Chimären. Dabei wird der Einfluss von Genen, Hormonen und molekularen Mechanismen auf die Geschlechtsentwicklung detailliert dargestellt. Aus fachlicher Sicht ist an ihren Ausführungen im Prinzip nichts auszusetzen.
Kritisch zu bewerten ist jedoch, dass Ainsworth die fortpflanzungsbiologische bzw. evolutionäre Perspektive ausblendet. Dadurch wirkt der Titel des Artikels irreführend. Ihr Beitrag trägt zu Verunsicherungen bei und öffnet Raum für Fehlinterpretationen sowie spekulative Deutungen. Allerdings ist anzumerken, dass Ainsworth später in einem Tweet Klarstellung schaffte, indem sie schrieb: „Two sexes, with a continuum of variation in anatomy/physiology“.
Ein erhebliches Problem besteht darin, dass Aussagen, die die biologische Zweigeschlechtlichkeit infrage stellen oder als überholt darstellen, von interessierten Kreisen immer wieder aufgegriffen und unreflektiert öffentlich verbreitet werden. Ein Beispiel hierfür ist die Berichterstattung in populärwissenschaftlichen Formaten wie Quarks & Co. („Junge oder Mädchen?“, Sendung vom 10.04.2018) oder Mai-Think X („Wie viele Geschlechter gibt es?“, Sendung vom 27.11.2022). Solche Plattformen spielen eine bedeutende Rolle bei der Wissensvermittlung für ein breites Publikum, doch die irreführende Darstellung grundlegender biologischer Sachverhalte trägt dazu bei, Missverständnisse und falsche Vorstellungen zu festigen und wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse infragezustellen.
Noch weiter geht eine gesellschaftspolitische Strömung, die den Primat der Biologie bei der Bestimmung des Sexus infrage stellt. Vertreter wie Judith Butler (1991) oder der bereits erwähnte Heinz-Jürgen Voß argumentieren, dass das soziale Geschlecht die Biologie überlagere oder sogar bestimme. Biologische Merkmale wie Gameten, Chromosomen, Hormone und anatomische Unterschiede werden dabei als nachrangig betrachtet oder rein kulturell interpretiert. Butler vertritt die Ansicht, dass Geschlecht nicht unabhängig von kulturellen Bedeutungen existiere und als diskursives Konstrukt verstanden werden solle.
Auch die Biologin und Geschlechterforscherin Anne Fausto-Sterling (2020) fordert, Geschlecht neu zu überdenken und als fluide, kontextabhängige Konstruktion zu betrachten, anstatt sie als biologische Tatsache zu sehen. Zu diesen Stimmen gesellen sich weitere Wissenschaftler und Aktivisten, die Ähnliches vertreten.
Zunehmend wird die Behauptung vertreten, dass das Geschlecht eines Neugeborenen lediglich „zugewiesen“ werde. Dies suggeriert, dass es sich um einen willkürlichen Akt ohne objektive Grundlage handele (4). Dabei wird übersehen, dass sich das biologische Geschlecht eines Individuums bereits in der Embryonalentwicklung herausbildet. Bei der Geburt wird der Sexus in der Regel anhand der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale festgestellt – ein Prozess, der mit größter Sorgfalt und unter Berücksichtigung medizinischer sowie biologischer Kriterien erfolgt (sog. Hebammengeschlecht). Es handelt sich hierbei also um das Identifizieren des biologischen Geschlechts anhand phänotypischer Merkmale und nicht um eine willkürliche Zuweisung.
Im Gegensatz dazu wird Gender tatsächlich zugewiesen: Rollen, Erwartungen oder Identitäten sind gesellschaftlich und kulturell geprägt und variieren je nach Zeit und Milieu. Die Gleichsetzung dieser unterschiedlichen Konzepte (s. o.) ist nicht nur irreführend, sondern auch verächtlich gegenüber den Fachpersonen, die die Identifizierung des biologischen Geschlechts mit großer Verantwortung und Expertise vornehmen.
Die sozialkonstruktivistischen Positionen zum biologischen Geschlecht beruhen auf einem fehlerhaften Denkansatz, der im Kern als magisches Denken bezeichnet werden kann. Der Glaube, dass soziale Normen oder individuelle Wünsche biologische Tatsachen verändern könnten, führt zu einer grundlegenden Verwechslung von „Sollen“ und „Sein“ und stellt einen idealistischen Fehlschluss dar. Dabei wird ausgeblendet, dass biologische Prozesse – wie die Produktion von Makro- und Mikrogameten – objektive, empirisch feststellbare Tatsachen sind, die unabhängig von kulturellen Deutungen, Diskursen oder menschlichen Kategorisierungen existieren.
Derartige Ansätze unterstellen, dass der Mensch sich von seiner Biologie gelöst habe – eine aus evolutionärer Sicht völlig unhaltbare Annahme. Sie verkennt, dass der Mensch biologisch keine Sonderstellung einnimmt, sondern wie jedes andere Lebewesen tief in jene evolutionären Prozesse eingebettet ist, die seine Existenz und Fortpflanzung bestimmen. Die Vorstellung, das biologische Geschlecht könne nach Belieben gewählt werden, ignoriert zudem, dass zahlreiche kulturelle und soziale Strukturen zumindest teilweise auf einer biologischen Grundlage aufbauen. Kulturelle Vielfalt und soziale Konstruktionen stehen häufig nicht im Widerspruch zu biologischen Prinzipien, sondern ergänzen sie. Sie sind Ausdruck menschlicher Anpassungs- und Innovationsfähigkeit, beruhen jedoch weiterhin auf den gleichen evolutionären Mechanismen, die alles Leben auf der Erde prägen.
Erfahrungswissenschaften wie die Biologie sind ihrem Wesen nach darauf ausgerichtet, die Welt so zu beschreiben und zu erklären, wie sie ist – nicht, wie sie sein sollte. Die biologische Definition von Geschlecht trifft keine normativen Aussagen darüber, wie Menschen ihre Geschlechtsidentität erleben oder ausleben oder welche gesellschaftlichen Strukturen wünschenswert sind. Sie bietet lediglich eine fundierte Grundlage, auf der weiterführende soziale, kulturelle und politische Diskussionen aufbauen können. Versuche, diese biologischen Fakten durch ideologische oder politische Narrative zu ersetzen, führen nicht zu einer veränderten Realität, sondern zu einer Verfälschung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die wissenschaftliche Darlegung biologischer Fakten ist weder menschenverachtend noch diskriminierend und richtet sich auch nicht gegen Transpersonen oder andere „queere“ Identitäten.
Trotz dieser sachlichen Neutralität wurden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die die biologische Geschlechtsbinarität gegen sozialkonstruktivistische Faktenleugnung verteidigen, wiederholt diffamiert und waren Opfer von Mobbing oder Cancel Culture. Ein prominentes Beispiel ist die Philosophin Kathleen Stock, Autorin eines Buchs, in dem sie darlegt, dass die biologische Realität von Geschlecht eine zentrale Rolle in feministischen Debatten spielen muss (Stock 2022). An der University of Sussex, wo sie eine Professur innehatte, wurde sie massiv angefeindet. Obwohl sie sich ausdrücklich von jeglicher Diskriminierung distanzierte, wurde sie öffentlich als transfeindlich verunglimpft und schließlich zum Rücktritt gedrängt.
Ein weiteres Beispiel ist die Biologin Carole Hooven – Autorin eines Buchs über das männliche Geschlechtshormon Testosteron (Hooven 2022) –, die nach Äußerungen zur biologischen Definition von Geschlecht mit harscher Kritik und dem Vorwurf der Transphobie überhäuft wurde. Aufgrund mangelnder Unterstützung für ihre wissenschaftlich fundierten Positionen hat sie ihre Lehrtätigkeit an der Harvard University inzwischen aufgegeben. Auch die deutsche Biologin Marie-Luise Vollbrecht wurde Ziel schwerer Anfeindungen, nachdem sie einen wissenschaftlichen Vortrag über die biologische Geschlechtsbinarität angekündigt hatte (siehe auch Vollbrechts Vortrag auf der SkepKon 2025).
»Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen sich gezwungen, ihre Stimme zu erheben, um grundlegende wissenschaftliche Fakten klarzustellen.«
Derartige Angriffe – die hier nur exemplarisch stehen – verdeutlichen, dass es heute kaum noch möglich ist, wissenschaftliche Fakten in hochpolitisierten Debatten zu vertreten, ohne ideologische Fehlinterpretationen oder persönliche Anfeindungen zu riskieren.
Inzwischen haben sich renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, insbesondere aus der Biologie, öffentlich zu Wort gemeldet, um die Binarität des biologischen Geschlechts auf Grundlage ihrer wissenschaftlichen Expertise zu verteidigen. Dabei ist hervorzuheben, dass Wissenschaftler in der Regel nicht dazu neigen, in gesellschaftlichen oder politischen Debatten Stellung zu beziehen, sondern ihre Erkenntnisse sachlich und nüchtern in Fachkreisen präsentieren und zur Diskussion stellen. Dennoch sahen sich einige gezwungen, ihre Stimme zu erheben, um grundlegende wissenschaftliche Fakten klarzustellen. Für diesen Einsatz wurden sie ihrerseits Ziel von Schikanen und Angriffen.
Die Nobelpreisträgerin und Biologin Christiane Nüsslein-Volhard betonte in einem Interview, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gibt. Sie kritisierte die Ansicht, dass es weitere gebe, als unwissenschaftlich und bezeichnete solche Behauptungen als „Unfug“ (Louis 2022). Eine ganze Reihe weiterer bekannter Biologinnen und Biologen äußerte sich in ähnlicher Weise (z. B. Dawkins 2023, Jacobsen 2024, Goymann, Brumm und Kappeler 2023).
Auch der Wissenschaftsrat der GWUP hat sich in einer Stellungnahme zu Wort gemeldet und klärt über zentrale Missverständnisse auf. Er unterstreicht die wissenschaftliche Basis der Zweigeschlechtlichkeit, grenzt biologische Fakten von sozialen Konstrukten ab und plädiert für eine faktenbasierte Diskussion, die frei von ideologischen Verfälschungen ist.
Alle diese Stimmen wollen deutlich machen, wie wichtig es ist, wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesellschaftliche Debatten zu bewahren und vor politischer Instrumentalisierung zu schützen.
Die biologische Zweigeschlechtlichkeit ist eine empirische Tatsache. Kein politischer Wille, sei er noch so ambitioniert oder wohlmeinend, keine noch so gut gemeinte Debatte über soziale Gerechtigkeit und auch keine Diffamierung Andersdenkender können diese wissenschaftliche Grundlage aushebeln oder verändern. Jede potenzielle Veränderung dieser Tatsache müsste durch neue Erkenntnisse aus der Biologie selbst erwachsen.
Besorgniserregend ist, wie erfolgreich ideologisch geprägte Narrative, die die Binarität des biologischen Geschlechts infrage stellen, bereits in Universitäten, Medien und die öffentliche Debatte Einzug gehalten haben (vgl. Coyne und Maroja 2023 und Kasten 3) und zu allgemeiner Verunsicherung beitragen können. Diese Entwicklung fällt in eine Zeit, in der laut aktueller Studien in Deutschland weniger als zwei Drittel der Bevölkerung der Wissenschaft vertrauen, wobei dieser Wert in bestimmten Bevölkerungsgruppen noch deutlich niedriger ausfällt (Wissenschaft im Dialog 2024). Eine internationale Vergleichsstudie, die Daten aus 68 Ländern analysierte (Cologna et al. 2024), zeigt, dass das Vertrauen in Wissenschaftler global betrachtet zwar moderat hoch ist – in Deutschland jedoch unter dem internationalen Mittelwert liegt.
Es ist zu befürchten, dass die hier beschriebenen Entwicklungen diese bereits bestehende Vertrauenskrise weiter verschärfen und die Skepsis gegenüber der Wissenschaft zusätzlich verstärken könnten. Dies birgt erhebliche Risiken, denn eine Gesellschaft, die sich von wissenschaftlichen Grundlagen entfernt, schafft Raum für Verschwörungserzählungen, Fehlinformationen, ideologische Verzerrungen und populistische Narrative. Die Leugnung oder Relativierung der biologischen Zweigeschlechtlichkeit verstärkt diese Tendenzen, da sie etablierte wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellt und dadurch den ohnehin fragilen Konsens über objektive Realität weiter untergräbt. Dies gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft, sondern auch die Fähigkeit der Gesellschaft, auf Basis von Fakten fundierte Entscheidungen zu treffen.
Die Zurückweisung dieses Prinzips lässt sich nicht durch wissenschaftliche Argumente rechtfertigen, sondern entspringt meist ideologischen Motiven oder dient gesellschaftspolitischen Agenden. Eine solche Delegitimierung biologischer Erkenntnisse schwächt das Verständnis grundlegender biologischer Prinzipien und fördert insgesamt Wissenschaftsskepsis. Sie verwischt die Grenze zwischen evidenzbasiertem Wissen und sozialen Deutungsmustern und erschwert so eine sachliche, differenzierte Auseinandersetzung mit Fragen, die gleichermaßen biologischer und gesellschaftlicher Natur sind.
In der Biologie ist die Definition von Geschlecht seit vielen Jahren über die Funktion im Rahmen der Fortpflanzung etabliert und völlig unumstritten. Sie basiert auf der Bildung von zwei klar unterscheidbaren Gametentypen: Makrogameten und Mikrogameten. Diese binäre Grundlage gilt für sämtliche Organismen mit anisogamer Fortpflanzung und bildet in der Biologie die Basis für die Unterscheidung der Geschlechter.
Abgesehen von Fällen echter Missverständnisse oder Wissenslücken gehen Gegner der biologischen Zweigeschlechtlichkeit häufig unredlich vor, um ihre Position zu stützen und abweichende Argumente zu diskreditieren. Vier Strategien stechen dabei hervor:
1. Geschlecht wird entweder gar nicht oder übermäßig komplex und unverständlich definiert, sodass eine klare Begriffsbestimmung fehlt. Häufig werden biologisches Geschlecht, Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen und Geschlechtsidentität bzw. Geschlechterrolle (Gender) nicht oder nicht ausreichend voneinander unterschieden.
2. Es werden Definitionen des biologischen Geschlechts angegriffen, die von der Biologie in dieser Form nicht vertreten werden, um eine Vielgeschlechtlichkeit herbeizureden.
3. Die Rolle der Biologie bei der Feststellung des Geschlechts wird ignoriert. Besonders auffällig ist die allgemeine Akzeptanz der impliziten und abwegigen Annahme, der Mensch habe sich über seine körperliche Basis erhoben und sei der Biologie entwachsen.
4. Personen, die die biologische Definition von Geschlecht vertreten, werden persönlich angegriffen und moralisch verunglimpft, um ihre Argumente zu delegitimieren und sie gesellschaftlich zu isolieren.
Solchen Manipulationsversuchen ist entschlossen entgegenzutreten. Wissenschaft darf sich nicht von ideologischen Verzerrungen dominieren lassen. In einer Zeit, in der die Wissenschaft ohnehin unter Druck steht, ist es umso wichtiger, wissenschaftliche Grundlagen mit Nachdruck zu verteidigen, um den Raum für faktenbasierte Diskussionen zu bewahren und die Integrität der Wissenschaft zu schützen.
Mein besonderer Dank gilt Martin Mahner für die konstruktive Diskussion sowie für wertvolle Verbesserungsvorschläge, die wesentlich zur Präzisierung des Textes beigetragen haben.
Kasten 3:
Bemerkenswert und zugleich erschreckend war, dass selbst innerhalb und im Umfeld der GWUP einige Personen die biologische Zweigeschlechtlichkeit infrage stellten und sich damit von grundlegenden biologischen Fakten entfernten. Sie beriefen sich dabei oft auf das chromosomale Geschlecht oder epigenetische Effekte und leiteten daraus ab, dass die binäre Geschlechtsaufteilung überholt sei. Wie dargelegt, offenbart dieses Argument jedoch ein entscheidendes Missverständnis wissenschaftlicher Konzepte und ignoriert die evolutionär-funktionale Perspektive, die zentral für das Verständnis der Geschlechtsdifferenzierung in der Biologie ist.
Die emotional aufgeladene, teils polemisch geführte und von moralischen Herabwürdigungen durchsetzte Debatte zeigte exemplarisch, wie selbst in wissenschaftsnahen Kreisen Themen wie „Geschlecht“ zu Missverständnissen und Spaltungen führen können. Personen, die zuvor in vielen Fragen des rationalen Denkens übereinstimmten und in der Vergangenheit erfolgreich zusammengearbeitet hatten, fanden sich plötzlich in erbitterte Auseinandersetzungen verwickelt. Was einst von gemeinsamen Zielen und gegenseitigem Respekt geprägt war, entwickelte sich in kurzer Zeit zu einer tiefen Kluft, die eine konstruktive Zusammenarbeit unmöglich machte.
Dies unterstreicht die für Skeptikerinnen und Skeptiker eigentlich selbstverständliche Notwendigkeit, wissenschaftliche Diskussionen auf einer fundierten und faktenbasierten Grundlage zu führen, die frei von ideologischen Verzerrungen ist.
Freie Debatte statt Vereinsmeinung