Patrick Vermeren
A Skeptic's HR Dicitonary
The Good - the Bad - and the partially True
The ultimate self-defense guide for CEOs, HR professionals, I/O Students and Employees
Londerzeel (Belgien) 2019, 1117 S., ISBN 9-78908763478, € 125,-
Evidenzbasiertes Management ist ein aus den USA kommender Ansatz, der auf den Prinzipien der Evidenzbasierung aufbaut. Entscheidungen von Führungskräften und Personalmanagern sollen nicht mehr allein auf Grundlage intuitiver Eindrücke oder persönlicher Erfahrungen erfolgen, sondern vielmehr mit der besten verfügbaren Evidenz aus der wissenschaftlichen Forschung verknüpft werden.
Diesem Ansatz sieht sich der Autor verpflichtet und sieht darüber hinaus sogar eine moralische Pflicht zu einem evidenzbasierten Human Resources Management (HRM). Denn niemand möchte zum Narren gehalten werden oder viel Zeit und Geld in unwirksame beziehungsweise fragwürdige Methoden und Vorstellungen investieren. Doch fundierte Erkenntnisse und etablierte Methoden aus der Forschung setzen sich nur mühsam in der Praxis um. Angeboten und nachgefragt wird oft, was schön ausschaut, sich verkaufen und mit möglichst geringem (Denk-)Aufwand umsetzen lässt.
Dieses Buch richtet sich nicht an die unerschütterlichen Gläubigen, die emotional oder ideologisch so verstrickt sind, dass sie wahrscheinlich psychologische Abwehrreaktionen zeigen werden. Der Autor wendet sich vielmehr an die Menschen, die keine falschen Informationen verbreiten oder falschen Mythen anhängen möchten, sondern ihr Verhalte an professionellen und moralischen Standards ausrichten wollen. Darunter fallen auch diejenigen, die sich zu einzelnen Themen und Theorien bisher noch keine tiefgehenden Gedanken gemacht haben. Einfach, weil ihnen die Zeit fehlt, um sich intensiv mit den verschiedenen Behauptungen auseinanderzusetzen und entsprechende wissenschaftliche Literatur zu sichten. Vermeren hat diese anspruchsvolle Arbeit übernommen und präsentiert seine Ergebnisse auf über 1100 Seiten.
Der Autor hat ein Theorie-Empirie-Raster erstellt, das zwischen den Polen „schlechte“ und „solide Theorie“ sowie zwischen „empirisch bestätigt“ und „widerlegt“ differenziert. Nach diesen Kriterien ordnet Vermeren die im Buch behandelten Theorien in ein Koordinatensystem ein und verschafft dem Leser somit eine rasche Orientierung. Zu Beginn des Buches erklärt er die Vorteile einer wissenschaftlichen Herangehensweise und warum Pseudowissenschaften unmoralisch sind. In den folgenden Kapiteln behandelt er 25 gängige Mythen, Urbane Legenden, Modeerscheinungen und Fälle von komplettem Unfug. Dazu gehören sowohl Klassiker wie NLP, Grafologie, Trainings mit Pferden und
Organisationsaufstellung nach Bernd Hellinger, als auch die Transaktionsanalyse oder die bei Managern beliebte Bedürfnispyramide nach Maslow.
In diese Kategorie werden auch in der Praxis dominierende Persönlichkeitstests, wie Insights Discovery oder der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), eingeordnet. Der MBTI basiert auf den Konzepten des Schweizer Psychiaters Carl Gustav Jung. Diese wurden vor rund 100 Jahren entwickelt, als die wissenschaftliche Psychologie noch in den Kinderschuhen steckte. Das theoretische Fundament sei nach modernen wissenschaftlichen Maßstäben nicht solide, die Gütekriterien nicht überzeugend, so der Autor.
Grundsätzlich wird die Einteilung von Menschen in Typen der enormen Variation menschlicher Eigenschaften nicht ansatzweise gerecht. Doch auch so gängige Glaubenssätze, wonach die Effektivität unserer Kommunikation nur zu 7 % vom Inhalt, zu 55 % von der Körpersprache und zu 38 % von stimmlichen Anteilen abhänge, werden auf ihre Evidenz hin bewertet. In 15 weiteren Kapiteln beschäftigt sich Vermeren mit Themen, deren Effektivität teilweise belegt sind, wie Online-Trainings oder Feedback. Auch aktuelle Themen wie die Selbstorganisation von Teams, Big Data und HR Analytics oder die teils ideologisch anmutenden Verheißungen der „Positiven Psychologie“ werden überzeugend reflektiert.
Widerspricht die Theorie gültigen Theorien, oder rationalem Denken oder stellt sich gar als unüberprüfbar heraus? Gibt es nur eine gut gemachte Studie oder mehrere und wurden die Ergebnisse von unabhängigen Wissenschaftlern reproduziert? Ist die Methodik der Untersuchung unangemessen oder liegen sogar systematische Überprüfungen (Metaanalysen) vor? Zum Abschluss stellt der Autor in 15 Kapiteln Theorien und Praktiken vor, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als bestätigt angesehen werden dürfen. Dazu gehören eine Darstellung der besten Prädiktoren für berufliche Leistung bzw. Erfolg und die Konsequenzen für eine evidenzbasierte Personalauswahl. Auch zeigen 40 Jahre Forschung, dass Trainings zur Verhaltensmodellierung für den Erwerb sozial-kommunikativer Fähigkeiten gute Evidenz aufweisen. Das Gleiche gilt für einige Maßnahmen in der Personalentwicklung, die zumindest zufriedenstellende Effektstärken vorweisen können.
Patrick Vermeren ist HR-Experte, Berater, Coach und im Vorstand der belgischen Skeptikerorganisation SKEPP. Sein Buch schließt eine große Lücke im internationalen Sachbuchsegment. Es ist ihm mit dieser enormen Fleißarbeit gelungen, ein weltweit einmaliges Nachschlagewerk zusammenzustellen, das hoffentlich eine weite Verbreitung finden wird. Weitere Infos und Probekapitel stehen hier zur Verfügung.
Rouven Schäfer
Erstmals veröffentlicht in: Skeptiker 1/2020