Gefühle & Bewusstsein bei Pflanzen?
Ein Ausflug in die Welt vermeintlich grüner Neurobiologie
Massimo Pigliucci
Ein Ausflug in die Welt vermeintlich grüner Neurobiologie
Massimo Pigliucci
Im Jahr 2006 veröffentlichten E. D. Brenner und Kollegen einen kontroversen Artikel in der renommierten Fachzeitschrift Trends in Plant Science mit dem Titel „Pflanzen-Neurobiologie: Ein integrativer Ansatz zur Signalübertragung bei Pflanzen“. Seitdem ist die Idee, dass „Pflanzen denken und fühlen“, zu einem kleinen Industriezweig geworden, der, wie man ahnt, in den allgemeinen öffentlichen Diskurs via Podcasts, YouTube-Videos und Ähnlichem Eingang gefunden hat.
Ich bin von Haus aus Pflanzenbiologe und habe Forschung betrieben, die einige meiner Kollegen als kontrovers erachteten, etwa zu Phänomenen wie der phänotypischen Plastizität (die Fähigkeit von Organismen mit demselben Genotyp, als Reaktion auf verschiedene Umweltreize unterschiedliche Phänotypen hervorzubringen) und der Epigenetik (das Phänomen, das zeigt, dass evolutionär relevante Vererbung nicht nur auf Gene beschränkt ist). Es handelt sich hier also nicht um einen konservativen Wissenschaftler, der starr an seiner Meinung festhält und die Orthodoxie verteidigt – zumindest hoffe ich das! Aber schon der Begriff der pflanzlichen Neurobiologie erschien mir von Anfang an als das, was Philosophen einen Kategorienfehler nennen: eine Situation, in der jemand eine Kategorie dort anwendet, wo sie nicht hingehört, wie zum Beispiel die Frage nach der Farbe von Dreiecken. Dreiecke als geometrische Figuren sind durch verschiedene Eigenschaften gekennzeichnet (drei Seiten, innere Winkelsumme von 180 Grad), aber Farbe gehört nicht dazu.
Seit Jahrhunderten ist bekannt, dass sich Pflanzen auf komplexe Weise „verhalten“, und Charles Darwin selbst führte in diesem Bereich wegweisende Experimente durch. Aber das Präfix neuro- in der Biologie bezeichnet seit jeher das physiologische und anatomische System, das es Tieren ermöglicht, sich zu verhalten: Gehirne und ihre dazugehörigen Nervensysteme.
Pflanzen besitzen diese nicht, also was konnte es überhaupt bedeuten, von Pflanzen-Neurowissenschaft zu sprechen?
Ich war nicht der Einzige, der so auf Brenners Artikel reagierte, und die Kontroverse spitzte sich so zu, dass die neu gegründete Society for Plant Neurobiology ihren Namen schnell in den akzeptableren – wenn auch offensichtlich unaufrichtigen – Namen Society for Plant Signaling and Behavior änderte.
Aber in der Wissenschaft geht es nicht um persönliche Meinungen oder PR-Tricks: Es geht um empirische Fakten und begründeten Diskurs. Eine der vernünftigsten und evidenzbasiertesten Diskussionen über die gesamte Kontroverse um pflanzliche Neurobiologie, die ich gelesen habe, ist eine Kritik von Lincoln Taiz und Mitarbeitern (Taiz et al. 2019), ebenfalls veröffentlicht in Trends in Plant Science. Sie ist ein Muss für jeden, der ernsthaft an dem Thema interessiert ist.
Taiz und Kollegen weisen darauf hin, dass hier vieles von der Semantik, also der Bedeutung von Wörtern, abhängt. Während es in manchen Kreisen in Mode ist, solche Diskussionen als irrelevant und pedantisch abzutun („Das ist doch nur Semantik!“), ist Semantik wichtig: Wir kommunizieren miteinander durch Wörter. Wenn wir uns über ihre Bedeutung uneinig sind, riskieren wir, aneinander vorbeizureden – eine frustrierende Situation.
Pflanzen-„Neurowissenschaftler“ verwenden gerne Begriffe wie Intelligenz, Kognition und sogar Gefühle freizügig, um so ständig die angeblichen Ähnlichkeiten zwischen Pflanzen und Tieren zu betonen. Doch solche Wörter haben recht spezifische Bedeutungen – besonders in einem wissenschaftlichen Kontext – und diese Bedeutungen dürfen nicht einseitig nach Belieben erweitert werden, nur um einen rhetorischen Punktgewinn zu erzielen.
Zum Beispiel hat Intelligenz heutzutage die sehr allgemeine Bedeutung der Informationsverarbeitung angenommen, wie in dem Ausdruck künstliche Intelligenz. Okay, aber dann wechseln die Leute plötzlich zur traditionelleren, eingeschränkten Bedeutung und sagen uns, dass Skynet uns demnächst angreifen oder dass „die Singularität“ gewiss bald eintreten wird. Wenn wir Intelligenz im weiteren Sinne verwenden wollen, schön, dann lassen Sie uns zustimmen. Aber dann brauchen wir auch neue Wörter oder zumindest Modifikatoren für spezifischere Arten der Informationsverarbeitung, wie sie im Gehirn von Tieren stattfinden.
Dasselbe gilt für Kognition, einen Prozess, von dem Pflanzen-Neurowissenschaftler sagen, dass Pflanzen ihn betreiben, weil sie auf Umweltreize reagieren. Das tun sie mit Sicherheit: Das tut jedes Lebewesen. Aber wir reservieren Kognition normalerweise für Denkprozesse, die zwar nicht notwendigerweise auf den Menschen beschränkt sind, aber definitiv ein Gehirn erfordern. Und so weiter.
Pflanzen sind unter anderem deshalb faszinierend, weil sie sich so stark von Tieren unterscheiden. Sie zeigen eine bemerkenswerte Bandbreite an Verhaltensweisen, die interne und externe Signalgebung über Hormone und Umweltrezeptoren beinhalten. Aber diese Mechanismen sind nicht analog zu tierischen Neuronen, Synapsen und dergleichen.
Taiz und seine Mitarbeiter erwähnen eine Arbeit, die 2009 von František Baluska und Kollegen veröffentlicht wurde, in der die Autoren die Wurzelspitze mit einem „hirnähnlichen Befehlszentrum“ vergleichen. Eindrucksvoll und suggestiv, nicht wahr? Aber falsch. Im folgenden Jahr zeigten Hubert Rehm und Dietrich Gradmann (Rehm und Gradmann 2010), dass die Daten, welche die ursprünglichen Schlussfolgerungen unterstützten, das Ergebnis von Artefakten waren, erzeugt durch die von den Forschern verwendeten Elektroden. Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege, und Pflanzen-Neurowissenschaftler haben diese elementare epistemische Anforderung einfach nicht erfüllt.
Einer der großen Namen auf dem Gebiet der sogenannten Pflanzen-Neurowissenschaft ist Monica Gagliano. 2016 machte sie Furore mit der Veröffentlichung eines Artikels, in dem sie eine Pawlow-artige klassische Konditionierung bei Erbsenpflanzen nachgewiesen zu haben schien (Gagliano et al. 2016). Es wird Sie nicht überraschen zu erfahren, dass ein Replikationsversuch von K. Markel (2020) scheiterte – was wieder auf experimentelle Artefakte als eigentliche Ursache hindeutet. 2017 setzte Gagliano noch einen drauf, indem sie behauptete, Pflanzen verfügten über ein voll entwickeltes Bewusstsein: „Die Fähigkeit, durch Assoziationsbildung zu lernen, beinhaltet die Fähigkeit, Signale gemäß einem dynamischen internen Wertesystem zu erkennen, zu unterscheiden und zu kategorisieren. Dies ist ein subjektives System von Gefühlen und Erfahrungen. … [Da] Gefühle die Integration von Verhalten erklären und seit langem als kritische Wirkfaktoren der Selektion anerkannt sind, müssen auch Pflanzen ihre Welt subjektiv bewerten und ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle als funktionale Zustände nutzen, die ihre Entscheidungen motivieren.“ (Gagliano 2017, Hervorhebung vom Autor).
Dafür gibt es absolut keine Belege. Soweit wir sagen können, verfügen Pflanzen über keine Wertesysteme, keine Gefühle und keine Motivationen. Pflanzen-„Neurobiologen“ stellen die erstaunliche Behauptung auf, Pflanzen empfänden Schmerz. Auf welcher Grundlage? Weil die Reaktionen von Pflanzen durch Anästhetika wie Diethylether reduziert werden. Doch diese Chemikalien sind dafür bekannt, ein breites Spektrum biologischer Wirkungen aufzuweisen, und aus der Beobachtung solcher Wirkungen folgt einfach nicht, dass ein bestimmtes Lebewesen Schmerz empfindet. Die ganze Beleglage deutet darauf hin, dass Schmerz ein Nervensystem erfordert. Dies hat sehr praktische Konsequenzen. Wenn Pflanzen wirklich Schmerz empfänden, hätte dies enorme ethische Implikationen, zum Beispiel für Vegetarier. Wir sollten solche Behauptungen besser nicht ohne ausreichende epistemische Begründung aufstellen.
Taiz und Kollegen fragen: Was wissen wir eigentlich über Bewusstsein? Es ist heutzutage populär zu behaupten, wir hätten keine Ahnung, wie Bewusstsein funktioniert, aber das ist schlichtweg falsch. Ein Artikel von Todd Feinberg und Jon Mallatt (2016) fasst beispielsweise die umfangreiche Literatur zur Evolution des Bewusstseins zusammen. Sie zeigen, dass sich bei wirklichen Neurowissenschaftlern ein Konsens herauskristallisiert, der folgende Punkte umfasst:
Feinberg und Mallatt kamen zu dem Schluss, dass die einzigen Lebewesen, denen man zuverlässig Bewusstsein zuschreiben kann, Wirbeltiere (einschließlich Fische), Gliederfüßer (Insekten und Krebstiere) und Kopffüßer (Oktopoden, Kalmare und dergleichen) sind. Nicht Pflanzen, Pilze oder Bakterien.
Wie Taiz und Kollegen anmerkten, ist das eigentlich nichts Neues. Die Romantiker des 18. und 19. Jahrhunderts schrieben Pflanzen ebenfalls Gefühle und Absichten zu, als Reaktion auf das, was sie als kalte mechanistische Philosophie von Descartes und später der Aufklärer ansahen. Gewiss sagen uns zeitgenössische Pflanzen-Neurobiologen, wir sollten mehr wie Dichter denken und Metaphern akzeptieren.
Ironischerweise beschuldigen sie Mainstream-Wissenschaftler, „Tierchauvinisten“ zu sein, während tatsächlich sie selbst Pflanzen offensichtlicherweise anthropomorphisieren. Und sie behaupten, ihr Ansatz werde zu größerem Bemühen um die Biodiversität führen. Aber müssen wir uns selbst auf andere Lebewesen projizieren, um uns um die Umwelt zu kümmern? Wollen wir das auf Kosten solider Wissenschaft tun?
Erstmals erschienen in: Skeptical Inquirer 5/2024, S. 21–23. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags und des Autors.
Übersetzung: Martin Mahner
Brenner, E. D. et al. (2006): Plant neurobiology: An integrated view of plant signaling. Trends Plant Science 11, S. 413–419.
Feinberg, T. E.; Mallatt, J. (2016): The evolutionary origins of consciousness. In: Poznanski, R. R.; Tuszynski, J.; Feinberg, T. E. (Hg.): Biophysics of Consciousness: A Foundational Approach. Singapore: World Scientific, S. 47–86.
Gagliano, M. (2017): The mind of plants: Thinking the unthinkable. Communicative & Integrative Biology 10(2). https://doi.org/10.1080/19420889.2017.1288333
Gagliano, M. et al. (2016): Learning by association in plants. Scientific Reports 6: 38427.
Markel, K. (2020): Lack of evidence for associative learning in pea plants. eLife 9. https://doi.org/10.7554/eLife.57614
Rehm, H.; Gradmann, D. (2010): Intelligent plants or stupid studies. Lab Times 3: 30–32.
Taiz, L. et al. (2019): Plants Neither Possess nor Require Consciousness. Trends in Plant Science 24, S. 677–687.
Massimo Pigliucci
ist K.D. Irani Professor für Philosophie am City College of New York. Von ihm stammen unter anderem die Bücher „Nonsense on Stilts: How to Tell Science from Bunk“ (Chicago Press) und „Philosophy of Pseudoscience“ (hrsg. mit Maarten Boudry, Chicago Press). Mehr von Pigliucci
Von Inge Hüsgen
Die Vorstellung, dass Pflanzen ein Bewusstsein besäßen, ist eng verbunden mit Versuchen, Kommunikationswege zwischen Mensch und Pflanze zu schaffen. In den 1960er Jahren sorgte der US-Amerikaner Cleve Backster für Aufsehen mit Versuchen, bei denen er Zimmerpflanzen wie Dracaena und Philodendron an einen Polygraphen („Lügendetektor“) anschloss. Backster behauptete, er habe auf diese Weise den wissenschaftlichen Beweis erbracht, dass Pflanzen ein breites Spektrum an Emotionen empfanden und telepathische Fähigkeiten besäßen. So habe das Gerät bereits Ausschläge gezeigt, als Backster sich lediglich vorstellte, ein Pflanzenblatt zu versengen. In einem weiteren Experiment verbrühte Backster im Nebenraum Salzkrebschen in kochendem Wasser – auch darauf soll die Pflanze eine Reaktion gezeigt haben. Diese angebliche Fähigkeit der Pflanzen nannte Backster primary perception (Backster 1968). In späteren Jahren wollte Backster Vergleichbares auch bei Joghurtkulturen, Eiern und menschlichen Spermien nachgewiesen haben, was ihn zur Annahme brachte, dass alles Lebende über die Fähigkeit der primary perception verfüge (Pilkington 2004). Insbesondere seine frühen Behauptungen zum Pflanzenbewusstsein stießen auf erhebliche Kritik in der Wissenschaft. In kontrollierten Experimenten gelang es nicht, seine Ergebnisse zu reproduzieren. Die Pflanzen zeigten keinerlei Reaktion auf Bedrohungen oder Gedanken der Versuchsleiter. Als mögliche Erklärung für die Ausschläge am Polygraphen wurden vielfältige mögliche Faktoren diskutiert, darunter statische Elektrizität, Bewegungen im Raum und veränderte Luftfeuchtigkeit (Kmetz 1978). Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen 2006 auch die Macher der TV-Dokuserie „MythBusters“. Zusätzlich zu Backsters ursprünglichem Versuchsaufbau verbanden sie die Pflanzen mit einem EEG-Gerät. Auch hier: keinerlei Reaktion. Dennoch erwiesen sich Backsters Behauptungen als einflussreich. Weite Verbreitung erfuhren sie durch das populäre Sachbuch „The Secret Life of Plants“ von Christopher Bird und Peter Tompkins aus dem Jahr 1973 (dt.: „Das geheime Leben der Pflanzen“, Erstausgabe 1974). Das Buch wurde zum Bestseller und diente als Vorlage für einen gleichnamigen Dokumentarfilm (1979). Mit einem Soundtrack von Stevie Wonder und zahlreichen Zeitraffer-Aufnahmen beschränkt sich der Streifen weitgehend auf die ästhetischen Aspekte von Pflanzenwachstum und -bewegung. Gleichwohl trug er dazu bei, dass sich die Vorstellung von einem Pflanzenbewusstsein weiter verbreitete. In den letzten Jahren hat das junge Forschungsfeld der „basalen Kognition“ diese Vorstellung wieder aufgegriffen. Demnach seien Fähigkeiten wie Bewusstsein nicht an ein Gehirn gebunden, und auch Pflanzen könnten über ein Bewusstsein verfügen. Eine Kritik an diesem Konzept formulierte kürzlich der Neurophysiologe Andreas Draguhn. Er weist darauf hin, dass Pflanzen jede zentralisierte Struktur fehle, um innere Repräsentationen von Situationen und damit Empfindungen zu generieren. Sein Fazit: „Ein Baum fühlt, denkt und erlebt nichts, weil ihm schlicht die biologischen Voraussetzungen dafür fehlen.“
Literatur
Backster, C. L. (1968): Evidence of a Primary Perception in Plant Life. International Journal of Parapsychology, 0, 4, 329 – 348.
Galston, A. W.; Slayman, C. L. (1979): The Not-So Secret Life of Plants. Scientific American, 67(3), 337 – 344.
Kmetz, J. M. (1978): Plant Primary Perception: The Other Side of the Leaf. Skeptical Inquirer, Spring/Summer 1978, 57–61.
Pilkington, M. (2004): Primary Perception. The Guardian, 10.06.2004, https://www.theguardian.com/education/2004/jun/10/research.highereducation4.
Tompkins, P.; Bird, C. (1973): The Secret Life of Plants. Harper & Row, New York.