Wie links-grüne Diskursverengung Rechtspopulismus stärkt.
Ein Versuch über Meinungsfreiheit und Lagerbildungi

Dr. phil. Christian Zeller

Die FPÖ in Osterreich, der Rassemblement National in Frankreich, die Fratelli d’Italia, die PIS in Polen, der Fidesz in Ungarn, Reform UK in Großbritannien: Zunehmend werden die Namen rechtspopulistischer Politikangebote so geläufig wie die der Sozialdemokraten, der Christdemokraten oder der Grünen. Trump reüssierte im November 2024 erneut in den USA, die AfD verdoppelte ihr Wahlergebnis zur Bundestagswahl 2025 auf 20, 8 Prozent. Sechs Wochen nach der Bundestagswahl liegt sie in Umfrage bei 24 Prozent.

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„Wie links-grüne Diskursverengung Rechtspopulismus stärkt“
DR. PHIL. CHRISTIAN ZELLER

Der Rechtspopulismus ist in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings nicht einfach so über ansonsten intakte Demokratien gekommen. In vielen Beiträgen in Mainstream-Medien, Politik und Wissenschaft wird jedoch genau dies häufig suggeriert. Das mittlerweile sich als alternativlos hinstellende links-grüne Weltbild, entstanden aus dem Erbe von „68“, sieht sich durch die dezentrierenden Relativierungen, die mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus einhergehen, seiner angemaßten Normalität beraubt. Der Rechtspopulismus zerstöre „unsere Demokratie“, die es vor ihm zu „schützen“ gelte. Allenfalls der Neoliberalismus wird noch, nicht ganz zu Unrecht, als Steigbügelhalter von Trump und Co. gebrandmarkt.

Die massive Überrepräsentation dieser Position führt zu einer Wahrnehmungsverengung. Die deutschen Mainstream-Medien – und mit ihnen weite Teile der deutschen Gesellschaft – starren auf die AfD wie das Kaninchen auf die Schlange. Die Gesellschaft verliert darüber ihre Reaktionsbeweglichkeit, die so wichtig ist, um den normativen Impuls von Demokratie und wissenschaftlichem Weltbild einlösen zu können: Bürger legen gemeinsam und möglichst chancengleich die Regeln fest, nach denen sie leben wollen. Und sie tun dies auf der Grundlage valider Erkenntnisse, zu deren Revision sie bereit sind, wenn es bessere Argumente und Einsichten gibt.

Machen wir also ein paar Lockerungsübungen. Ich möchte eine einzige Überlegung entwickeln –idealtypisierend, zeit-diagnostisch, open to further consideration, ein Ent-Wurf gleichsam, der zum Weiterdenken und Widersprechen einladen möchte: Die Verengung von Diskursräumen ist ein Förderprogramm für den Rechtspopulismus. Zugleich liegt meinen Gedanken eine normative Stoßrichtung zugrunde: die Bewahrung des Erbes der Aufklärung, die den Unterboden für die liberale Demokratie und die moderne Wissenschaft bildet.

Die Verengung von Diskursräumen betrifft vor allem Themen, die nicht sehr sexy sind, aber viele Bürger bewegen: Massenmigration und die damit auch unübersehbar negativen Begleiterscheinungen, das progressiv sich gebende Gendern, der Umgang mit der deutschen Identität, wie er sich every once in a while in Leitkultur-Debatten und eingeschliffenen erinnerungspolitischen Maßnahmen entfaltet. Die Corona-Pandemie wirkte als Katalysator für einen Moralismus, der in linksliberalen Journalisten-Milieus über Jahre hinweg herangereift war. Bereits während der Migrationskrise 2015/2016 wurden Skeptiker der Willkommenskultur zu Dissidenten erklärt. Ab 2019 entwickelte sich dann mit Fridays for Future und seinen medialen Ablegern ein neuer moralischer Konsens: Klimaschutz und Energiewende wurden zu Heiligen Kühen. Die Konsequenz: Je kontroverser das Thema, desto enger der Diskursraum. Mit dem Stellenwert der Meinungsfreiheit in unserer Verfassungsordnung befindet sich das nicht in Einklang. Nicht einmal die Hälfte der Bürger hat noch das Empfinden seine Meinung frei sagen zu können, 39 Prozent sagen, dass ihre Meinung in den Medien keine Rolle spielt.

Ein maßgeblicher sozialer Träger dieser Diskursverengung – die im Übrigen alles andere als ein „Mythos“ ist – sind linke Akteure an Hochschulen, Kultureinrichtungen und NGOs, wobei es auch rechtsidentitäre Versuche gibt, mit zweifelhaften Methoden, wie der Einrichtung von Meldestellen, den Diskurs in eine bestimmte politische Richtung zu schieben. In vielerlei Hinsicht bilden linksidentitär-woke Akteure das Alter Ego der rechtsidentitären Bewegung. Was hat es mit den beiden Bewegungen auf sich? Wo liegen die Unterschiede und Parallelen? In welche Interaktionsdynamik treten sie? Und normativ gewendet: Warum ist diese Dynamik für die liberale Demokratie sowie die freie und offene Generierung von Erkenntnis so gefährlich?

Feindliche Brüder vom selben Stamm

Rechte Identitätspolitik zeichnet sich durch den Versuch der Re-Etablierung einer national und ethnisch bestimmten Identität aus. Der Feind sind aus jener Weltsicht all jene, die diese Identität bedrohen. Also in erster Linie Zuwanderer, sogenannte „Globalisten“ und Liberale, die aus der Sicht dieser Bewegung an der Auflösung und Vermischung von Kulturen arbeiten. Der Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ist hochgradig selektiv. Erkenntnisse, die ins eigene Weltbild passen, werden zur Kenntnis genommen (z. B. beim Klimawandel, bei der Migration). Die AfD macht Politik mit einer ganzen Phalanx an Kampfbegriffen („Altparteien“, „Elite“, „Establishment“ etc.) und betreibt Cancel Culture gegen anderslautende Meinungen. So unterhielt die AfD in einigen Bundesländern Meldeportale, bei denen Lehrkräfte, die gegen die AfD Position beziehen, gemeldet werden konnten. In Niedersachsen ist dies seit 2024 wieder der Fall. Die wesentliche weltanschauliche Grundlage rechter Identitätspolitik ist der Ethnopluralismus des französischen Philosophen Alain de Benoist. Also die Vorstellung, dass alle Kulturen gleichwertig sind, aber sich möglichst nicht vermischen und auf ihren angestammten Territorien bleiben sollten. Der wesentliche politisch-soziale Träger der rechtsidentitären Weltanschauung sind in Deutschland Teile der AfD, und der ethnopluralistische Weltanschauungsgenerator in deren Umfeld ist die Gruppe um Götz Kubitschek, ehemals Institut für Staatspolitik in Schnellroda. Die Idee „Metapolitik“ zu betreiben, also den vorpolitischen Raum mit politischen Ideen anzureichern, die erst anschließend institutionell wirksam werden können, haben sie von dem linken Theoretiker Antonio Gramsci übernommen. Die zentrale Spaltungslinie der rechtsidentitären Bewegung ist „Volk vs. Elite“.

Linke Identitätspolitik zeichnet sich aus durch die Vorstellung, bestimmte Identitäten – Menschen nicht-weißer Hautfarbe, Frauen, Homo- und Transsexuelle – seien per se und pauschal unterdrückt. Der Feind ist in jener Weltsicht der permanent seine Privilegien aufrechterhaltende „weiße Cis-Mann“. Dessen Diskursherrschaft muss gebrochen werden, um den Unterdrückten zur Durchsetzung ihrer Gleichachtungsansprüche zu verhelfen. Die weltanschauliche Grundlage der linksidentitären Bewegung ist die Philosophie der Postmoderne und aus ihr hervorgegangene Strömungen wie die Critical Race Theory, die Intersektionalitätstheorie, der Postkolonialismus und die Gender Studies. Verständigungsorientierter Diskurs und aufklärerisches Weltbild werden hier teilweise explizit abgelehnt. Trotz der legitimen Forschungsfragen, die dort formuliert werden, handelt es sich dabei größtenteils um politisierte Pseudowissenschaft. Der Umgang mit Daten und Fakten ist ähnlich selektiv wie bei der rechtsidentitären Bewegung. In manchen universitären Fachbereichen haben diese Theorien einen außerordentlich großen Einfluss erlangt und sind nun über politische Parteien, Kultureinrichtungen, den Journalismus so weit in die außerakademische soziale Wirklichkeit eingesickert, dass sich viele Akteure auch in der außerakademischen Welt an ihren Prämissen orientieren, häufig ohne diese Denkansätze selbst zu kennen. Akademische Kalendersprüche schlechter Wissenschaft, deren größtenteils öffentliche Finanzierung in den Anspruch umgemünzt wird, eine volkspädagogische Wirkung oder gar eine „Re-Education“ in Sachen Diversität entfalten zu können, haben einen diskurshegemonialen Status erklommen.

Auf diese Weise wurde in den letzten Jahren die Verengung von Diskursräumen befördert, da in diesen Fächern die Vorstellung gepflegt wird, dass liberale Demokratien in sich „strukturell rassistisch“ seien und systematisch auf die „Unterdrückung“ von Minderheiten und marginalisierten Gruppen ausgerichtet seien. Deshalb darf allen möglichen Personen und Positionen „keine Bühne“ oder „keine Plattform“ geboten werden, Leute werden ausgeladen, Karrieren beschädigt, Personen aufs Ärgste diffamiert etc. Dieses Phänomen wird als „Cancel Culture“ immerhin diskutiert, aber in weiten Teilen der Medien zugleich meistens als „rechte“ Einbildung oder legitime „demokratische“ Gegenwehr „gegen rechts“ ausgewiesen. Staatlicherseits hat sich die Cancel Culture in einem Meldestellenwesen manifestiert: Es gibt mittlerweile staatlich finanzierte Meldestellen gegen „Rassismus“, gegen „Antifeminismus“, gegen „Antiziganismus“, gegen „Antifeminismus“ usw. usf. Woke NGOs arbeiten hierbei eng mit woken Parteien und einem in Teilen woken Staat zusammen. Bereits dieses sukzessive Ununterscheidbar-Werden von Nichtregierungsorganisationen, Parteien, Staat und „der Wissenschaft“ ist, noch unabhängig von den Inhalten, ein Alarmzeichen. Der wesentliche politisch-soziale Träger dieser Weltanschauung sind in Deutschland die Parteien Bündnis 90/Die Grünen, die Linkspartei und Teile der SPD. Die zentrale Spaltungslinie der linksidentitären Bewegung ist: „Unterdrücker vs. Unterdrückte“.

Sowohl die rechtsidentitäre als auch die linksidentitäre Bewegung überbetonen jeweils einen Teil der historischen gewachsenen Verbindung aus Liberalismus (Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenrechte) und Demokratie (Volkssouveränität). Die linksidentitäre Bewegung überfokussiert in dogmatisch-kompromissloser Weise auf hoch spezifisch ausbuchstabierte Minderheitenrechte. So dass selbst die leiseste Kritik etwa am sog. „Selbstbestimmungsgesetz“ als „transphob“ und „demokratiefeindlich“ gegeißelt wird. Die rechtsidentitäre Bewegung hingegen überfokussiert auf das Moment der Volkssouveränität. Dies kann zu einer Untergewichtung von Minderheitenrechten führen und auch potentiell positive Auswirkungen von Migration unterbinden. Die liberale Demokratie befindet sich also gegenwärtig nicht im Gleichgewicht. Welche Dynamik befördert diese Imbalance?

Wie funktioniert die Lagerbildungsdynamik?

Unabhängig von der politischen Bewertung links- und rechtsidentitärer Politikansätze gilt: Die sich aufschaukelnde Dynamik beider Bewegungen ist zentral, um die Krise der Demokratie in westlichen Industrienationen zu verstehen. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist der sichtbarste und am häufigsten thematisierte Ausdruck dieser Krise. Da der Journalismus in größeren Teilen mittlerweile linksliberal und linksidentitär geprägt ist – 41 Prozent der Journalisten in Deutschland geben an, die Grünen zu wählen, weitere 16 Prozent die SPD –, wird der komplexe Unterboden dieser Entwicklung so gut wie nicht an den Souverän rückgespiegelt. Dasselbe gilt für viele öffentlich auftretende Sozialwissenschaftler, die „die Wissenschaft“ instrumentalisieren, um den in ihrem Milieu geteilten politischen Narrative weiterhin mediales Oberwasser zu verschaffen. Mit ihren Bücherwänden im Hintergrund und ihren akademischen Statusinsignien verkünden sie dann ihre im Gewand von Wissenschaft verpackte politische Meinung. Allein der Rechtspopulismus soll denn auch für die „Spaltung der Gesellschaft“ verantwortlich sein. Wirkungsvoller lassen sich wohl kaum offene Flanken für Wissenschaftsleugnung schaffen. Wer wissenschaftliche Aussagen permanent mit seiner politischen Meinung vermengt, muss sich nicht wundern, wenn andersdenkende Personen Wissenschaft irgendwann für eine intellektuell korrumpierte Angelegenheit halten, ein Vehikel zur Manipulation der Bevölkerung.

Diejenigen, die im letzten Jahr „gegen rechts“ auf die Straße gegangen sind – ganz überwiegend Grünen- und zu kleineren Teilen SPD-Wähler –, wirkten damit an einer Dynamik mit, die in ihrer Gänze systematisch nicht in den Blick gerät: Der maßgeblich aus dem linksidentitären Lager heraus geführte „Kampf gegen rechts“ fördert den Rechtspopulismus. Warum? Zentral für das Aufblühen der Lagerbildungsdynamik zwischen der links- und der rechtsidentitären Bewegung sind aus meiner Sicht drei Mechanismen, die ich „Spaltung“, „Schleuse“ und „kommunizierende Röhren“ nennen möchte.

Mechanismus 1: Spaltung

Spaltung bedeutet, am Beispiel Corona betrachtet: Stellen wir uns vor, eine gebührenfinanzierte Fernsehmoderatorin sagte mit Blick auf teilweise sehr energisch auftretende Corona-Maßnahmenkritiker Folgendes: „Wäre die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes? Sie würde ja nicht in der Mitte auseinanderbrechen, sondern ziemlich weit rechts unten. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essentiell für das Überleben des Gesamtkomplexes.“ Dann bedeutet dies natürlich, dass all jene, die sich mit ihren Meinungen im „Blinddarm“ der Gesellschaft befinden, einen hohen Anreiz haben, sich untereinander zu vergemeinschaften. Der Rest des gesunden (Volks-)Körpers möchte sie ja nicht um sich haben, sofern die Aussage der staatsfinanzierten Fernsehmoderatorin stilbildend für den Umgang mit ihnen wird. In der Soziologie des abweichenden Verhaltens werden solche Prozesse mit dem labelling approach-Ansatz beschrieben: Menschen bekommen ein bestimmtes Etikett und werden dadurch zu genau der Gruppe, als die man sie adressiert. Die Moderatorin Sarah Bosetti wirkte also daran mit, die Gruppe, die sie kritisierte, aktiv zu produzieren und sie für „rechts“ zu öffnen. Die anderen sollten ja nicht mehr mit ihnen reden. Wer es dennoch tut, für den steht wiederum ein Sekundär-Etikett bereit. Er war schließlich mit „Corona-Leugner X“ oder dem „Rechten Y“ in Kontakt und ist deshalb möglicherweise auch von „unsagbaren“ Ansichten infiziert – oder hat sich zumindest nicht artig „distanziert“. Die Kontaktschuld verstärkt die Spaltung und immunisiert die soziale Feedback-Schleife recht wirksam davor, dass sie sich auflöst.

Der Mechanismus der Spaltung ließe sich an vielen Themen durchspielen, die zu den Kern-Topoi der linksidentitären Bewegung gehören: „Was, du denkst, dass es nur zwei Geschlechter gibt? Das geht ja gar nicht.“ „Was, du denkst, dass People of Color gar nicht überall unterdrückt sind und forderst Differenzierung ein? Das geht ja gar nicht, du willst wohl deine Privilegien aufrechterhalten!“ „Was, du denkst, dass Trump, Höcke, Meloni, Le Pen, Wilders, Milei oder Kickl auch etwas Vernünftiges gesagt haben? Seht her, der Schoß ist fruchtbar noch!“ So erklärte man in linksidentitär geprägten Medien, NGOs, linken Parteien und Teilen des „Experten“-Wesens regelmäßig in den letzten Jahren schätzungsweise 50 bis 80 Prozent der Bürger zu Unmenschen und Nicht-Satisfaktionsfähigen. Und wundert sich dann, dass die AfD immer stärker wird. Diese muss schließlich nur die Schublade mit den Ausgestoßenen aufziehen, um ihre Wählerschaft zu vergrößern.

Übrigens: „Experte“ darf man auf keinen Fall in Anführungszeichen setzen – denn damit „delegitimiert“ man die Wissenschaft und macht sich der „Wissenschaftsleugnung“ schuldig. Experten muss man stets brav zuhören und darf sie auf keinen in Frage stellen. Eine weitere, effektive Diskursstrategie, die dazu führt, dass die Lagerbildungsspirale hübsch weiterläuft, weil sie erneut vor der Kritik, dass man sie eben auch maßgeblich durch politisierte Wissenschaft am Laufen hält, immunisiert wird.

Die politisch institutionalisierte Form der Spaltung in Deutschland ist die Brandmauer, die zwischen AfD und allen anderen „demokratischen Parteien“ errichtet wurde. Es soll als Skandalon gelten, auch noch den vernünftigsten politischen Vorschlag umzusetzen, wenn er mit Stimmen der AfD zustande kommt. Die zentrale Strategie, die Brandmauer diskurshegemonial aufrechtzuerhalten, ist die permanente Vermischung der Worte „rechts“ und „rechtsextrem“ – als verhielten sich die beiden Begriffe synonym. Demokratietheoretisch und verfassungsrechtlich verhält es sich dabei so: In der Lesart des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei (Rechts-)Extremismus im engeren Sinn um den Versuch auf aktiv-kämpferische Weise mit einer hinreichenden Erfolgswahrscheinlichkeit die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen. Der Schutz vor Extremismus in diesem Sinne ist somit konstitutiv für die liberale Demokratie. Wer dafür auf die Straße geht, sollte für diese Absicht grundsätzlich Anerkennung finden. (Auch wenn seine Einschätzung, ob das, wogegen er demonstriert, wirklich „extrem“ ist, freilich noch falsch sein kann.) Gleichzeitig ist jedoch der Anspruch, die Demokratie vor „rechts“ zu „schützen“, unmittelbar demokratieschädigend. Denn „rechts“ ist ein legitimer Teil des demokratischen Spektrums. Genauso wie nicht jeder „Linke“ ein „Linksextremist“ oder jeder Muslim ein „Islamist“ ist. Der „Kampf gegen rechts“ fördert damit die Einschränkung der Demokratie, indem so getan wird, als müsste man die Demokratie gleichermaßen vor „rechts“ wie vor „Rechtsextremismus“ schützen. Damit steckt in den „Demos gegen rechts/Rechtsextremismus“ bereits eine Spaltung der Gesellschaft. Denn grundsätzlich legitime Positionen – gezielt gesteuerte Migration, die Förderung der traditionellen Kleinfamilie, weitgehende unternehmerische Freiheit und ähnliche Positionen – werden als gleichsam verfassungsfeindlich markiert. Dies führt zugleich zu einer Unterminierung eben jener demokratischen Idee, die expressiv verbis auf den „Demos gegen rechts“ eigentlich unter dem Label „Demokratieschutz“ bewahrt werden soll.

So mutiert also ausgerechnet der Versuch, sehr spezifische und teilweise extreme Formen von “Diversität“ gegen alle Widerstände durchzusetzen zu einer Politikkonzeption, die unter Preisgabe jeglicher Form von Dialog und Vermittlung in der Manier von Carl Schmitt das Freund-Feind-Denken zum zentralen Merkmal der politischen Auseinandersetzung werden lässt. Die Paradoxie ist offenkundig, wie der Jurist Udo Heyder ausführt: „Alle Menschen sollen ihre Beziehungen zueinander nicht nach ihren eigenen, vielfältigen und unterschiedlichen Interessen und Werten bestimmen dürfen, sondern verpflichtet sein, überall und jederzeit eine demokratische Haltung zu zeigen. Dabei wird es ihnen verwehrt, darüber mitzudiskutieren, wodurch sich eine demokratische Haltung eigentlich auszeichnet (…). Sie sollen einfach die ihnen vorgegebenen Bewertungen übernehmen.“ii

Mechanismus 2: Schleuse

Ist die Spaltung erfolgreich vollzogen, wirkt als Nächstes die Schleuse: Diskursräume zu kontroversen Themen werden durch soziale Ächtung mit Hilfe inflationärer, das eigentliche Phänomen verharmlosenden Kampfbegriffen („Hass und Hetze“, „menschenfeindlich“, „Rassist“, „Nazi“, „homophob“, „transphob“ etc.) in Medien, vielfältigen Alltagssituationen, aber auch durch eine in Teilen politisierte Wissenschaft verengt. So steigt schließlich die Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen, die diese Barrieren der drohenden sozialen Ächtung durchstoßen, innerlich sehr gefestigt sein müssen, merklich an. Meiner Beobachtung nach sind es vor allem drei Gruppeniii, die die Diskursschleuse zu kontroversen Themen überwinden oder zumindest das Potential dazu besitzen:

Erstens Personen, die religiös gefestigt sind. Man beobachte hier einmal das Umfeld von „Demo für alle“ oder „Citizen go“, in dem man sich gegen „Frühsexualisierung“ und die „Transgender-Ideologie“ ausspricht oder auch die abtreibungskritische Bewegung „Marsch für das Leben“. Bestimmte linksliberale, in jüngerer Zeit stark von der Woke Culture beeinflussten Politik-Agenden widersprechen nicht nur inhaltlich dem christlich geprägten Weltbild dieser Gruppierungen. Sondern die Verwurzelung in einer höheren, nicht irdischen Macht erlaubt es ihnen gleichzeitig, sich vor dem massiven Gegenwind, der ihnen von Seiten linksidentitärer Aktivistengruppen in Medien, NGOs, dem Kulturbetrieb und linken politischen Parteien entgegenschlägt, gewappnet zu fühlen. „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“ (Matthäus 5-10, Bergpredigt), steht unter dem Video einer Frau, die sich offen zur Wahl der AfD bekennt. Sie führt ihren Glauben als Grund dafür an, dass sie damit klarkommt, wenn ihr Menschen aufgrund ihrer politischen Überzeugungen die Freundschaft kündigen. Auch der Youtube-Kanal „Ketzer der Neuzeit“ lebt von einem Bekenntnis zu Jesus Christus. Während in der AfD das religiöse Bekenntnis zumindest nicht im Vordergrund steht, so ist es für den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, ein Wegbereiter der rechtspopulistischen Bewegung in Europa, konstitutiv. Orbáns Bekenntnis zur „illiberalen Demokratie“ beziehungsweise zum „illiberalen Staat“, die er seit seiner berühmten Sommerakademie-Rede 2014 mehrfach wiederholte, ist unmittelbar verknüpft mit der Vorstellung, das Christentum müsse einer der weltanschaulichen Glutkerne Europas bleiben.

Die weltanschaulich randständige Lage, die christlichen Gruppierungen in der hegemonial gewordenen, linksliberalen Spaß- und Unverbindlichkeits-Postmoderne zukommt, kann den Umstand erklären, dass die mitunter treffendsten Analysen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit von Gruppen kommen, die sich eben nicht wie die Fische im Wasser des linksliberalen Mainstreams bewegen. Dieser Umstand mündet in geradezu visionären Prognosen zur Restriktion von Meinungs- und Redefreiheit, wie etwa die überaus luziden Analysen von Paul Coleman zum Überhand-Nehmen von „Hassrede“-Gesetzen zeigen. Coleman ist Anwalt und Aktivist in dem christlichen Menschenrechtsnetzwerk Alliance Defending Freedom International (ADF International) und machte bereits im Jahr 2012 in seinem höchst lesenswerten Buch „zensiert. Wie europäische ‚Hassrede‘-Gesetze die Freiheit bedrohen“ folgende Vorhersagen, die allesamt eingetroffen sind: „Der Anwendungsbereich von ‚Hassrede‘-Gesetzen wird weiter ausgeweitet, und immer mehr Redeweisen werden reguliert und zensiert. Auch Mainstream-Ansichteniv werden immer mehr zum Schweigen gebracht. Eine Zensur-Kultur wird parallel zu den Beschränkungen durch das Strafrecht heranwachsen. Es wird eine Ausweitung von Prozessen und staatlich unterstützten Kontroll- und Berichtsorganen geben, um das Problem der gefährlichen Rede aufrechtzuerhalten.“v

Cancel Culture an Universitäten, ein wie Pilze aus dem Boden schießendes Meldestellenwesen, gruselige Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung à la die Regulierung von Meinungsäußerung „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“, eine Herrschaft der Kampfbegriffe, die jeden zum „Schwurbler“, „Covidioten“ oder zum „Verschwörungstheoretiker“ erklärt, der auch nur ein Jota vom Mainstream abweicht oder die Unfähigkeit wie Erwachsene über „kontroverse“ Themen wie Migration, das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ oder eben die Lage der Meinungsfreiheit zu reden, geben Coleman auch für Deutschland recht. Das christliche Überzeugungsreservoir schafft hier ganz offenbar eine Kontrasterfahrung, die die für viele Akteure bereits unsichtbaren Hintergrundselbstverständlichkeiten des linksliberalen Mainstreams umso schärfer und pointierter vor Augen treten lässt. Und die christliche Verwurzelung motiviert zugleich dazu, sich dann auch pointiert zu äußern und zu widersprechen. Die absehbare soziale Ächtung durch den linksliberalen Mainstream kann den Christen nicht schockieren – er erkennt allein seinen Gott als Richter an.

Eine modernisierte Variante jener religiös Gefestigten scheinen mir Rationalitäts-, Liberalitäts- und Aufklärungsverfechter zu sein. Auch diese Gruppe zeichnet sich durch eine starke Bindung an übergeordnete, wenngleich nicht metaphysisch grundierte Werte aus. Die liberalen Aufklärungsverfechter ziehen einen psychischen Gewinn aus dem Streben nach Objektivität, Differenzierung und Neutralität und wollen sich nicht vorschnell von einer Seite vereinnahmen lassen. Sie sind – im Geiste Gadamers – bereit zuzugestehen, dass grundsätzlich auch der Andere Recht haben könnte und wissen, dass Unsinn Unsinn bleibt, auch wenn er in ein hypermoralistisches Vokabular verpackt wird. Die Bindung an solche Grundsätze kommt dem Streben nach einer höheren Macht gleich. Auch der unverbrüchliche Glaube an eine unabhängig vom Menschen bestehende Welt und deren objektive Erkennbarkeit transzendiert das Ego und die schnöde Welt der Parteiungen. Diese Überzeugung kann Menschen eine innere Standhaftigkeit verleihen, die es ihnen erlaubt, so manchen woken Irrsinn bohrender Skepsis auszusetzen und darüber gleichzeitig nicht zu vergessen, dass auch rechtsidentitären Kontrahenten der Woke-Bewegung manch problematischer Zug innewohnt.

Insbesondere während der Corona-Zeit war eine zweite Gruppe von Diskursverengungsüberwindern zu beobachten: So manche Ostdeutsche, die selbst noch Diktaturerfahrung im SED-Regime hatten. In ÖRR-Fernsehberichten wurden Bürger aus ostdeutschen Bundesländern vorgeführt, die in sächselndem Tonfall in die Kamera sprachen: „No, das mit diesen Impfungen und diesen Freiheitseinschränkungen ist ja wie in einer Diktatur.“ Die eigene Erfahrung mit der Spätphase der DDR mag hier die Sensibilität für die häufig subtilen Umformungen von Alltagspraxis geschaffen haben, die sich strukturanalog geballt in der Corona-Zeit zeigten: Das Ausgeschlossen-Werden, das Diffamiert-Werden, der „Seht her, die Leute reden schon“-Konformismus, aber auch die manifeste Einschränkung von Freiheitsrechten, die von Sozialwissenschaftlern mitentwickelte Herrschaft der Angst, die Doppelmoral von hauptamtlichen Coronapanik-Verkündern, die „social distancing“ predigten, aber sich in einer Uni-Klinik wie die Hühnchen im Stall in einen Aufzug hineinquetschten.

Wer Diktaturerfahrung hat, verfügt bereits über die kognitiven Schemata, um solche Erfahrungen korrekterweise als Vorstufe des Totalitarismus zu interpretieren. Ähnliches spielt sich nun seit dem Krieg in der Ukraine ab: Auch hier zeigen viele ostdeutsche Bürger eine Tendenz dazu, eine gleichsam oppositionelle Identität auszubilden, die durch die geopolitische Nähe der Ex-DDR zu Russland noch befördert wird. Diese oppositionelle Identität vieler Ostdeutscher, die sich jüngst auch in den großen Wahlerfolgen der AfD manifestiert, verschärft sich noch dadurch, dass sich viele, zumeist im Westen angesiedelte Medien mit einer gleichsam ethnologischen Haltung über Ostdeutsche beugen als gehörten diese einem fremden Stamm an, der sich vor den Kolonialherren für seine Unzivilisiertheit – ergo: seine abseitigen politischen Meinungen – zu rechtfertigen hätte.

Zur dritten, wohl größten Gruppe, die sich in den linksautoritären Wind lehnen, gehören rechtsidentitäre Kommunikationsprofis, zumeist von der AfD – in der es freilich auch viele enttäuschte CDU- und FDP-Anhänger gibt, die mit dem rechtsidentitären Denken nichts gemein haben –, der identitären Bewegung um Martin Sellner, dem Compact-Umfeld etc. Hier zieht man häufig erkennbar einen Lustgewinn daraus, die linksidentitär-moralistische Diskurshegemonie mit nach „Skandal“ schreienden Bemerkungen herauszufordern. Ich denke dabei jüngst etwa an das Wort von den „Windmühlen der Schande“, mit dem Alice Weidel vor der Bundestagswahl in einer Talkshow Referenzen an den größten Rhetorik-Skandal der AfD – Björn Höckes „Denkmal der Schande“ – anklingen ließ. Was für eine Unverfrorenheit aus der Sicht der linksliberalen Honoratioren, zu der Entgleisung des Gottseibeiuns der AfD einen rhetorischen Bezug herzustellen. Wirklich zur AfD gehört man, wenn man sich das traut und dem Beifall von links – den die CDU noch als Teil einer von der „Mitte“ dominierten Anerkennungsordnung betrachtet – nur noch mit Verachtung begegnet. Wenn es darum geht, die Trias aus sakrosankter Energiewende, dem Sprengen der „heteronormativen Zwangsmatrix“ und einem hypertrophierten Menschenrechtsfundamentalismus, dessen sichtbarste Gestalt darin besteht, jeden als „Faschisten“ zu geißeln, der nicht die linksradikale Agenda der „offenen Grenzen für alle“ befürwortet, zu attackieren, machen rechtsidentitäre Kommunikationsprofis keine Gefangenen. Sie leben vom Trotz und vom Dagegensein. Wie in manchen asiatischen Kampfkünsten nehmen sie die Energie des gegnerischen Schlags in sich auf und leiten sie direkt auf den Angreifer zurück. Die Einschüchterungsversuche durch Kampfbegriffe sind deshalb bei rechtsidentitären Kommunikationsprofis zum Scheitern verurteilt. Auch das bringt die linksidentitären Cliquen in Medien, Kulturbetrieb und NGOs zum Kochen und lässt sie ihrerseits immer radikaler und unerbittlicher werden.

So wird es sich wohl erklären, dass soziale Grundnormen missachtende Typen wie Donald Trump, der noch dazu aufgrund eines Erbes ökonomisch unangreifbar ist, zu Galionsfiguren der rechtsidentitären Bewegung werden konnten. In eine ähnliche Richtung weist das Verhalten des exaltiert auftretenden, betont libertär sich gebenden Kettensägen-Professors Javier Milei oder auch das des Tech-Milliardärs Elon Musk. In Deutschland stellt sicherlich Björn Höcke, der schon früh keine Scheu hatte, die Deutschland-Fahne in Talkshows auszubreiten den Prototyp des rechtsidentitär Gefestigten dar. Er griff mit seiner Rede vom „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“, dem der „selbstverneinende europäische Platzhaltertyp“ entgegenstehe, in manifest rassistische Vorstellungswelten aus und möchte in homogenisierender Manier „Volksteile“ loswerden, die „zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“ Gleichwohl wird dadurch nicht alles falsch, was Höcke sagt, nur weil es Höcke sagt, wie uns die Lagerdenker weiß machen wollen. Die Auffassung etwa, dass ungesteuerte Massenmigration dazu beitragen kann, gewachsene Vertrauensgemeinschaften zu beschädigen oder gar aufzulösen, ist ein Gesichtspunkt, den man gewiss nicht vorschnell als „unsagbar“ aus der Debatte ausschließen sollte. Gleiches gilt für das Benennen der psychologischen Macht, die die fortwährende „Vergangenheitsbewirtschaftung“ (I. Hanika) denjenigen verleiht, die jede Form der Migrationsskepsis mit der drohenden Wiederkehr des Faschismus und des nationalsozialistischen Judenmordes assoziieren können. Die jede Differenzierung verunmöglichende Aura des Dämonischen, die der Medien-Mainstream über die Figur „Höcke“ gelegt hat, wird einiges dazu beigetragen haben, sie zu dem Medienphänomen werden zu lassen, die sie heute ist: Das ultimative Feindbild des Medienmainstreams, der für auch nur in Nuancen Andersdenkende deshalb umso sichtbarer ist.

Es sei der soziologischen Vorstellungskraft des Lesers überlassen, noch weitere Typen auszumachen, die eine Widerstandskraft gegenüber den teilweise massenpsychotisch akzentuierten Erscheinungen linksidentitär geprägter Öffentlichkeit ausgebildet haben: Ausgewachsene Querulatoriker gehören hier wohl dazu – Leute also, die einen Lustgewinn aus einem Konflikt als solchem ziehen. Ebenso wie Personen, die man vorwissenschaftlich als „Die leicht schrägen, ‚Informiert euch‘ rufenden Typen mit den Corona-Pappschildern“ bezeichnen könnte. Auch das Youtuber-Milieu mit seinen Ketzerkirchen, kritischen Katzen und Clownswelten ließe sich hier sicherlich sehr granular differenzieren.

Diesen Gruppen der Gefestigten stehen viele moderat gesonnene Bürger gegenüber. Bürger, die vielleicht migrationsskeptisch sind oder corona-maßnahmenkritisch waren, die die Energiewende für verfehlt oder die Provokation eines Atomkrieges mit Russland nicht für eine gute Idee halten, aber noch durchaus differenzierte Ansichten vertreten und Gegenargumenten grundsätzlich Raum zu geben bereit sind, lassen sich von der sozialen Ächtung abschrecken und machen sich nicht mehr hörbar. So tritt durch die Diskursverengung ein Selektionsprozess zugunsten der Positionen der Gefestigten ein. Je weltanschaulich standhafter man ist, je stärker das eigene Weltbild in einer hoch integrierten Gemeinschaft und ihren Führungsfiguren zusammengeschweißt wird, desto eher erträgt man den Preis: soziale Ächtung, die Gefährdung der beruflichen Stellung oder gar einen Strafprozess.

Mechanismus 3: Kommunizierende Röhren

Im letzten Schritt kommen nun die kommunizierenden Röhren ins Spiel: Diejenigen, die den verengten Diskursraum durchstoßen haben, sind nun für die Moderaten, die sich haben abschrecken lassen, öffentlich sichtbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Moderaten (die „Mitte“ der Gesellschaft) nun zunehmend an den Gefestigten orientieren, die die Diskursbarriere durchstoßen haben, ist nun sehr hoch. Denn die anderen sprechen bestimmte Themen ja nicht mehr an, sie haben Angst vor Kontaktschuld. Hinzu kommt, dass mit dem Selektionsprozess zugunsten der Gefestigten die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass noch andere öffentlich sichtbare Politiker die Themen wirksam aufgreifen, da sie aufgrund der Thematisierung durch die Gefestigten oder Extremen immer mehr „verbrannt“ werden. Der Politologe Peter Graf Kielmannseg spricht von einem „negativen Midaseffekt“. Alles, was „Rechtspopulisten“ fordern, darf nun von den Guten und Vernünftigen nicht mehr gefordert werden. Die politische Institutionalisierung dieser Logik ist die Brandmauer, mit der mittlerweile über 10 Millionen Wähler ausgeschlossen werden. Es kommt zu einem verschärften Denken in Lagern: Entscheidend ist nun nicht mehr, was gesagt wird, sondern wer es sagt. Dadurch tendiert diese skizzierte Dynamik dazu, sich selbst zu verstärken. Links- und rechtsidentitäre Bewegung befinden sich nun einem Spiel der wechselseitigen De-Legitimierung und des wechselseitigen Ausschlusses. Der common ground einer Gesellschaft erodiert damit auf der grundlegendsten Ebene: Politische Auseinandersetzungen verdichten sich zu einer win-loose-Dynamik und selbst die wohlmeinendsten dialogischen Ansätze drohen zu scheitern, weil sie selbst schon in die Lager-Logik eingesaugt werden.

Das Denken in identitätspolitischen Kategorien ist dabei ein zentraler Treiber dieser fatalen Dynamik. Vergegenwärtigen wir uns dazu folgenden Ausschnitt aus dem Bauchladen der linksidentitären Weltanschauung: Der zentrale geographische Ort der „Unterdrückten“ ist „der globale Süden“. Deswegen sollten im linksidentitären Weltbild möglichst viele Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika nach Europa kommen, um die weiße Schuld – Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus – zu tilgen. Der Präsident des deutschen Seenotretterverbandes träumt schon von der „Enthomogenisierung der Gesellschaft“ und bald sei „Schluss mit dem lustigen Leben als Weißbrot“. Die ehemalige Vizepräsidentin des deutschen Bundestages Katrin Göring-Eckardt freut sich darüber, dass nicht nur „weiße deutsche Spieler“ in der Nationalmannschaft spielen. Sie reagierte dabei auf eine Umfrage, nach der sich 21 Prozent der Befragten wieder mehr „Weiße“ in der Nationalmannschaft wünschten. Eine Landtagsabgeordnete der Linken schämt sich für ihr „Privileg Deutsch, weiß und westeuropäisch zu sein“. Und „Weiße“ sind dann schon einmal am Samstag im Museum bei einer Kolonialismus-Ausstellung unerwünscht, damit – was ebenso homogenisierend ist – „People of Color“ unbelastet von weißen Blicken in „ihre“ Vergangenheit hineinspüren können sollen.

Die Reaktion darauf ist nicht besonders überraschend: Wenn Schwarze als Schwarze, Muslime als Muslime, Transsexuelle als Transexuelle etc. gefördert werden, beanspruchen nun auch Weiße als Weiße gefördert zu werden. Die US-amerikanischen Soziologen Bradley Campbell und Jason Manning sprechen in diesem Zusammenhang von einer „victimhood culture“vi die – ausgehend von US-amerikanischen Hochschulen – eine Kultur der jedem Individuum zustehenden gleichen Würde zunehmend ablöst. Opfer- und Identitätswettbewerbe sind die Konsequenz dieser Umstellung, so die Migrationsforscherin Sandra Kostner: „Eine Gesellschaft, die das Signal sendet, dass Gerechtigkeit von der Förderung von Opferidentitäten abhängt, lädt nachgerade dazu ein, immer neue Opfergruppen zu konstruieren und im Kampf um Ressourcen zu mobilisieren, mit den entsprechenden Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“vii

In Deutschland wird dieses postkolonial-identitäre Schuld-Ideologem auf die durch die seit dem Historikerstreit und der deutschen Wiedervereinigung mit Hilfe von Erinnerungspolitik perpetuierte Schuld draufgesattelt, die mit den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen an sechs Millionen europäischen Juden und den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges einhergegangen ist. „‘Erinnern, um nicht zu wiederholen‘“ wurde der Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann zufolge der „ethische Imperativ“ deutscher Erinnerungspolitik seit Ende der 1980er Jahre.viii Das singuläre Menschheitsverbrechen des Judenmords kann nun fortwährend von den wackeren Kämpfern „gegen rechts“ dazu instrumentalisiert werden, noch die legitimsten Kritiker von Massenmigration und Hyper-Diversität als Wiedergänger Hitlers darzustellen.ix Sogar in der CDU sollen nun überall die „Faschisten“ lauern. Eine drastischere Verharmlosung von Faschismus und der nationalsozialistischen Mordpolitik lässt sich kaum mehr denken. Das „Rechte“ wird damit zum Fetisch, vor dem sich die Weltanschauung unbegrenzter Diversität als unhinterfragbare moralische Normalität konstituiert. Wer „rechts“ ist, ist irgendwie gegen Migration – und damit auch zugleich gegen „unsere Demokratie“. Die Gesellschaft zerteilt sich damit zunehmend an der Spaltungslinie von „guten“ „Demokraten“, die sich als die gesellschaftliche „Mitte“ und das „demokratische Spektrum“ gerieren einerseits und angebliche „Faschisten“ andererseits. Genau zwischen diesen Polen vollzieht sich die Eskalationsdynamik. Deren Logik läuft darauf hinaus, dass perspektivisch die ganze Gesellschaft – auch jene breite Mitte, die ihr derzeit noch indifferent gegenübersteht – in sie hineingesaugt wird.

Das sozialpsychologische Fundament der Lagerbildungsdynamik

Sozialpsychologisch gesehen basiert diese Dynamik auf drei äußerst leicht aktivierbaren Mechanismen unserer Gattung: Die Abgrenzung von Binnen- und Außengruppe und die Förderung von Konformismus innerhalb der Binnengruppe. Hinzu kommt das Mittel der auf der Emotion der Scham aufbauenden sozialen Ächtung, wenn man Meinungen äußert, die aus der Sicht Linksidentitärer dem „rechten Lager“ zuzuordnen sind (also alles, was nicht in ihrem Sinne „links“ oder „demokratisch“ ist). Der evolutionäre Sinn dieser Mechanismen besteht im buchstäblich Existenziellsten, der Vermeidung des gewaltsamen Todes. Die längste Zeit in der Evolution unserer Gattung bedeutete das Sich-nicht-Einfügen in eine Gruppe, das Ausgestoßen-Werden aus der Gemeinschaft, den sicheren Tod in der Prärie oder eisiger Kälte. Unter hoch kulturalisierten Bedingungen wird das permanente Antriggern dieser evolutionären Signale nicht unbedingt den gesellschaftlichen Frieden stärken.

Die systematische Prämierung dieser primordialen Psychoeffekte durch „Spaltung“, „Schleuse“ und „kommunizierenden Röhren“ unterminiert nicht nur grundlegende Verfassungswerte, wie den gepflegten Dissens unter Staatsbürgern, sondern ist in ihren psychologischen Wirkungen außerordentlich destruktiv. Sowohl bei denjenigen, die die soziale Ächtung ausführen als auch denjenigen, die sozial geächtet werden, führt der Akt der Ächtung zu einer starken Solidarisierung innerhalb der jeweiligen Binnengruppe. Bei den Ächtern erkennt man sich wechselseitig als „gut“, als „Verteidiger der Demokratie“, als diejenigen, die ein „neues 1933“ verhindern usw. usf. Bei den Geächteten erkennt man sich wechselseitig als „Opfer“ des „Meinungskorridors“ und als Teil des von „Eliten“ geknechteten „Volkes“. Jedes „Opfer“ aber strebt danach sich seines Opferstatus durch die Wiederermächtigung der ohnmächtig erlebten Situation zu entledigen. Dadurch stauen sich bei den Geächteten starke Wiederermächtigungspotentiale an, die in der stark solidarisierten Binnengruppe auch noch weltanschaulich gepflegt werden („Wenn wir mal an der Macht sind, dann…“) und sich dadurch weiter verstärken. Gleichzeitig halten sich die Ächter durch die ihnen immer geschlossener gegenüberstehende Gruppe der Geächteten in immer höherem Maße für legitimiert, die Ächtung ins Werk zu setzen, so dass auch hier die Ächtungshandlungen ein beachtliches Radikalisierungspotential in sich bergen.

Geht diese Entwicklung so weiter, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Abwertungsspiralen noch stärker als bislang schon gewaltförmig manifestieren werden. Neben einschlägig bekannten Äußerungen aus der rechtsidentitären Bewegung („Volksteile“ entfernen, nicht zum Volk gehörige Personen „entsorgen“) sowie Gewalt gegen Politiker der Grünen, gibt es mehr als nur erste Vorboten auch bereits in linksidentitär beeinflussten Milieus. Der linksidentitäre Satiriker Jan Böhmermann rief in einer Sendung dazu auf, „Nazis“ zu „keulen“, ihnen also dieselbe Behandlung angedeihen zu lassen wie infizierten Tieren, nämlich deren massenhafte Tötung, um die weitere Ausbreitung von Seuchen zu verhindern. Das ist nichts anderes als ein Mordaufruf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Skandalisierung? Keine. Der pensionierte Schauspieler und Moderator Hape Kerkeling sprach in der Zeit der Massenpsychose, die Anfang 2024 durch die Correctiv-Verschwörungstheorie von dem „Potsdamer Geheimtreffen“ losgetreten wurde, von „defensiver Gewalt“, die nun gegen faschistische Tendenzen zu zeigen sei. Schon seit längerem kann man auf Demos zum Weltfrauentag skandalisierungsfrei mit dem Spruch „Kill all men“ mitlaufen. Auf Gegendemonstrationen zum „Marsch des Lebens“ waren Transparente mit dem Spruch zu sehen: „Hätte Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben.“ Im Zuge der jüngsten „Demos gegen rechts“ vor der Bundestagswahl 2025 kam es zu Besetzungen von CDU-Geschäftsstellen durch Linksradikale. Lokalpolitiker, insbesondere der AfD (und der Grünen), werden mittlerweile regelmäßig attackiert. Und dass auf „Demos gegen rechts“ gleichzeitig von der AfD ausgehender „Hass“ beklagt wird, während drei Meter weiter Menschen skandieren: „Ganz Berlin hasst die AfD“, gehört schon zur Folklore der Doppelmoral, die in dem linksautoritären Milieu endemisch geworden ist – beileibe nicht nur in Deutschland, wie Fälle aus der Schweiz zeigen. Hier weiß die rechte Gehirnhälfte offenbar nicht mehr, was die linke tut.

Lagerbildung und Meinungsfreiheit

Alarmierend angesichts dieser Dynamik ist der Umstand, dass in der letzten Legislaturperiode nun auch staatliche Organe bereits daran gearbeitet haben, die Meinungsfreiheit einzuschränken: Der ehemalige Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang sprach davon, „verbale und mentale Grenzverschiebungen in den Blick nehmen“ zu wollen. Innenministerin Faeser warnte davor, den Staat zu „verhöhnen“. Familienministerin Lisa Paus möchte Meinungsäußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ verfolgt sehen. Die linksidentitäre Cancel Culture, die sich bislang auf der Ebene nicht unmittelbar rechtsförmig geregelter Alltagssituationen und in Medien manifestierte, wurde damit während der Ampel-Legislatur auf die Ebene staatlichen Handelns hochgestuft. Seit Oktober 2024 wirken linksidentitär geprägte NGOs als „trusted flagger“ daran mit, wolkige Begriffe wie „Hass und Hetze“ und „Fake News“ zur Grundlage von Meinungsfreiheitseinschränkungen im Netz zu machen. Auch der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz hüllt sich weiterhin in Nebeldunst: „Fake News, Hatespeech und Straftaten („Offenses“)“ sollen weiterhin „Gegenstand rechtlicher Einschränkungen („legal restraints“)“ bleiben, verkündete er auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025. In einer rechtstaatlichen Demokratie aber müsste gelten: Wenn „Fake News“ und „Hatespeech“ zum Gegenstand rechtlicher Einschränkungen gemacht werden würden, dann müssen sie eben zu Straftaten erklärt werden – andernfalls ist die Einschränkung eben nicht rechtmäßig. Merz setzt hier unvermindert die Richtung fort, die die ehemalige Familienministerin Lisa Paus mit ihrer Formulierung von der Einschränkung der Meinungsfreiheit „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ vorgegeben hat.

Durch derartige politische Interventionen wird die skizzierte Dynamik weiter verschärft. Es werden geradezu Selektionsprämien für immer pointiertere Weltbilder und stärkere Solidarisierungen innerhalb der jeweiligen Binnengruppe ausgesetzt. Denn in einem Staat, der zukünftig möglicherweise auch die Botschaft aussendet, dass Meinungsäußerungen durch staatliche Organe beobachtet werden, müssen Menschen noch weltanschaulich gefestigter sein, um sich dann noch hörbar machen zu wollen. Je enger der Diskursraum, desto mehr profitieren wiederum die rechtsidentitären Kommunikationsprofis und andere Gruppierungen durch die thematischen (Quasi-)Monopole, die sie erhalten. Selbstverständlich könnte der Staat, der über Polizei und Geheimdienste verfügt, auch so repressiv werden, dass sich so gut wie niemand mehr zu Wort meldet – dann wäre die liberale Demokratie allerdings im Namen ihres Schutzes abgeschafft. Wer den Bundeswirtschaftsminister einen „Schwachkopf“ nennt, der weiß bereits, dass ihm die Hausdurchsuchung droht. Und in dem Magazin „60 Minutes“ traten im Februar 2025 feixende deutsche Staatsanwälte auf, die es superlustig fanden, wie Menschen reagieren, wenn man ihnen mit dem Einkassieren des Handys oder dem Laptop in einer digitalen Gesellschaft die Existenzgrundlage entzieht. Einer der Staatsanwälte bekundete sogar, dass das Einkassieren des Handys für die Betroffenen schlimmer als die mögliche Strafe sei – ein klarer Verstoß gegen das mit strafrechtlichen Ermittlungen verbundene Verhältnismäßigkeitsgebot.

Oder nehmen wir die Rede des US-amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2025. Die vielen sich entrüstet gebenden, den minimalsten argumentativen Aufwand scheuenden Reaktionen stellten schon eine performative Bestätigung der in der Rede geäußerten Auffassung dar, dass in Europa mit der freien und offenen Debatte gehörig etwas falsch läuft. Denn Demokratie wird zunehmend identifiziert mit einem bestimmten politischen Programm. Man kann freilich für einen europäischen Green Deal sein, man kann darauf hoffen, dass nicht bereits am ersten Tag der Präsidentschaft von Donald Trump der Frieden in der Ukraine ausbricht, man kann die Schriften der Queertheorie-Ikone Judith Butlers zur Grundlage eines Parteiprogramms machen, man kann für „offene Grenzen für alle“ eintreten. Aber man kann all das nicht zur unbezweifelbaren Grundlage für „unsere Demokratie“ erheben. Wer das tut, verlässt den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dem Freiheitsimpuls, der der liberal-demokratischen Grundordnung zu Grunde liegt, ist es wiederum zu eigen, dass man auch diesen Boden verlassen darf, solange man nicht aktiv-kämpferisch für ihre Abschaffung eintritt. Aber es gibt keine Garantie, dass dieser Punkt nicht bald kommt, wenn eine Lagerbildungsdynamik weiter fortschreitet, in der linksidentitäre Moralisten mit dem „Schutz der Demokratie“, der zugleich deren Verstümmelung bedeutet, fortwährend ihre ärgsten Gegner füttern, von denen es manche nicht minder auf die Auslöschung des demokratischen Liberalismus abgesehen haben.

Die weltanschaulichen Pole „rechtsidentitär“ vs. „linksidentitär“ weisen dabei auch entsprechende soziale Trägerschaften auf. Eine Studie der Universität Münster identifiziert die „Verteidiger“ und die Entdecker“. Die „Verteidiger“, etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, hängen eher ethnisch-religiösen Zugehörigkeitskonzepten an, stehen der EU skeptisch gegenüber, haben ein geringes Vertrauen in die Regierung und fühlen sich politisch marginalisiert. Die „Entdecker“ hingegen, etwa 15 Prozent der Bevölkerung, fühlen sich durch Migration nicht bedroht und zeigen sich zufrieden mit der EU, der deutschen Regierung und der Demokratie insgesamt. Ähnliche Muster zeigen sich auch in anderen europäischen Ländern.

Wenn man die gegenwärtig zu beobachtende Dynamik zwischen diesen beiden Gruppierungen durch eine politische Rhetorik des Ausschlusses noch anheizt, dann besteht die realistische Gefahr, dass sich links- und rechtsidentitäre Weltanschauung immer weiter vereindeutigen, gleichsam die soziale Realität immer mehr den weltanschaulichen Idealtypen entspricht. Die Gesellschaft wird sich so immer weiter nach diesen Polen sortieren und dialogisch-vermittelnde Positionen werden zunehmend aus dem Diskurs verschwinden. In den USA ist dieser Prozess, massiv begünstigt durch das dort vorhandene Zweiparteien-System, bereits weit fortgeschritten. Hier hat derzeit die rechtidentitäre Seite Oberwasser, die Jahre zuvor war es die linksidentitäre. Auch in Frankreich steht zunehmend ein geschlossen linker Parteienblock dem rechten, die eigene nationale Identität behauptenden und verteidigenden Rassemblement National gegenüber.

Durch die „Brandmauer“ ist die Bundesrepublik Deutschland bereits inmitten einer analogen Entwicklung – wie die Übernahme von Positionen der linksidentitären Grünen durch die CDU seit Merkel und jüngst auch durch Merz bereits zeigt. Die „Brandmauer“ führt in Deutschland faktisch zu einer Art Zweiparteien-System: Da steht dann die „böse“ AfD den „guten“ Parteien der „demokratischen Mitte“ gegenüber. Und die einst konservativen Anteile dieser „demokratischen Mitte“ folgen in der durch die Brandmauer befeuerten politischen Lagerbildungsdynamik Agenden, die – etwa in der Migrations-, Klimaschutz oder „Gender & Rassismus“-Frage – einst als linksradikal gegolten hätten.

Einen Kristallisationspunkt dieser Spaltung bildet der Kampf um Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt. Der Rhetorik entsprechend, die weite Teile der politischen, medialen und kulturellen Eliten an den Tag legen, sind dann AfD-Positionen per se „unsagbar“, stellen pauschal „Hass“ oder „Fake News“ dar, während sich das linkshegemoniale Milieu bruchlos mit „unserer Demokratie“ identifiziert, sie brav „verteidigt“, natürlich nie Doppelmoral an den Tag legt, stets redlich, ausgewogen und vollständig informiert und argumentiert, nur das Gute an sich im Sinn hat und die unhinterfragbare Normalität repräsentiert. Dieser destruktiven Dynamik, an der politisierte Sozialwissenschaften eine gehörige Mitverantwortung tragen, wohnt das Potential zu einem Bürgerkrieg in sich. Eine weitere Aushöhlung der Meinungsfreiheit und die Zunahme staatlicher Repression im Namen des „Demokratieschutzes“, der Bekämpfung von „Desinformation“ und „Hass und Hetze“ wird in der nächsten Zeit wohl das zentrale politische Mittel sein, um einen Konflikt, der wesentlich von eben jenem „Demokratieschutz“-Milieu befördert wird, noch weiter latent zu halten – mit der Folge, dass unter der mainstream-medial glatt polierten Oberfläche die Spannungen weiter anwachsen werden. Den freien und offenen, skeptischen und kontroversen Diskurs in Wissenschaft und Gesellschaft zu praktizieren, wird der entscheidende Baustein sein, damit sich die aufgeklärte, liberal-demokratische Gesellschaft nicht alsbald von der Bühne der Weltgeschichte schleicht.

i Ich danke André Sebastiani und Andrea Seaman für hilfreiche Kommentare zu einer ersten Fassung dieses Textes.

ii Udo Heyder (2025): Die Unvernunft des Freund-Feind-Denkens. Eine kritische Analyse aus logischer Sicht. In: Aufklärung & Kritik 1 (32), S. 199-206, hier S. 205

iii Inspiriert durch Überlegungen der französischen Psychologin Ariane Bilheran. Mir zur Kenntnis gebracht von Ulrike Guérot. https://de.linkedin.com/posts/golo-mielke_prof-ulrike-guerot-%C3%BCber-die-drei-charaktertypen-activity-7218132842780749824-nz9-

iv Coleman meint hier mit „Mainstream-Ansichten“ ganz offenbar Positionen, die in der breiten Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert sind, z. B. dass es nur zwei Geschlechter gibt oder unbegrenzte Migration durchaus seine Schattenseiten hat.

v Paul Coleman (2020 [2012]): zensiert. Wie europäische „Hassrede“-Gesetze die Meinungsfreiheit bedrohen, Basel: Fontis, S. 173

vi Bradley Campbell und Jason Manning (2014): Microaggression and Moral Cultures. In: Comparative Sociology 13 (6), S. 692-726

vii Sandra Kostner (2019): Identitätslinke Läuterungsagenda. Welche Folgen hat sie für Migrationsgesellschaften? In: dies.: Identitätslinke Läuterungsagenda. Eine Debatte zu ihren Folgen für Migrationsgesellschaften. Hannover: ibidem-Verlag, S. 17-73, hier S. 28

viii Aleida Assmann (2016 [2013]): Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München: Beck, S. 66

ix Dass die institutionalisierte Erinnerung an Kriege und Massenverbrechen den geschichtlichen Ausnahmefall darstellt, zeigt sehr schön der Althistoriker Christian Meier (2010): Das Gebot des Vergessens und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit, München: Siedler