In den vergangenen Jahren lief es häufig so, dass wütende Aktivisten schon im Vorfeld mit ihren Diffamierungen für eine Absage sorgten. Das halte ich für fatal, da so die Gelegenheit zu einem Austausch über ein schwieriges Thema verpasst wird und das Signal entsteht, dass über bestimmte Themen nicht geredet werden kann oder darf, obwohl genau dies für viele interessant wäre und verhärtete Positionen aufweichen könnte.
Gerade rund um Geschlecht ist, wie ich auch in meinem Vortrag zu zeigen versuchte, die Diskrepanz zwischen aktivistischen Verständnissen und biologischen Definitionen offenkundig. Aktuell kann man zum Beispiel im Sport sehen, wie sich wieder etwas ändert, da mehrere Spitzenverbände einen Gentest zur Teilnahmevoraussetzung an den Frauenwettbewerben machen.⁶ Kann das tatsächlich nur mit einer Feindseligkeit gegenüber Trans- und Interpersonen erklärt werden oder gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die diese Maßnahme stützen?⁷
Gerade eine Universität muss ein Ort sein, um über solche Fragen sprechen zu können. Politischer Aktivismus setzt andere Schwerpunkte, die aber vertragen sich nicht gut mit den Erfordernissen wissenschaftlicher Debatten. In der Wissenschaft muss man offen über alle Facetten eines Themenfeldes diskutieren können. Sollte es in einigen Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse zu Geschlecht geben, die beispielsweise doch eine trans- und interinklusive Perspektive im Frauensport stützen, so muss auch darüber dann offen und sachlich an einer Hochschule gesprochen werden können.
Ich kann sogar gut nachvollziehen, dass die Unis hier in einem Dilemma stecken. Entscheiden sie sich dafür, einen Vortrag, der für das Gros der Bevölkerung völlig unproblematisch ist, aber an dem kleine Gruppierungen Anstoß nehmen, nicht anzukündigen, entsteht ein verzerrtes Meinungsbild nach innen und außen. Auch hat die Universitätsgemeinschaft ein Recht darauf, Vorträge zu Themen, die als kontrovers wahrgenommen werden können, zu hören. Nur so ist ja ein Austausch darüber möglich. Einen Vortrag auf Druck von Aktivistengruppen von in- und außerhalb der Universität abzusagen wäre noch falscher, da diese Gruppen dadurch ein Beispiel setzen können und einen unverhältnismäßigen Einfluss darüber bekommen, was der Rest der Universität hören und diskutieren darf und öffentliche Standpunkte, die ihren entgegenstehen sogar verhindern können. Auch kann ich nachvollziehen, dass es für eine Universität schwierig ist, vorherzusehen, wie eine Veranstaltung letztlich ablaufen wird. Es kann ja auch sein, dass es nur bei Stänkerei und Diffamierung im Internet bleibt oder ein Protest ruhig und ohne Störungen verläuft.
Auch wenn die Veranstaltung unter stark erschwerten Bedingungen stattgefunden hat, bin ich froh, dass die Uni an der Veranstaltung festgehalten hat und sie durchgezogen wurde – und damit dem Geist einer Universität als Ort für wissenschaftliche Debatten zumindest von der Intention her gerecht geworden sind. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Hochschulen hier Rückgrat zeigen und den Forderungen von kleineren Gruppierungen innerhalb der Universität nicht so oft stattgegeben würden, denn dadurch bekommen sie einen Einfluss, der häufig zu Lasten von anderen Studierenden geht. Auch würde ich mir wünschen, dass eine Universität, wenn es zu solchem Verhalten kommt, deutlich macht, dass so etwas an einer Universität nichts verloren hat.
Eine Hochschule sollte außerdem Konzepte entwickeln, wie die Durchführbarkeit einer Veranstaltung gesichert werden kann, trotzdem sich Protest formiert. Studierende, die an konstruktivem Austausch zu schwierigen Themen interessiert sind, sollten einen störungsfreien Raum dafür bekommen.
Wie es die Ironie an der Geschichte will, gibt es an vielen Universitäten explizite Bekenntnisse zu Diversität, in denen aktiv gefordert wird, Personen zu integrieren, die Minderheitengruppen angehören. Außerdem gibt es meistens einen Verhaltenskodex, der unter anderem eine offene, respektvolle und konstruktive Kommunikation hervorhebt. Als Transmann mit einer Beeinträchtigung (ich muss ein Hörgerät tragen), der zudem aus einer der Arbeiterschicht zugehörigen Familie stammt und als Erster der Familie Abitur gemacht und studiert hat, würde ich eigentlich den Idealvorstellungen solch eines Diversitätsbekenntnisses entsprechen. Aber leider gelten anscheinend Diversitätsbekenntnisse und ein respektvoller Umgang für einige wohl nur dann, wenn man ihr eigenes Weltbild bestätigt.
Dabei schaden Aktivisten letztlich vor allem sich selbst und generell der Gruppe, deren Interessen sie vertreten (wollen). Speziell zum Themenfeld „Trans“ kann man am Beispiel der USA sehen, welche Folgen es haben kann, wenn ein sachlicher, faktenbasierter Austausch zu Themen nicht mehr funktioniert. Gerade an Fragen rund um Frauensport und der medizinischen Behandlung von Minderjährigen ist die öffentliche Meinung gekippt.⁸
Ein lesenswerter Text des Blogs „Queer Majority“ bringt auf den Punkt, was schief gegangen ist:
„Der vielleicht größte Fehler war ihre Weigerung, Kompromisse einzugehen. Insbesondere in den umstrittensten Politikbereichen wie Transfrauen in Frauenräumen oder geschlechtsangleichende Medizin für Jugendliche. In beiden Bereichen haben Aktivisten wissenschaftliche und ethische Komplexitäten überrollt, Risiken leichtfertig abgetan oder aktiv verschwiegen und sich damit in Konflikt mit einer großen Mehrheit der Gesellschaft gebracht. Erschwerend kam hinzu, dass sie diese und alle anderen Themen mit einer unangreifbaren moralischen Überlegenheit und Gewissheit anzugehen pflegten, die keine Diskussion zuließ. Jeder, der Skepsis äußerte, wurde entweder mit alarmierenden, aber irreführenden Statistiken bombardiert, mit Schuldgefühlen überhäuft, angeschrien oder systematisch verleumdet, belogen und mit der extremen Rechten in einen Topf geworfen. Die Bewegung versuchte, weitreichende und unpopuläre Veränderungen durchzusetzen, ohne auch nur zu versuchen, jemanden davon zu überzeugen. Ihre Strategie bestand darin, Menschen öffentlich zu beschämen, zu zensieren, zu exkommunizieren und zu schikanieren. Die Aktivisten verhielten sich auf eine Weise, die keinen Sinn ergab, es sei denn, ihr Ziel war es, die Menschen dazu zu bringen, sie und damit auch ihre Sache zu hassen.“⁹
Genau das kann auch in Deutschland dazu führen, dass Akzeptanz und Toleranz gegenüber Transpersonen zurückgehen. Und genau deshalb ist es wichtig, dass nicht Aktivisten den Ton an Hochschulen angeben.