Der Bibel-Code verschlüsselt angeblich eine Reihe von Prophezeiungen, die im hebräischen Originaltext der Thora (in weiten Teilen identisch mit dem Alten Testaments) enthalten sein sollen. Die Vorhersagen betreffen weltgeschichtliche Ereignisse, etwa die Terroranschläge vom 11. September 2001. Bekanntester Vertreter der Bibel-Code-Theorie ist der amerikanische Journalist Michael Drosnin.
Die Diskussion um verschlüsselte Botschaften und versteckte Bedeutungen in den heiligen Schriften hat in der jüdischen Mystik eine lange Tradition. Als erste Wissenschaftler befassten sich 1983 der israelische Mathematiker Eliyahu Rips und sein Mitarbeiter Doron Witztum mit dem Thema. Rips und Witztum ordneten den Text zunächst in so genannte äquidistante Buchstabenfolgen an. Diese entstehen, indem man beispielsweise nur jeden fünften oder zehnten Buchstaben berücksichtigt und Wortzwischenräume sowie Satzzeichen ignoriert. In den entstandenen Buchstabenfolgen suchten Witztum und Rips nach den Namen und Lebensdaten bedeutender jüdischer Persönlichkeiten. Um Zufallstreffer von absichtlich kodierten Wörtern zu unterscheiden, erstellten sie ein statistisches Modell. Tatsächlich förderte die Suche deutlich mehr Funde zutage, als die Wahrscheinlichkeit erwarten ließ. Wissenschaftliche Erklärungen schienen zu versagen, weil alle Personen erst nach Niederschrift der Thora lebten. 1994 veröffentlichten die Forscher ihre Arbeit in der renommierten Fachzeitschrift Statistical Science.
Von dieser Veröffentlichung angeregt entwickelte der Journalist Michael Drosnin seinen eigenen Code. Mit einer grob vereinfachten Variante von Rips’ Methode suchte er in der Thora nach Prophezeiungen zur Weltgeschichte. Tatsächlich fand er verschiedene Ereignisse sowie Angaben zu Persönlichkeiten wie Winston Churchill, Adolf Hitler und Jitzchak Rabin. Seine Ergebnisse veröffentlichte Drosnin 1997 im Buch „The Bible Code“ (dt. „Der Bibel Code“), ein zweiter Band erschien 2002. Im Gegensatz zu Rips und Witztum verzichtete Drosnin jedoch auf eine statistische Kontrolle und machte nur sehr spärliche Angaben zu seinen Suchexperimenten. Kritiker warfen daher ein, dass man auf diese Weise beliebige Botschaften aus nahezu jedem Buch herauslesen könne. Tatsächlich gelang es dem australischen Mathematiker Brendan McKay mit Drosnins Methode, vergleichbare „Prophezeiungen“ im Text von Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ aufzufinden. Unter Fachleuten stieß Drosnin durchweg auf Ablehnung.
Auch die Ergebnisse von Rips und Witztum werden durch neuere Studien in Frage gestellt. Demnach haben sie bei der Auswahl der gefundenen Persönlichkeiten, der Schreibeweise der Namen und der Erstellung des statistischen Modells jeweils die Möglichkeit mit der höchsten Trefferquote ausgewählt. Aus einer der vermeintlich bedeutendsten Entdeckungen der Wissenschaftsgeschichte ist somit inzwischen eine Banalität geworden, die im Forschungsbetrieb kaum noch eine Bedeutung hat.
Inge Hüsgen, Klaus Schmeh
Links:
- Witztum,D.; Rips, E.; Rosenberg,Y. (1994): Equidistant letter sequences in the Book of Genesis. In: Statistical Science. 9, S. 429-438.
- Brendan McKay: Did we really find codes in War and Peace? ("Every single one of our tricks was copied from Doron Witztum's own")
- Kritiker Michael Shermer zum Bibel-Code
Literatur:
- Drosnin, M. (1997): Der Bibel Code. Wilhelm Heyne Verlag, München.
- Drosnin,M (2002): Der Bibel Code II. Der Countdown. Wilhelm Heyne Verlag, München.
- Schmeh,K.(2006): Gibt es versteckte Botschaften in der Bibel? Skeptiker 3/2006, S. 88-91.
Stand: 15.03.2009