von W. Driessler
Der folgende kleine Artikel sucht Ideen, die imn Skeptical Inquirer (S1) schon wiederholt diskutiert wurden, systematisch mit eigenen zu verknüpfen und daraus Folgerungen für die Arbeit der GWUP zu ziehen - Skeptikerinnen mögen verzeihen, wenn ich aus sprachlichen Gründen nur die maskuline Form verwende.
I. Zustandsbeschreibung und Analyse der Ausgangssituation
Wer als bewußter Skeptiker mit Schlagworten wie "Wissenschaft", "Pseudowissenschaft" oder "Aberglaube" operiert, hat für, sich vermutlich eine Antwort auf die Frage gefunden, was wissenschaftliche Arbeit von anderen intellektuellen Betätigungen trennt und durch welche Eigenschaften sich wissenschaftlich begründete Aussagen vor anderen auszeichnen. ohne ein solches Fundament dürfte eine skeptische Grundhaltung angesichts mächtiger kultureller Gegenströmungen kaum durchhaltbar sein.
Was tut nun der Skeptiker, wenn er auf eine paranormal-pseudowissenschaftliche (pp) Behauptung stößt, die er auf eigene Faust nicht überprüfen kann? Es bleibt ihm keine andere Wahl, als die vorliegenden Informationen anhand aller seiner, die Frage berührende Vorkenntnisse zu bewerten. Kommt er auf diese Weise nicht zu klaren Schlüssen, muß er das Entscheidungsproblem "auf Eis" legen, bis die Informationslage sich bessert - denn ein systematisches Erweitern wissenschaftlicher Kenntnisse kommt wegen des erforderlichen Aufwandes ab einem gewissen Lebensalter kaum noch in Frage. Hier leistet eine Gruppe, die Wissensstand und Ressourcen der Mitglieder bündelt, schon einen nicht zu unterschätzenden Dienst.
Tatsächlich finden wir bis heute im SI neben Artikeln aufklärerischen, den Horizont von Skeptikern insgesamt erweiternden Charakters vornehmlich Argumente, die in erster Linie auf "debunking" abzielen - wobei ich diesen Begriff, der leider kein brauchbares deutsches Äquivalent besitzt, sehr weit fasse. Er reicht in meinem Sprachgebrauch vom Entlarven "paranormaler" Gabelbieger und der Herstellung überzeugend aussehender UFO-Fotos mit einfachsten Mitteln - über Auffinden, bzw. Erarbeiten, natürlicher, wissenschaftlich solider Erklärungen für merkwürdige Phänomene (z.B. das "Turiner Leichentuch"), sowie den Aufweis elementarer methodischer Fehler bei "wissenschaftlicher" Psi-Forschung (Projekt Alpha) - bis hin zu Artikeln, in denen die Inkonsistenz mancher pseudowissenschaftlich-mythisch-mystischer Gedankengebäude dargelegt wird; ja sogar psychologische Untersuchungen zur Manipulierbarkeit menschlicher Sinneswahrnehmungen
und Denkmuster gehören hierher. Methodisches debunking ist zweifellos ein erster, notwendiger Schritt und Grundlage jeder planvollen, auf langfristige Wirkung angelegten Tätigkeit einer GWUP, schafft aber im ersten Anlauf vorausgesetzt, daß Informationen über erfolgreiches debunking in geeigneten Organen verbreitet werden, lediglich eine Subkultur des organisierten Skeptizismus, deren Mitglieder in einigen Bereichen über gemeinsame Argumentationsgrundlagen verfügen. Ist nun die Bildung eines solchen Kerns auch Voraussetzung jedweder gesellschaftlich wirksamen Tätigkeit, so kann die Arbeit - bei unglücklicher Wahl der Methode - nur allzu leicht in eine Ghettoexistenz von Aktivisten münden, die nur noch mit ihresgleichen kommunizieren. Das genau aber wollen und müssen wir vermeiden. Im Gegenteil, wir müssen danach streben, möglichst viel intellektuelles Terrain jenseits unserer subkulturellen Spielwiese zu erobern. Beschränken wir uns nun darauf, im wesentlichen Information vom Typ "debunking" zu verbreiten, daß dieses Bemühen zur Sisyphusarbeit entarten, und zwar aus einer Reihe zusammenhängender Gründe:
- Reicher Erfahrung gemäß ist es kinderleicht, pp-Unfug zu erfinden, oder antiken (Unfug; die Red.) wieder auszugraben und aufzupolieren. Bei geringem Ehrgeiz ist es immer möglich, sich als Medium, UFO-Zeuge und Kaffeesatzleser einfach an einen bereits fahrenden Zug anzuhängen. "Debunking" ist demgegenüber schwierig und zeitraubend, so daß immer nur ein kleiner Teil aller "Fälle" in ausreichendem Detail bearbeitet werden kann.
- Nur ein Bruchteil aller potentiellen Adressaten wird von erfolgreichem debunking eines Phänomens je erfahren - da sind die Interessen unserer Medien-Zaren davor. Aufklärungen in Buchform aber haben von jeher nur wenige Menschen erreicht: Konnten früher die meisten nicht lesen oder sich Bücher leisten, ist man heute, wo diese in öffentlichen Bibliotheken stehen, kaum bereit, Zeit und Energie für deren Lektüre aufzuwenden. Hier ist anzumerken, daß die Aufklärer des 16. Jahrhunderts in erster Linie als Philosophen gegen religiösen Obskurantismus und aristokratische Vorrechte schrieben, das Problem des modernen Aufklärers ist davon doch recht verschieden.
- Von Nichtaktivisten des Skeptizismus werden Meldungen skeptischen Inhalts, wenn überhaupt, dann zumeist nur sporadisch und "von ferne" zur Kenntnis genommen. Fehlt eine angemessene intellektuelle Perspektive, mit deren Hilfe einander widersprechende Informationen ihrem Gehalt nach gewichtet werden können, wird eine solche zufällige Rezeption keinen dauerhaften Erfolg zeitigen, da die Wirkung von Propaganda (und darum handelt es sich unter diesem Blickwinkel) auf weitgehend passive Empfänger trifft.
- Aufnahme und Wichtung von pp -Information und -Gegeninformation werden dadurch beeinflußt, daß unser Ich (das wir in den westlichen Ländern -ganz und gar mythisch - für vollständig autonom halten) in hohem Maße vom sozialen Umfeld abhängt. D.h. unsere Reaktion auf Information und andere soziale Signale hängt von den Eigenschaften des Senders ab, ist also nicht objektiv. Zwar ist dies in einigen Berufsgruppen, z.B. bei Medizinern, die 4-m Rahmen von Arzneimitteltests den unausweichlichen Placebo-Effekt zu minimieren suchen, geläufig; Element des öffentlichen Bewußtseins ist es aber nicht und wird es auch auf absehbare Zeit nicht werden, denn für das Selbstwertgefühl des Einzelnen ist es in der westlichen, individualistischen Kultur zu unangenehm, diesen Gedanken denken zu müssen.
Astrologen, Gabelbieger, wunderheiler und sonstige pp-Praktiker aber wissen dies genau und können (gestützt auf einen historisch-kulturellen Bodensatz "wilden" Denkens in fast jeder Psyche, der einem in geeigneter Weise ritualisierten Auftreten hohen Prestigewert verleiht) ihre Selbstdarstellung samt Umgebung manipulieren, um vage formulierte Horoskope, mehr oder weniger dümmliche Heilsbotschaften und faule Tricks aller Art in optimaler Weise an den Mann und die Frau zu bringen. Dies ist ein strategischer Vorteil, dem wir Skeptiker keine auch nur annähernd wirksame Inszenierung entgegenstellen können. - Diesem Vorteil der Produzenten von pp-Information steht komplementär auf seiten der Empfänger eine unvergleichlich höhere Aufnahmebereitschaft als in traditionellen Gesellschaften gegenüber. Zunächst ist einfach empirisch festzuhalten, daß der Homo sapiens den Drang zu Sinngebung und Normsetzung hat, um seine Existenz ideologisch zu strukturieren und zu untermauern. Dabei brauchen die verschiedenen Elemente eines solchen 'Paketes", nicht notwendigerweise logisch miteinander vereinbar zu sein, solange sich die Widersprüche nicht auf die Alltagspraxis auswirken. Besagter Drang läßt in Stammesgesellschaften bei ökologisch stabiler Umwelt im Laufe der Generationen ein zufriedenstellendes Verhältnis zwischen der allen Mitgliedern (zumindest vom Zuschauen her) gemeinsamen Alltagserfahrung und einem Bündel von Schöpfungs- bzw. Ursprungsmythen, sowie Normen und Ritualen (zum Zwecke der Stabilisierung und Legitimierung der sozialen Ordnung) wachsen. Damit gelingt dann meist die Abdeckung (fast) aller psychischen Bedürfnisse. Alternative Ideologiepakete werden nicht angeboten oder sie werden erfolgreich abgewehrt, so daß es auch keine Dissidenten in unserem Sinne gibt.
Wir jedoch haben es mit einem raschen sozialen und technischen Wandel zu tun. Wir stellen ein Zunehmen der Undurchschaubarkeit gesellschaftlicher Abläufe fest. Dabei entdecken wir gleichzeitig neuartige, nicht abschätzbare Risiken, zunehmende Spezialisierung und Individualisierung der Lebenserfahrungen (die eine Kommunikation über vieles erschwert). Die Folgen sind eine (empfundene) Sinnentleerung des Daseins, Identitätskrisen und andere in der üblichen Kulturkritik ausgiebig diskutierte Erscheinungen. Es entsteht eine wachsende Nachfrage nach Lebenshilfe auf jeder Ebene, die unweigerlich entsprechende Anbieter auf den Plan ruft und so einen regelrechten Markt erzeugt. - Dieser Markt nimmt aber nicht jede beliebige "Ware" auf, sonst könnten wir einen traditionellen Schöpfungsmythos leicht durch ein gut ausgearbeitetes SF-Szenario ersetzen. Um Interessenten zu finden, müssen Botschaften ein bestimmte emotionale Anziehungskraft besitzen, die bei den wichtigen Formen des Aberglaubens auch reichlich vorhanden ist. Dies wird zwar von vielen Autoren im SI durchaus anerkannt, seltsamerweise aber niemals eingehend diskutiert. Dabei ist es leicht, drei Gründe für die erwähnte Anziehungskraft unmittelbar dingfest zu machen - wobei das Folgende sich nur auf Menschen in den "entwickelten" Ländern bezieht; wo Aberglaube Teil einer ungebrochenen kulturellen Tradition ist, liegt der Fall anders.
- Man sucht verzweifelt nach "Beweisen" für die Existenz einer immateriellen, unsterblichen Seele, seit die Wissenschaft den schlichten Glauben an die antiken Autoritäten seit ca. 400 Jahren allmählich untergräbt, indem sie den Homo sapiens zu einer Spezies unter anderen auf dem 3. Planeten eines durchschnittlichen Sternes an einem kosmisch gänzlich unbedeutenden Ort reduziert. Es ist bezeichnend, daß ein solch fragloser, schlichter Glaube heute oft als Kinderglaube abgetan wird, der häufig Kindern immer noch von klein auf eingetrichtert wird, während man sie vor der "Konkurrenz" nach Kräften abschirmt. Ursache dieser Spannungen ist der unaufhebbare Widerspruch zwischen instinktivem Selbsterhaltungstrieb und fast instinktivem Anthropozentrismus auf der einen - dem Bewußtsein des eigenen, irgendwann bevorstehenden Todes und den psychisch unerfreulichen Folgen des wissenschaftlichen Fortschrittes auf der anderen Seite.
- Nie zuvor haben so viele Menschen für jeweils so lange Zeit unter chronischen schmerzhaften oder in anderer Weise quälenden, allenfalls sehr langsam zum Tode führenden Krankheiten gelitten, nachdem die medizinische Wissenschaft die großen "Killer", die früher derartige Leiden gar nicht entstehen ließen oder zumindest abkürzten, unter Kontrolle brachte und heutzutage diese Leiden durch ihren Fortschritt immer mehr verlängert. Vordem bestand das Unglück zumeist in Schicksals-Schlägen- Ein plötzlicher Tod in der Verwandtschaft; Verlust des Eigentums durch Dürre, Heuschrecken, Rinderpest oder marodierende Soldaten; (überwiegend zeitlich begrenzte) Hungersnot ; .... Jedes solche traumatische Ereignis war kausal erklärbar, z.B. durch "Feindeinwirkung" (wie bösen Blick, Hexerei, die teuflischen Machenschaften der Juden oder Papisten) und den Zorn der Götter, bzw. der Ahnengeister, für den sich immer ein guter Grund finden läßt. Ansonsten konnte es als Prüfung oder Teil des Karma gerechtfertigt und durch den Glauben an ausgleichende Gerechtigkeit relativiert, auf jeden Fall aber mit Hilfe der größtenteils angeborenen Fähigkeit, mittels Trauerarbeit Schläge zu bewältigen, überwunden werden. Chronisches Leiden ist in diesem Ausmaß etwas gänzlich Neues und viel schwerer zu ertragen, besonders dann, wenn die Medien täglich zeigen, wie sich Exdiktatoren, Waffenschieber und Mafia-Bosse exklusiv amüsieren und der Glaube an die ausgleichende Gerechtigkeit einer Höllenstrafe nicht mehr recht greift.
Eine ganz ähnliche Wirkung übt die chronisch erbärmliche, oft ausweglos erscheinende psychische Lage aus, in der sich unzählige Menschen heute befinden, weil sie mit sich und ihrer Umwelt nicht klarkommen können, Hauptursachen hierfür sind meines Erachtens
- Konfliktpotentiale, die früher nicht existierten oder durch Tradition und soziale Normen eingedämmt waren;
- die Wahl- und daher Irrtumsmöglichkeit des modernen Menschen, die insbesondere, dank des abendländischen Mythos von der Liebe als Grundlage einer stabilen Partnerschaft geradewegs in die "Beziehungskiste" führen;
- schließlich das tägliche Mitansehenmüssen, wie andere Chancen wahrnehmen, die man selbst nie hatte oder infolge vergangener und nicht mehr reparierbarer Fehler versäumte.
Es scheint, als sei der Preis der Freiheit oftmals Desorientierung, Selbstzweifel und Handlungsunfähigkeit mit den entsprechenden Folgen für die Psyche.
In dem Maße nun, wie Psychologie, Medizin oder Sozialpädagogik keine wirkungsvolle Hilfe in derartigen Leidenssituationen anbieten können, werden pp-Heils- und Linderungsangebote oder Verhaltensanweisungen begierig aufgenommen; dies umso mehr, als angesichts der Naturbeherrschung, die uns die Wissenschaft bereits bescherte, einfache Formeln der Resignation wie "Gottes Wege sind unerforschlich" oder "Leiden sammelt unsere Sinne
nicht mehr ohne weiteres akzeptabel sind. - Nie zuvor mußten so viele Menschen potentiell weitreichende und folgenschwere Entscheidungen unter Zeitdruck und auf der Basis unzureichender Informationen über deren Voraussetzungen und Folgen treffen. Daher ist es vielleicht kein Zufall, daß die Astrologie, deren Voraussagen und Handlungsanweisungen in der Antike Fürsten und Generäle vorbehalten waren in diesem Jahrhundert - diesmal an die Massen gerichtet - wiederauflebte. Je größer die Chancen und Risiken einer Situation, umso stärker die Versuchung, sich paranormaler Hilfe zu versichern. So erklärt sich leicht, warum US-Topmanager auf Uri Gellers angeblichen Fähigkeiten zu paranormalem Aufspüren von Erzlagerstätten hereinfallen. Selbst wenn jemand bis dato solche Hilfe nicht in Anspruch nahm, so dürfte der Glaube an deren prinzipielle Möglichkeit äußerst tröstlich sein.
Wie andere, bereits genannte, Verhaltensweisen und -tendenzen auch, ist dies meines Erachtens eine anthropologische Konstante. Bei technologisch primitiven Jägern z.B. steht der Aufwand an Gebeten, Ritualen und Beschwörungen vor einer Jagdexpedition in direktem Verhältnis zu der Bedeutung, die das Jagdergebnis für die Ernährung der Gruppe haben würde, bei der Gefahr, mit der die Jagd selbst verbunden ist (man denke an Mammut, Bison oder Wal), aber in umgekehrtem Verhältnis zur Erfolgswahrscheinlichkeit.
Nach der Aufzählung wichtiger Hindernisse für einen raschen und weitreichenden Erfolg unserer Arbeit nun noch einige Bemerkungen zu dem Bild, das sich daraus ergibt.
Die Punkte E) und F) gehören für den modernen Menschen zu dem, was Philosophen gern die "Conditio humana" nennen. Zwar lassen sich aus dieser beileibe nicht alle Formen von Aberglauben herleiten (denken wir an das "Bermuda Dreieck" oder das "Loch-Ness-Monster", die anscheinend nur vom Sensationswert leben!)., jedoch scheint mir hier die Hauptenergiequelle für die Anfälligkeit dem Aberglauben gegenüber zu liegen.
Die anfänglich behauptete Verknüpfung der Faktoren A) bis F) läßt sich nun genauer beschreiben: Sie können alle als Elemente eines Netzes von Regelkreisen mit jeweils positiver Rückkopplung aufgefaßt werden. "Natürliche" Gegenkräfte, die ein fortlaufendes Hochschaukeln dieses Regelnetzes dämpfen oder sogar umkehren könnten, sehe ich nicht - dabei erschöpft meine Aufzählung die Gesamtheit der verstärkt wirkenden Einflüsse bei weitem nicht. Die erwähnten Faktoren reichen jedoch aus, um die Resistenz des Aberglaubens gegenüber Argumenten und das derzeitige Anwachsen der pp-Welle nicht nur in den "entwickelten" Ländern, sondern auch z.B. in Südamerika (durch den Verfasser selbst beobachtet) etwas zwingender zu erklären, als dies bisher geschah. Ferner lassen sie, jedenfalls bei mir, Zweifel an der langfristigen Wirkung erfolgreicher "class room demonstrations", wie sie im SI berichtet wurden, aufkommen; zuguterletzt deuten sie auch auf einige der spezifischen Argumentationshandicaps hin, denen wir Skeptiker in der Diskussion um solche Fragen unterliegen und die wir kaum beeinflussen können.
Von diesen Handicaps will ich der Kürze halber nur eines ansprechen, das - unabhängig von speziellen Inhalten - in jeder Diskussion um pp-Themen auftaucht. Sobald ich nämlich meinem Gesprächspartner sage (oder nur impliziere), daß es keine vernünftigen Gründe für seinen Glauben an dieses oder jenes gibt, muß das für ihn so aussehen, als hielte ich ihn für dümmer/leichtgläubiger/weniger informiert/ ... als mich selbst, d.h., ich kränke sein Ego, ob ich will oder nicht. Die taktische Frage, wie dieser Effekt durch geeignete Argumentationsstrategien minimiert werden kann, erscheint mir überaus wichtig. Leider kann ich zu einer Antwort nichts Intelligentes beisteuern.
II. Folgerungen für die GWUP
Soweit die Darstellung unserer Ausgangslage, von der ich annehme, daß viele Skeptiker ihr grundsätzlich zustimmen werden. Sollte sich dazu überzeugende Gegengründe aufführen lassen, so müßten diese präzise formuliert und anschließend systematisch propagiert werden, um die aktive Mitarbeit für Sympathisanten unserer Sache attraktiv zu machen. Kann indes die Kollektivintelligenz der GWUP solche Gegengründe nicht in ausreichendem Maße aufspüren, müssen wir eingehend über eine Zielsetzung für unsere Arbeit reden, die für noch zögernde Kandidaten trotz einer so pessimistischen Beurteilung der Lage interessant und aussichtsreich erscheint.
Ein solche Zielsetzung kann ich natürlich nicht aus dem Hut zaubern, möchte aber dazu als Ausgangspunkt für eine interne Diskussion einen ehrgeizigen Vorschlag machen. Aus den Punkten A) - F) ergibt sich für mich zwingend, daß sich günstigstenfalls ein "Reservat" rationalen und wissenschaftlichen Denkens schaffen und verteidigen läßt, in dem die Aktivisten - ob GWUP oder nicht - als "Umweltschützer", bzw. "Wildhüter" dienen. Um dieses Reservat zu bevölkern, benötigen wir eine Änderung des intellektuellen Klimas, durch die gewisse Teile der Bevölkerung, die dp-m Einfluß des von mir postulierten Regelnetzes weniger stark unterliegen und auf die wir uns deshalb konzentrieren müssen, einigermaßen gegen den pseudo-, bzw. antiwissenschaftlichen Unsinn, der ständig auf uns alle herabregnet, immunisiert werden.
Um anzudeuten, wo wir meiner Meinung nach zu diesem Zweck ansetzen können, teile ich die möglichen Adressaten unserer Arbeit in drei, in sich noch sehr heterogene, Gruppen ein:
- Wissenschaftler
- partielle Laien (pL)
- absolute Laien (aL)
Unter a) fallen alle Personen, die wenigstens eine zeitlang selbst wissenschaftliche Forschung betrieben haben. Ihnen wird kaum jemand bestreiten wollen, daß sie als einzige in der Lage sind, ein aktuelles Experiment oder eine neue Theorie ihres Spezialgebietes zu beurteilen. Problematisch wird es erst, wenn
sie sich Außenstehenden gegenüber zu ihrem Fach oder gar zu anderen, mit demselben nur in mehr oder weniger loser Beziehung stehenden Fragen äußern und dabei
- mit Eifer einen elitären, wissenschaftsesoterischen Jargon pflegen;
- der anscheinend unausrottbaren Tendenz erliegen, die Reichweite der eigenen Kenntnisse und die Möglichkeiten des eigenen Faches insgesamt zu überschätzen - dies wird immer dann gefährlich, wenn Politiker klare Antworten zu Fragen verlangen (und leider allzu oft erhalten), die dem Stand unseres Wissens nach bestenfalls grobe Vermutungen erlauben;
- persönlichen Vorurteilen und ideologischen Scheuklappen in scheinbar wissenschaftlich fundierten Aussagen Raumn geben, ohne dies einzugestehen.
Fehlverhalten dieser Art wirkt sich besonders negativ auf die Gruppe der pL aus, zu der ich alle Personen rechne, die irgend einmal einigermaßen intensive Berührung mit Wissenschaft hatten oder noch haben: Ingenieure, Wissenschaftsjournalisten, Lehrer entsprechender Schulfächer, Hobbyastronomen, etc. Den pL kommt eine Schlüsselstellung zu, denn sie können als Multiplikatoren wissenschaftlichen Denkens wirken, zugleich dürften sie - bei erhöhter Bereitschaft, Artikel, wie sie für den SI typisch sind, konzentriert durchlesen - aus diesen unvergleichlich mehr Nutzen ziehen als die aL. Andererseits sehen sie die sozialen und ökologischen Folgen des wissenschaftlichen Fortschritts innerhalb der modernen Gesellschaft weitaus klarer als jene, sind dank ihrer Kenntnis auch zumindest fähig, öffentliche Fehlleistungen von Wissenschaftlern als solche zu erkennen oder wenigstens zu erahnen. Mangelndes Wissenschaftsverständnis und begreifliche Unterlegenheitsgefühle den sich gottähnlich gebärdenden Spezialisten gegenüber können diese pL dann dazu verleiten, aus den ihnen zugänglichen Informationen unangemessene Schlüsse bezüglich der Wissenschaft insgesamt zu ziehen, was ihrer für uns erwünschten Multiplikationsfunktion abträglich ist. Auf eben dieser Basis erkläre ich mir die Prominenz von pL in so vielen pseudo-wissenschaftlichen Bewegungen, womit ich jedoch keinesfalls ausschließen will, daß ein Teil von ihnen sehr wohl weiß, was Sache ist, und lediglich die blanke Unkenntnis der aL zynisch für sich ausnutzt.
aL sind, um das noch zu präzisieren, Personen, die mit der Wissenschaft, wenn überhaupt, nur eine flüchtige Berührung ohne jede Langzeitwirkung hatten. Diese Gruppe umfaßt also alle denkbaren Typen von den berüchtigten "Bild-Lesern" bis zu hochkarätigen Intellektuellen nichtwissenschaftlicher Sparten. Für diese aL dürfte das Prestige der Wissenschaften und ihrer Vertreter das einzige nicht ausschließlich subjektive Kriterium sein, mit dessen Hilfe die Glaubwürdigkeit der von den jeweiligen Kontrahenten angebotenen, sich wechselseitig widersprechenden Informationen beurteilt wird: Wer vom Thema nichts versteht, bewertet vorab den Status des Sprechers/Schreibers nach dessen persönlichem Auftreten und Stil, sowie dem Prestige der sozialen Gruppe, mit welcher er denselben identifiziert, erst dann beurteilt er den Inhalt der vorliegenden Äußerung.
Für die Arbeit der GWUP ergeben sich demnach, vom debunking abgesehen, zwei mögliche Stoßrichtungen: Erstens ein Steigern des Prestiges der Wissenschaft und Wissenschaftler in den Augen derjenigen p- und a-Laien, die von für dieses Prestige bedeutsamen Ergebnissen und Äußerungen Notiz nehmen; zweitens ein Fördern des Wissenschaftsverständnisses möglichst breiter Kreise, ohne welches die unter Punkt C) erwähnte "intellektuelle Perspektive" nicht zustandekommen kann - unsere Satzung fordert zwar die Förderung "kritischen Denkens", Kritik ohne ein solide Grundlage von Kenntnissen und Konzepten aber führt meines Erachtens nicht weit.
Was Punkt eins betrifft, müßten GWUP-Mitglieder als wachsames Auge öffentliche Entgleisung von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Experten sogleich monieren, desgleichen aber Vorwürfe an die Wissenschaft zurückweisen 1 die eigentlich z.B. machthungrigen und nur auf den nächsten Wahlsieg bedachten Politikern gemacht werden müßten.
Je mehr Polemik dadurch ausgelöst würde, umso besser wäre es für uns, solange wir das Image einer unparteilichen Organisation verteidigen könnten.
Im Hinblick auf Punkt zwei müßte die GWUP zunächst für sich selbst ein den gängigen Vorstellungen möglichst weit überlegenes, für ansprechbare p- und a-Laien trotzdem geistig nachvollziehbares Wissenschaftsverständnis erarbeiten und danach propagieren, wo immer sich die Gelegenheit dazu zeigt - die durch die Arbeit an Punkt eins häufig geschaffen werden könnte.
Wie weit ein solches Projekt realisierbar wäre, muß vorerst offen bleiben, klar aber ist, daß uns bei diesem Unterfangen niemand Gehör schenken wird, wenn wir uns nicht vorab durch überzeugendes Auftreten selbst ein entsprechendes Prestige bei den erhofften Ansprechpartnern verschaffen können, denn auf höherer Ebene kommt hier die letzte Bemerkung in Teil eins zum Tragen.
Nun ist anzunehmen, daß auch ein über längere Zeit hinweg durchgehaltenes, wohlrecherchiertes und -argumentiertes debunking uns bei dem fraglichen Personenkreis ein gewisses Prestige liefern wird. Ich meine jedoch, daß wir weiter ausgreifen sollten; denn wenn es zutrifft, daß die Deutschen den "Hang zur Theorie" haben, im Unterschied zu den mehr empiristisch orientierten Angelsachsen, werden wir uns über kurz oder lang, insbesonders von den pL, Fragen nach unserer Auffassung von Wissenschaft, wissenschaftlicher Arbeit, der Bedeutung von Occam's Razor (OR), etc., gefallen lassen müssen. Wenn wir unfähig sind, darauf mit (fast) einer Stimme überzeugend zu antworten, wird unser Prestige bei vielen der Leute, auf die es für uns ankommt, Schaden nehmen.
Der berühmt-berüchtigte OR kann hier unter mehreren Gesichtspunkten als ein Beispiel dienen. Die im "Skeptiker" nachgedruckte Zuschrift von E. Shneour im SI hat, soweit mir bekannt ist, bis jetzt keinen nennenswerten Protest seitens anderer SI-Leser ausgelöst; dabei sind verschiedenen, in jener Zuschrift angebotenen Explikationen des OR, der leider in ganz unterschiedlichen Versionen zitiert zu werden pflegt, ziemlich armselig.
Was William von Occam selbst mit seinem OR sagen wollte, würde sich vermutlich erst nach einigem Studium des philosophischen Hintergrundes erschließen und wäre für unsere heutigen Bedürfnisse
sicher unbrauchbar. Eine Explikation des Kalibers "die einfachste Erklärung ist immer die beste" aber ist, soweit es mich betrifft, Unfug, wenn die Bedeutung des Adjektives "einfach" nicht völlig verdreht werden soll. Denn wie sollen wir einen der kompliziertesten Zaubertricks von James Randi erklären, wenn nicht mit einem komplizierten Zusammenwirken (möglicherweise einfacher) physikalischer Prinzipien mit gewissen Eigenschaften des menschlichen Sehapparates, allgemeiner, des Gehirns (an denen sicher nichts einfach ist)? Oder betrachten wir ein modernes Experiment der Elementarteilchenphysik, wo ultrakalte Neutronen in magnetischen Flaschen eingeschlossen und dort festgehalten werden, um ihre Eigenschaften genauer als bisher zu bestimmen. Da wird in der Praxis irgendwo eingeschaltet, vielleicht summt es, Oszillographen flackern, es bildet sich Ozon, ... schließlich druckt der Computer etwas aus, aber sehen tut man nichts.
Fragt nun ein pL. "Was geht hier vor sich"?, gibt es für die wahrnehmbare zeitliche Folge "Einschalten-Summen-Ozon-Computerausdruck" eine Menge ganz einfacher, plausibler, aber grundfalscher Erklärungen. Derartige Beispiele gibt es reichlich, ja, sie sollten uns dazu veranlassen, in vielen Situationen die "einfachste" Erklärung mit äußerstem Mißtrauen aufzunehmen.
Analoge Einwände wären auch gegen die übrigen von E. Shneour angebotenen, zu einander nur mäßig synonymen Explikationen angebracht. Es fragt sich daher, ob der fehlende Widerspruch auf wohlgemeinte Rücksichtnahme oder stillschweigende Zustimmung zurückzuführen ist. Wie dem auch sei, so geht es auf die Dauer nicht!
Um diesem Artikel seinen rein destruktiven Charakter zu nehmen, folgt hier mein Vorschlag einer Explikation des OR:" Zur Erklärung bisher unerklärter oder neuartiger Phänomene sind bekannte und bewährte Prinzipien heranzuziehen, solange dies noch einigermaßen erfolgversprechend erscheint". Damit wäre einem Fragesteller kaum schon alles klar, aber von hier aus könnte sinnvoll weitergefragt werden, was unter "bewährten Prinzipien" und "einigermaßen erfolgversprechend" im Einzelfalle zu verstehen ist und was zu tun ist, wenn das Problem irgendwann auf dieser Basis allein nicht mehr lösbar erscheint, statt sich über die Semantik von "einfach" streiten zu müssen. Meine Formulierung liefert übrigens als Korollar zwingend den Schluß, auf den auch E. Shneour hinaus wollte, daß wir nämlich die Existenz eines Phänomenes schlicht leugnen bzw. für dasselbe eine natürliche (nicht einfache!!) Erklärung annehmen können, wenn debunking in vielen ähnlichen Fällen bereits erfolgreich war oder es unter vernünftigen, in ihrer Strenge begründbaren Versuchsbedingung nicht reproduzierbar ist, ohne daß andere als ad-hoc-Erklärungen dafür geboten werden.
Damit erhebt sich die Frage, wie wir es, nicht nur in Bezug auf den OR, sondern auch andere fachübergreifende Fragen, besser machen können. An die Wissenschaftsphilosophen können wir uns dabei kaum halten, denn sie haben, wo sie noch einigermaßen allgemeinverständlich reden oder schreiben, wenig Hilfreiches zu diesen Problemen geäußert, wobei ich Sir Karl, ungeachtet aller seiner Verdienste, nicht ausnehme. Was mir statt dessen vorschwebt, wäre eine ständige Kommission von GWUP-Mitgliedern geeigneter Zusammensetzung, die - ausgehend von einer embryonalen Liste roh gefaßte Aussagen, fachübergreifender Fragen - im Zuge einer fortlaufenden internen Diskussion und als Reaktion auf ständig wiederkehrende Fragen und Einwände diese Liste immer wieder verfeinert und ergänzt, soweit sich der Konsens unter der Mitgliederschaft dazu treiben läßt.
Wenn ein derartiges Unterfangen auch aufwendig werden dürfte, steht doch - von jedem individuellen Erkenntnisgewinn einmal abgesehen - unzweifelhaft fest, daß jeder Fortschritt im Wissenschaftsverständnis aller GWUP-Mitglieder (selbst wenn dieser oder jener Punkt nicht konsensfähig wird) sich nur positiv in der Auseinandersetzung mit Vertretern jedweder Pseudowissenschaft, argumentationsfreudigen Philosophen à la P. Feyerabend und sonstigen Kritikern einer skeptischen Grundeinstellung auswirken kann.
Selbstredend ist nicht zu erwarten, daß über alle in diesem Zusammenhang bedeutsamen Fragen ein Konsens zustande kommen wird. Dazu müßten wir ein Haufen bestehend aus Übermenschen sein, der auf Kommando seine jeweilige (partielle) wissenschaftliche Sozialisation verleugnen könnte. Aber eine Plattform, die potentielle neue Mitarbeiter davon überzeugt, daß wir begrifflich-theoretisch auf sicherem Boden stehen, sollte doch innerhalb unserer intellektuellen Reichweite liegen.
Dieser Beitrag erschien im "Skeptiker" 1/1988.