Eingebildete Gefahren
Johannes Bergler
Wissenschaftliche Erkenntnisse eröffnen regelmäßig neue Möglichkeiten, die Welt zu gestalten. Dies löst in der Gesellschaft häufig Ängste aus, da es Laien schwer fällt, die Chancen und Risiken zu bewerten. Diese mittels angsteinflößender Schlagworte und Szenarien zu manipulieren. Ist solch ein schlechtes Image erst einmal etabliert, lässt es sich mit rationalen Argumenten nur sehr schwer berichtigen. Dies führt oft dazu, dass wichtige Entwicklungen verzögert und wertvolle Chancen verpasst werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Grüne Gentechnik. Wie bei vielen leidenschaftlich geführten Debatten, bleibt auch in diesem Fall die rationale Analyse der Argumente und Schlagworte nicht selten auf der Strecke. Deshalb möchte ich im Folgenden die häufigsten Argumente gegen die Grüne Gentechnik diskutieren und Vor- und Nachteile von Gentechnik und konventionellen Zuchtmethoden vergleichen.
Genetik und Gentechnik
Die Genetik ist die Wissenschaft von der Codierung, Speicherung, Anwendung und Vererbung der Informationen, die nötig sind um Entwicklung, Eigenschaften und Fähigkeiten jedes Lebewesens zu steuern. Der erste Schritt zur Aufklärung dieser Vorgänge war die Entdeckung der Mendelschen Regeln, es folgten die Chromosomentheorie der Vererbung, die Aufklärung der chemischen und räumlichen Struktur der Erbsubstanz DNA (Deoxyribonukleinsäure, engl. deoxyribonucleic acid), die Entschlüsselung des für alle bekannten Lebewesen gültigen genetischen Codes und viele weitere Entdeckungen.
Dabei zeigte sich, dass das Leben digital ist: Die komplette Information ist abstrakt gespeichert, in Form der Sequenz aus den vier Nukleotiden Guanin, Adenin, Thymin und Cytosin, die als Glieder zweier komplementärer Molekülketten die bekannte DNA-Doppelhelix bilden. Beim Ablesen eines Gens wird davon eine RNA (Ribonukleinsäure)-Kopie hergestellt. Die Information manifestiert sich meist erst nach der Translation, der Übersetzung der RNA-Sequenz mittels des genetischen Codes in eine Kette von Aminosäuren, in Form des so entstandenen Proteins. Eine codierende Sequenz zusammen mit den dazugehörigen Steuerelementen wird im Allgemeinen als ein „Gen“ bezeichnet.
Die Gentechnik wendet dieses Wissen an: Molekularbiologen haben inzwischen zahlreiche Enzyme entdeckt, welche die DNA bearbeiten: Polymerasen, die komplementäre Stränge zu vorhandenen Strängen herstellen, Restriktionsenzyme, die an Stellen mit einem bestimmten Sequenzmotiv die Doppelhelix zerschneiden, Ligasen, die die Stränge wieder zusammenfügen, und viele mehr. Im Reagenzglas kann man so im Zusammenspiel mit chemischen Methoden DNA-Moleküle fast wie mit einem Textverarbeitungsprogramm verändern. Dies eröffnet einerseits viele Möglichkeiten zur Erforschung der Funktion von bestimmten Genen, andererseits kann man nun Gene mit einer bekannten Funktion in Organismen ausschalten, ihre Regulierung verändern oder ein Gen in eine andere Art übertragen und somit gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) herstellen.
Psychologische Konflikte
Das Phänomen, das wir "Leben" nennen, inklusive unseres Bewusstseins, Erlebens und unserer Emotionen, entsteht allein aus den unglaublich komplexen Wechselwirkungen der Moleküle unseres Körpers, gestaltet während der großartigen Kettenreaktion namens Evolution, die mit dem Auftauchen der ersten selbstreproduzierenden Einheiten vor über drei Milliarden Jahren begann. In meinen Augen ist es eine wunderbare und ehrfurchterregende Vorstellung, dass die ganze Diversität und Schönheit der Phänomene in der Biosphäre unserer Erde eine Emergenz simpler chemischer und physikalischer Prinzipien sind und mit diesen streng logisch und lückenlos erklärt werden können.
Für manche Menschen stellt dies jedoch eine tiefe Kränkung dar, weil ihre empfundene Sonderstellung in Abrede gestellt
wird. Besonders seit Wissen und Technologie uns befähigen, in beinahe jede Ebene der Lebensvorgänge einzugreifen und sie nach unseren Vorstellungen zu verändern, hört man Vorwürfe wie "die Wissenschaftler wollen Gott spielen"
und "da werden Grenzen übertreten, die der Mensch nicht übertreten sollte".
Dass die Menschheit mit einem starren Festhalten an vermeintlich „naturgegebenen Grenzen“ noch nicht einmal das Feuer gezähmt, geschweige denn Impfstoffe oder die Transplantationsmedizin entwickelt hätte, sollte als Gegenargument genügen. Dennoch spielen solche Konflikte in der Meinungsbildung zum Thema Gentechnik durchaus eine Rolle.
Kommerzielle Gentechnik
Viele Menschen befürchten, dass die Gentechnik in den Händen internationaler Konzerne unverantwortlich eingesetzt werden könnte. Raffinierte „Terminator“-Konstrukte, die eine Wiederaussaat unmöglich machen und zum Neukauf von Saatgut zwingen, oder Sorten mit Pestizidresistenzen, die zum übermäßigen Einsatz von Giften verleiten können, werden gerne als Beispiele für ethisch und ökologisch bedenkliche Produkte genannt.
Diese Anwendungen sind jedoch weit weniger "böse" als oft dargestellt. Zum einen ist es das gute Recht einer Firma, ihr geistiges Eigentum durch einen "Kopierschutz" zu sichern. Schließlich existiert auch für konventionell gezüchtete Sorten ein "Patent": der Sortenschutz. Und pestizidresistente Sorten dienen keineswegs zum Ankurbeln der Pestizidverkäufe. Im Gegenteil: Früher musste vor der Aussaat der Acker so gründlich mit Herbiziden behandelt werden, dass alle Unkrautsamen abgetötet wurden, da nach dem Ausbringen der Nutzpflanzennicht mehr gespritzt werden konnte.
Resistente Sorten ermöglichen den Einsatz der Pestizide auch während der Wuchsphase, wodurch dosiert und flexibel auf den jeweiligen Unkrautwuchs reagiert werden kann. Die damit verbundene Verringerung der benötigten Pestizidmenge kommt sowohl der Umwelt als auch dem Landwirt zugute, denn Pflanzenschutzmittel sind teuer. Zudem gibt es auch konventionelle Sorten, die unbrauchbares Saatgut produzieren oder diverse Resistenzen besitzen.
Natürlich lassen sich auch bei der Arbeit mit GVOs unerwartete Nebenwirkungen oder unsachgemäßer Verwendung niemals gänzlich ausschließen. Die enorme Aufmerksamkeit und das strenge Testprotokoll (1), die jede Zulassung neuer GVOs für die Landwirtschaft begleiten, vor allem aber das drohende PR-Desaster bei Problemen mit GVOs führen jedoch eher zu übergroßer Vorsicht seitens der Konzerne.
Dabei spielen die Konzerne eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Technologien. Zum einen stellen sie Mittel für die Forschung bereit, wo staatliche Förderung fehlt. Besonders die Agrarforschung musste in der Vergangenheit deutliche Einschränkungen hinnehmen, nicht zuletzt wegen der intensiven Lobbyarbeit von Gegnern biotechnologischer Projekte in der Landwirtschaft. Zum anderen ist für die Umsetzung neuer Entdeckungen fast immer ein Unternehmen notwendig, das ein Produkt entwickelt. Nur so wird wissenschaftlicher Fortschritt für die Allgemeinheit zugänglich.
Wissenschaftler und Firmen sind jedoch selbst dann nicht vor Protesten und Vorwürfen sicher, wenn sie ihre gentechnischen Projekte ausdrücklich den Ärmsten zugute kommen lassen und aktiv dafür sorgen, dass weder sie selbst noch beteiligte Konzerne finanzielle Gewinne machen. Ein Beispiel: Ingo Potrykus und Peter Beyer entwickelten eine Reissorte mit zwei zusätzlichen Genen – aus der Narzisse und einem Bakterium – die beta-Carotin, eine Vorstufe von Vitamin A enthält. Das beta-Carotin färbt die Körner gelblich, daher der Sortenname: Goldener Reis.
In Ländern, wo die Armut Menschen zu einer sehr einseitigen Ernährung zwingt, führt Vitamin A-Mangel jährlich zu mehreren Millionen Todesfällen und Erblindungen, überwiegend unter Kindern und Schwangeren. Der Goldene Reis könnte diese Mangelernährung lindern. Deshalb haben die Entwickler die Sorte symbolisch für humanitäre Zwecke verschenkt und 32 beteiligte Firmen und Universitäten überzeugt, auf Gebühren für ihre Rechte an der Sorte zu verzichten (3; Potrykus 2001).
Trotzdem gab es harsche Kritik: der geringe beta-Carotingehalt decke nicht den Tagesbedarf; der Reis sei unnötig, es müssten nur mehr Spinat, Eigelb und Früchte gegessen werden; die Menschen würden den gelblichen Reis nicht akzeptieren, da "edler" weißer Reis ein Statussymbol sei; das Projekt solle nur als "Trojanisches Pferd" für die kommerzielle Einführung von GVOs dienen (3), (4), (5).
Eine Tagesration Goldener Reis muss den Tagesbedarf an beta-Carotin nicht decken, jede noch so kleine zusätzliche Dosis wird vielen Menschen das Leben oder das Augenlicht retten. Überdies wurde der beta-Carotingehalt in neueren Versionen des Goldenen Reises bereits um ein Vielfaches gesteigert. Wer seinen Tagesbedarf durch andere Nahrungsmittel decken kann, der hat Goldenen Reis ohnehin nicht nötig. Es gibt aber leider viel zu viele Menschen, für die Eier, Gemüse und Obst ein seltenes Festmahl sind. Entsprechend neigt die Zielgruppe für Goldenen Reis wohl kaum dazu, bei der Farbe ihres Reises wählerisch zu sein.
Wirklich schädlich ist jedoch der Versuch mancher Aktivisten, die Bauern in Entwicklungsländern vor dem Fortschritt zu "bewahren", denn auf diese Weise wird armen Menschen der Zugang zu Gesundheit, Technik und Entwicklung vorenthalten.
Genetische Veränderungen vs. gentechnische Veränderungen
Mittels Gentechnik können Veränderungen des Erbmaterials vorgenommen werden, um Eigenschaften der Lebewesen gezielt zu verändern. In persönlichen Gesprächen mit Gegnern der Gentechnik habe ich festgestellt, dass viele Menschen
dies für eine völlig neuartige, unerhörte Manipulation halten.
Doch der Mensch greift schon seit Jahrtausenden ganz wesentlich in das Genom seiner Nutzpflanzen und Haustiere ein. Bereits die traditionelle Zucht durch Kreuzung und Selektion auf gewünschte Eigenschaften hat Sorten und Rassen hervorgebracht, die der jeweiligen Wildform kaum noch ähnlich sehen. Die wenigsten Nutz- und Zierpflanzen haben mehr als eine vage Ähnlichkeit mit ihren Wildformen. So geht die ganze Vielfalt der Kohlsorten (Brokkoli, Blumenkohl, Grünkohl, Rotkohl, Spitzkohl, Wirsing, Kohlrabi, Rosenkohl, Romanesco usw.) auf eine einzige Wildform zurück, den Gemüsekohl (Brassica oleracea).
Mit den Haustieren ist es genauso: beispielsweise haben zahlreiche Hunderassen äußerlich mit dem Wolf kaum noch Gemeinsamkeiten. Besonders deutlich wird dies angesichts von Züchtungen wie Basset, Pekinese, Mops oder Bulldogge.
Dieses Beispiel mag auch die unterschiedliche Wahrnehmung von konventioneller und gentechnischer Veränderung illustrieren. Vertreter der genannten Rassen leiden nicht selten an angezüchteten Bindegewebsschwächen, Atembeschwerden und Gelenkfehlstellungen. Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn ein Genetiker mit einer ähnlichen Züchtung aus dem Labor käme und sie als Haustier vermarkten wollte…
Die künstliche Selektion macht sich Mutationen von Genen zunutze. Als die chemischen und physikalischen Eigenschaften der DNA bekannt wurden, gingen Pflanzenzüchter dazu über, der natürlichen Mutationsrate nachzuhelfen, um schneller neue Varianten zu erhalten. Dazu wurden Samen mit erbgutverändernden Chemikalien behandelt oder in Kernreaktoren radioaktiver Strahlung ausgesetzt bzw. mit radioaktiven Isotopen beschossen (6). Unter den überlebenden Mutanten wurden diejenigen mit den gewünschten Eigenschaften ausgesucht und in beliebte Sorten eingekreuzt.
Diesen Mutagenese-Methoden verdanken wir die so genannten konventionellen Sorten, die in der modernen Landwirtschaft hauptsächlich verwendet werden, sowie auch einen Großteil der bunten Zierblumensorten, die in unseren Gartencentern stehen. Dabei ist weitgehend unklar, auf welchen genetischen Veränderungen die beobachteten Eigenschaften beruhen.
Außerdem weiß niemand, welche unsichtbaren Mutationen zusätzlich zu den augenfälligen entstanden sind. Beispielsweise haben viele Zuchtformen Resistenzen gegen Krankheiten und Schädlinge verloren, die ihre Wildformen noch besitzen. Dies macht zusätzlichen Pestizideinsatz notwendig, beispielsweise gegen die Knollenfäule bei der Kartoffel (7). Selbst im Biolandbau dürfen dafür Schwermetallpräparate benutzt werden. Verboten ist dagegen die gentechnische Übertragung des Resistenzgens aus der Wildkartoffel in eine Zuchtkartoffel – obwohl damit ein menschengemachter Schaden am Kartoffelgenom behoben und Millionen Tonnen Fungizide jährlich eingespart würden.
Mit diesen Zuchtmethoden wurden viele Sorten entwickelt, die die heutige Landwirtschaft erst möglich machen und ohne welche die Weltbevölkerung unmöglich auf die heutige Größe hätte anwachsen können. Der Mensch hat seit Erfindung des Ackerbaus genetisch veränderte Sorten und Rassen produziert: zunächst unbewusst durch Schaffung der neuen ökologischen Nische in menschlicher Obhut, an die sich bestimmte Arten anpassten, dann durch künstliche Selektion und gezielte Kreuzung von natürlichen Varianten, zuletzt durch beschleunigte Erzeugung von Varianten mit der Holzhammermethode namens Mutagenese.
Heute sind wir erstmals in der Lage, die Veränderungen im Genom mit molekularbiologischen Methoden planvoll und präzise vorzunehmen, Risiken und Nutzen sinnvoll zu beurteilen sowie das Ergebnis der Arbeit zu verfolgen und zu dokumentieren.
Und dies soll plötzlich gefährlich und unmoralisch sein? Wenn ich ein Auto möchte, das schneller fährt als das alte Modell, ist es dann vernünftig, analog zur Mutagenese einen Roboter mit Zufallsgenerator an 1000 Autos schrauben und schweißen zu lassen, und das eine, tatsächlich schnellere zu behalten? Oder lasse ich lieber einen Ingenieur eine auf mechanischem Sachverstand fußende Veränderung vornehmen?
Die Artgrenze
Ein oft vorgebrachter Kritikpunkt betrifft die Überschreitung der Artgrenze bei Übertragung eines Gens von einer Art in eine andere, da dieser Transfer in der Natur ohne menschliche Engriffe angeblich nicht vorkommt. "Üblicherweise" wird Erbmaterial von den Eltern auf die Nachkommen übertragen. Diesen Vorgang bezeichnet man als vertikalen Gentransfer, analog zur "Richtung" im Stammbaum. Werden Gene zwischen verschiedenen Arten übertragen, nennt man dies horizontalen Gentransfer.
Zwar sind diese Ereignisse in der Natur erheblich seltener, kommen aber dennoch immer wieder vor: Viele Enzyme, die in der Molekularbiologie zur Bearbeitung von DNA verwendet werden, stammen von Viren. Diese benutzen sie z. B., um ihr Minigenom von RNA in DNA umzuschreiben, es in das Genom der Wirtszelle einzufügen, später wieder auszuschneiden, zu vervielfältigen und in neue Virushüllen zu verpacken.
Diese Vorgänge sind nicht perfekt – hin und wieder wird ein Stück DNA der Wirtszelle in eine Virushülle verpackt. Infiziert das Virus die nächste Zelle, wird ein Stück DNA aus einer anderen Zelle in ihr Genom eingebaut. Dies kann auch (je nach Wirtsspektrum der Virusart) eine Zelle einer ganz anderen Art sein.
Dass durch so einen Fehler im Vermehrungszyklus eines Virus ein vollständiges, funktionsfähiges Gen in einer Virushülle landet und in der nächsten Zelle eingebaut wird, ist zwar extrem unwahrscheinlich. Bei der Anzahl von Viren, die auf der Erde pro Tag irgendeine Zelle verlassen und eine neue infizieren, kommen solche Gentransfers jedoch wahrscheinlich täglich vor.
Ein weiteres Beispiel sind Bakterien wie die der Gattung Agrobacterium, die Pflanzen infizieren und dabei ein Stück ihres Erbmaterials in das Genom der Pflanze integrieren. Dieses Stückchen DNA sorgt zum einen für die Produktion von Hormonen, die bei der Pflanze Tumorwachstum auslösen, zum anderen für die Produktion von Nährstoffen. Die Bakterien schaffen sich also durch Umprogrammieren der befallenen Zellen ein sicheres Habitat mit reichem Nahrungsangebot. Gelegentlich landet bei der Infektion jedoch auch ein Stück DNA in der Pflanze, das zum Genom des Bakteriums gehört. Dass Mikroorganismen Meister im horizontalen Gentransfer sind – sowohl untereinander als auch im Kontakt mit vielzelligen Organismen – ist längst bekannt.
Kürzlich entdeckte Beispiele beweisen, dass sogar höhere vielzellige Organismen untereinander Gene verschieben können: Die Meeresnacktschnecke Elysia chlorotica frisst Algen der Gattung Vaucheria und ist imstande, die Chloroplasten der Algen in ihre Darmepithelzellen zu integrieren, woraufhin diese weiterhin Photosynthese betreiben und die (dann grün gefärbte) Schnecke ernähren. Die Chloroplasten haben einen hochaktiven Stoffwechsel und müssen ständig Proteine und Enzyme erneuern. Ihr Genom enthält jedoch nicht alle dafür notwendigen Gene, da ein Teil davon im Lauf der Zeit für die Proteine des Photosyntheseapparates in den Zellkern der Alge ausgelagert wurde (ein weiteres Beispiel für horizontalen Gentransfer: vom Endosymbionten zur Wirtszelle). Da die "gestohlenen" Chloroplasten aber in der Schnecke erstaunlich lange aktiv bleiben, fand man im Schneckengenom tatsächlich fest integrierte Gene von Vaucheria (Rumpho et al. 2008).
Ein weiteres Beispiel sind Rädertierchen der Ordnung Bdelloida, sehr kleine wasserbewohnende Vielzeller. Sie können komplett austrocknen, wobei Zellmembranen und DNA zerstückelt werden – normalerweise der irreversible Tod eines Organismus. Diese Rädertierchen überleben jedoch dank extrem wirkungsvoller Reparaturmechanismen. Da in einem ausgetrockneten Teich auch DNA-Trümmer von eingetrockneten Bakterien, Pilzen oder Pflanzen herumliegen, landet hin und wieder ein Stück davon in einem "wiederauferstandenen" Rädertierchen. Die Rädertierchen sind heute ein genetisches Mosaik aus Genen von vollkommen verschiedenen Lebewesen (Gladyshew et al. 2008).
Auch in uns Menschen gibt es etliche Gene, die eindeutig z. B. von Viren stammen, wie etwa ein Teil der Telomerase, die an der Pflege der empfindlichen Enden unserer Chromosomen beteiligt ist (Witzany 2008). Unser Genom besteht sogar zu knapp 25 % aus inaktiven Resten von diversen Viren und Retroelementen, die im Laufe der Jahrmillionen unsere Vorfahren befallen haben (Deininger et al. 2002).
Diese Beispiele zeigen, dass der horizontale Gentransfer in der Natur keineswegs ungewöhnlich, geschweige denn unmöglich ist. Von der Überschreitung einer natürlichen Grenze durch die Gentechnik kann insofern keine Rede sein.
Allergien durch transgene Sorten?
Ein oberflächlich betrachtet plausibles Argument gegen GVOs in der Landwirtschaftist die Möglichkeit neuer Allergien. Allergien sind bekanntlich Überreaktionen auf ungewohnte oder im Übermaß vorhandene Stoffe, vor allem Proteine. Da in GVOs meist Proteine gebildet werden, die in der jeweiligen Art ursprünglich gar nicht oder in anderen (nicht konsumierten) Pflanzenteilen bzw. in geringerer Menge vorkamen, sind sie als Allergieauslöser durchaus denkbar. Da man bei GVOs jedoch ganz genau weiß, um welche Proteine es sich jeweils handelt, kann man deren Allergiepotenzial im Vorfeld bestimmen sowie den Gehalt in der Pflanze exakt messen. Das Allergierisiko ist daher sehr gut kalkulierbar.
Zudem enthalten GVOs nicht zwangsläufig zusätzliche Proteine oder eine höhere Konzentration dieser Stoffe. Oft wird der gewünschte Effekt auch durch gezieltes Deaktivieren eines Gens erreicht, dann fehlt das betreffende Protein. Beispiele sind die Kartoffelsorte Amflora (EFSA 2006), bei der die Bildung des Enzyms Stärkesynthase unterdrückt wurde damit für die Herstellung von Folien, Kleister etc. mehr Amylopektin in der Knolle erhalten bleibt, sowie die „Anti-Matsch-Tomate“ (Flavr-Savr-Tomate), der ein Enzym für den Abbau des Stützgewebes nach der Fruchtreife fehlt, wodurch sie länger fest bleibt (Sanders et al. 2005).
Auch in dieser Hinsicht werden neue GVOs offenbar anders wahrgenommen als andere, gleichfalls fremdartige Pflanzen. So ist die Anzahl neuer Proteine in GVOs verschwindend gering, verglichen mit denjenigen, denen wir durch den Import exotischer Obstsorten oder Zierpflanzen ausgesetzt sind. Als Pflanzen wie Mais, Tomate und Kartoffel in Europa eingeführt wurden, kam die Bevölkerung mit Tausenden von fremden Genen und Proteinen in Kontakt. Wie oft nach der Einführung fremder Arten, kam es auch dabei zu vereinzelten Allergien, etwa gegen Erdnüsse. Dies hat jedoch nicht zu einem Erdnussverbot, geschweige denn zu einem generellen Importverbot für fremde Arten geführt. Selbst neue Verarbeitungsverfahren von Nutzpflanzen bringen ein gewisses Risiko für neue Allergien mit sich. Im Vergleich sind die Risiken der Gentechnik minimal und zudem viel besser kalkulierbar.
Ausbreitung in der Natur
Da GVOs in der Landwirtschaft auf freiem Feld stehen und Kontakt zur Umwelt haben, können die Pflanzen unmöglich so gründlich überwacht werden wie im Labor oder im Gewächshaus. Die Möglichkeit einer unkontrollierten Ausbreitung in der freien Natur wird oft als Kritikpunkt gegen die Gentechnik angeführt. Nach der Freisetzung ist eine gentechnisch veränderte Sorte angeblich nie mehr rückholbar, die gentechnisch aufgerüsteten "Superunkräuter" drohen Biotope zu überwuchern. In der Tat bereiten einige invasive Pflanzen ernste ökologische Probleme. Diese wurden in Mitteleuropa aber überwiegend durch den Import von Zierpflanzen verursacht, nie durch Ackerpflanzen Die bekanntesten Beispiele sind das Drüsige Springkraut, die Kanadische Goldrute, der Japanische Staudenknöterich und der Riesenbärenklau (8).
Die unkontrollierte Ausbreitung eines Transgens kann theoretisch auf zwei Arten passieren: einerseits direkt durch die Verbreitung einer womöglich überlegenen Nutzpflanze in der freien Natur, wo sie einheimische Arten verdrängt, andererseits durch die Übertragung des Transgens auf Wildpflanzen durch Bestäubung mit transgenem Pollen. Die Auskreuzung ist nur möglich, wenn die Nachkommen beider Arten fruchtbar sind, beispielsweise bei Wildpflanzen, die sehr nahe mit der betreffenden Nutzpflanze verwandt sind. In diesen Fällen sollten Vorsichtsmaßnahmen
getroffen werden.
Bei Arten wie Kartoffel, Tomate oder Mais besteht jedoch in Europa keine Gefahr. Es stellt sich einmal mehr die Frage: ist das Problem neu? Die Kreuzung von konventionellen, per Mutagenese erzeugten Sorten mit Wildformen ist genauso wenig wünschenswert. Auch dort wurde das Genom absichtlich verändert, nur eben per Zufallsprinzip, weshalb niemand weiß, auf welche Veränderungen man testen müsste, um Kontaminationen von Wildpflanzenpopulationen nachzuweisen.
Die Gentechnik dagegen ermöglicht es erstmals, die Ausbreitung von Zuchtformen festzustellen, und bietet sogar
die Möglichkeit, durch genetische Veränderungen gezielt die Vermischung mit Wildformen zu verhindern. Das ist ein großer Fortschritt und ein starkes Argument für die Gentechnik! Allerdings führen hochsensible Nachweismöglichkeiten
und vielversprechende Lösungsansätze anscheinend häufiger zu neuen Ängsten als zu größerer Zuversicht, da sie zuvor
übersehene Probleme ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken.
Voraussetzung für die Ausbreitung einer transgenen Pflanze in der Natur oder eines Transgens in einer Wildpopulation ist die Überlegenheit der "Invasoren" gegenüber den Einheimischen. Angesichts der Größe und Produktivität moderner Nutzpflanzen kann daran eigentlich kein Zweifel bestehen, oder?
Aber halt – interessanterweise sieht man nie prächtige Maispflanzen oder Weizenhalme in freier Wildbahn. Die meisten unserer Nutzpflanzen sind an die Bedingungen auf dem Feld derart angepasst, dass sie schon zwei Meter neben dem Acker kaum überleben, geschweige denn dem Konkurrenzdruck durch andere Arten dauerhaft standhalten können.
Eigenschaften unserer Nutzpflanzen wie übergroße Früchte und bedingungsloses Wachstum sind nur in Symbiose mit dem
Menschen ein Selektionsvorteil. Wo nicht gegossen, gedüngt und gejätet wird, stellen sie für die Pflanze ein Risiko dar,
da die Pflanze ihre Ressourcen größtenteils in den Ertrag (etwa übergroße Früchte bei Obstsorten) investiert, aber nur
schwache Abwehrmechanismen gegen Gefahren ausgebildet hat. Das ist auch der Grund, warum Wildpflanzen
ihre Samen mit gerade genug Vorrat für den darin ruhenden Embryo ausstatten. Der effizienteste Kompromiss aus Produktivität und Vorsorge ist in freier Natur sehr konservativ, denn im Notfall wird niemand mit Dünger und Gießkanne kommen.
Selbst Früchte wie Äpfel und Erdbeeren, deren Fruchtfleisch eindeutig Tiere anlocken soll, sind in der Wildform meist
gerade groß genug, um diese Aufgabe zu erfüllen. Jedes zusätzliche Geschenk wäre eine riskante Verschwendung der knappen Ressourcen. Wildpflanzen sind viel zu gut an das Leben in ihrer jeweiligen Nische angepasst, als dass ein verhätscheltes Riesenbaby aus menschlicher Obhut sie ernsthaft bedrohen könnte. Wären die angezüchteten Eigenschaften in freier Natur von Vorteil, dann hätten die Wildformen sie schon längst von
selbst entwickelt.
Ein weniger ökologisches als vielmehr wirtschaftliches Ausbreitungsproblem ist die Kreuzung von GV- und konventionellen
Sorten. Pollenflug zwischen benachbarten Feldern kann nicht völlig verhindert werden. Falls vom Feld Saatgut gewonnen wird, könnten im nächsten Jahr einzelne "Genpflanzen" zwischen herkömmlichen Pflanzen stehen. Leidtragender ist der betroffene Landwirt, der seine Erzeugnisse nicht mehr als gentechnikfrei verkaufen darf. Durch Abstandsregeln und Maßnahmen wie z. B. Pollenfangstreifen aus konventionellem Mais um Genmaisfelder kann die Auskreuzung jedoch weitgehend unterbunden werden.
Die Wiederaussaat ist außerdem eher die Ausnahme, da viele moderne Sorten kein geeignetes Saatgut produzieren, außerdem sind inzwischen zertifizierte Sorten die Regel, bei deren Wiederaussaat Nachbaugebühren an den Saatguthersteller fällig werden. In diesem Fall ist der Kauf von neuem, hochreinem Saatgut die bessere und billigere Variante, wodurch eine eventuelle Einkreuzung bedeutungslos wird. Auch hier gilt: ein altbekanntes Problem, nur ist bei GVOs ein Nachweis leicht möglich. Bei konventionellen Sorten bleibt die Vermischung mangels Überprüfbarkeit unbemerkt.
Wird dagegen ein Erzeugnis eines Biolandwirts positiv für eine gentechnische Veränderung getestet, wofür im Prinzip ein einziger Pollen in der Stichprobe genügt, ist es praktisch unverkäuflich – nicht etwa wegen Gefahren für den Verbraucher, sondern aufgrund der pauschalen Null-Toleranz-Politik gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen.
Diese verquere Wahrnehmung wird sehr gut durch den Fall des StarLink-Maises in den USA illustriert. Diese transgene
Maissorte der Firma Aventis Crop Science war nur als Futtermittel zugelassen, wurde aber trotzdem in diversen Nahrungsmitteln nachgewiesen. Offenbar war in der Produktion transgenes mit herkömmlichem Maismehl vermischt
worden. Obwohl es keinerlei Hinweise auf eine Gesundheitsgefahr gibt, war der Vorfall ein großer Skandal und ein PR-Desaster für die Firma.
Von den Zehntausenden Personen, die Produkte mit StarLink-Mais konsumiert hatten, bestand nur bei 28 Personen zeitweilig der Verdacht von allergischen Beschwerden aufgrund des im Mais vorliegenden Proteins. In keinem der Fälle konnte der Verdacht bestätigt werden. StarLink-Mais wurde im Jahr 2000 von Aventis freiwillig vom Markt genommen. Seit 2004 wurde trotz der hochempfindlichen und -spezifischen Tests in den gesamten USA kein StarLink-Mais mehr nachgewiesen (9).
Dieser Kontaminations-Fall wird oft als Beweis für die mangelhafte Sicherheit der Gentechnik angeführt. Er beweist jedoch genau das Gegenteil: Trotz einer unzulässigen Verwendung von transgenem Maismehl ist niemandem etwas passiert und die Sorte konnte vollständig und endgültig rückgeholt werden.
Der Bt-Mais MON810
Mit der Maissorte MON810 möchte ich im Folgenden eine spezielle GV-Sorte vorstellen sowie die Debatte um deren
Anbau diskutieren. MON810 war bis zum Verbot im April 2009 die einzige für den gewerblichen Anbau zugelassene transgene Pflanze in Deutschland. Grund für den Stopp durch Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner waren neue Studien über eine mögliche Umweltgefährdung durch die Sorte.
Zu Recht? MON810 trägt ein Gen aus dem Bakterium Bacillus thuringiensis (Bt). Diese Bakterien kommen bei uns überall
im Boden und auf Pflanzen vor. Sie bilden zur Verbreitung kleine Sporen, an denen je ein Kristall aus einem Cry-Protein
(Cry für crystal) hängt. Wird die Spore samt Kristall von einem Insekt mitgefressen, löst sich der Kristall im alkalischen
Magensaft auf, das gelöste Protein wird von einem Enzym im Darm gespalten und damit aktiviert. Dann heftet sich das
Protein an spezifische Rezeptoren in der Darmwand des Insekts, was ihm erlaubt, in die Zellmembran der Darmzellen einzudringen und eine kleine Pore zu formen (Schnepf et. al. 1998; Tilley, Saibil 2006). Daran sterben einzelne Darmzellen, von denen sich das Bakterium ernährt. Später wird es zusammen mit seinen Nachkommen vom Insekt wieder ausgeschieden.
Bei einer ausreichend großen Dosis Cry-Toxin stirbt das Opfer, da zu viele Darmzellen beschädigt werden. Da sowohl das
spaltende Enzym als auch der Rezeptor von Insekt zu Insekt verschieden sind, wirkt ein bestimmtes Cry-Toxin immer
nur bei wenigen, sehr nah verwandten Arten. Entsprechend gibt es viele Stämme von B. thuringiensis, die jeweils Cry-Proteine für verschiedene Insektengruppen herstellen können (de Maagd et al. 2001).
Diese hohe Spezifität für bestimmte Insekten macht Cry-Proteine für alle anderen Tiere ungefährlich. Das Protein Cry1Ab
wirkt am besten beim Maiszünsler, einem kleinen Schmetterling. Dessen Raupen höhlen den Maisstängel aus, wodurch es leicht zu Pilzinfektionen kommt und de Halm häufig umknickt.
Cry1Ab wird seit Jahrzehnten unter dem Namen Dipel®ES als ökologisches Pflanzenschutzmittel im Biolandbau verwendet. Dabei werden Bakteriensporen mit anhaftenden Kristallen als Suspension versprüht (10). Der Mais MON810 enthält das Gen für Cry1Ab und kann in seinen Zellen das für den Maiszünsler giftige Protein selbst herstellen. Er braucht deshalb nicht gespritzt werden, zumal sich die Maiszünslerraupen nach dem Schlupf nur noch im Inneren der
Pflanze aufhalten wo sie für Spritzmittel nur bei sehr hoher Dosierung erreichbar sind.
Der Widerstand gegen den Anbau von MON810 war groß, mancherorts mussten Äcker und Versuchsfelder sogar von der
Polizei vor den "Feldbefreiungen" geschützt werden. Letztlich knickte die Politik (im Wahljahr) unter dem Druck der
Protestorganisationen ein und sprach ein Verbot aus. Die als Grundlage für das Verbot von MON810 angeführten Studien
befassen sich mit der Wirkung von Cry1Ab auf "Nicht-Zielorganismen", z. B. Wasserflöhe und Marienkäfer, sowie mit der Pollenverbreitung.
Auch eine Gefährdung von Bienen durch den Cry1Ab-haltigen Maispollen wurde oft behauptet. In der Tat besteht eine zeitliche Korrelation zwischen der Einführung von Bt-Mais und dem aktuellen Bienenvölkersterben. Ein kausaler Zusammenhang konnte aber nicht gezeigt werden. Im Gegenteil: In einer Studie wurden Bienen in Flugkäfigen eine zeitlang ausschließlich mit einem Cry1Ab-haltigen Sirup gefüttert. Die Cry1Ab-Konzentration war 500 mal höher als in reinem MON810-Pollen (1000 ng/g gegenüber ca. 2 ng/g). Doch nicht einmal unter dieser extremen Zwangsfütterung kam es zu einem Bienensterben. Die Bienen brauchten anschließend für das Finden neuer Futterplätze nur etwas länger als vorher (Ramirez-Romero et al. 2005).
Abgesehen davon werden Maisblüten nicht von Bienen besucht, und Maispollen stellt nur einen geringen Anteil der gesammelten Pollen. Sollte ein Bienenvolk dennoch in die bizarre Notlage kommen, MON810-Pollen als einzige Nahrungsquelle zu haben, nehmen sie trotzdem nur 0,2 % der im Versuch verwendeten Konzentration zu sich. Probleme sind also praktisch ausgeschlossen. Versuche zeigten, dass Cry1Ab nicht nur beim Maiszünsler, sondern auch bei anderen Schmetterlingsarten wirkt.
Das ist nicht überraschend, da mit dem Zielorganismus nahe verwandte Arten auch ähnliche Rezeptoren im Darm haben. Da andere Schmetterlingsraupen aber keinen Mais fressen, nehmen sie das Toxin gar nicht erst zu sich. Die Raupen wären nur dann einer geringen Toxinmenge ausgesetzt, wenn Maispollen auf ihre Futterpflanze fielen. Da Maispollen aber vergleichsweise groß und schwer ist, fliegt er nicht besonders weit, zudem können kleine Insekten große Pollenkörner beim Fressen wie klebrige Murmeln "aussortieren".
Entsprechend wurde in zahlreichen Studien belegt, dass der Anbau von Bt-Mais keine Gefahr für Schmetterlingspopulationen darstellt, während Insektizideinsatz und Lebensraumzerstörung massive Probleme bereiten
(Felke, Langenbruch 2003; Sears et al. 2001).
Auch in Studien zu anderen Organismen wurde jeweils mit Zwangsfütterung gearbeitet, beispielsweise mit reinem Maismehl für Wasserflöhe (Bøhn et al. 2008) und Cry1Ab-besprühten Mehlmotteneiern für Zweipunkt-Marienkäferlarven
(Schmidt et al. 2008). Dennoch waren die Ergebnisse nicht dramatisch und oft nicht konsistent: Lediglich bei ganz jungen Marienkäferlarven waren negative Auswirkungen auf Wachstums- und Überlebensrate zu beobachten, bei älteren Larven jedoch nicht. Abgesehen davon entsprechen die besprühten Mehlmotteneier viel eher der Situation im Biolandbau, wo Bt-Toxin gespritzt wird und auf der Oberfläche von allen Pflanzen und Tieren (bzw. Eiern) kleben bleibt, als der Situation im MON810-Feld, wo das Toxin ausschließlich im Inneren der Pflanzenzellen vorliegt.
Nun fressen Marienkäfer zwar Pflanzensaft saugende Tiere wie Blattläuse und könnten auf diesem Weg Cry1Ab aufnehmen. Messungen zeigten jedoch, dass der von Blattläusen gesaugte Phloemsaft überhaupt kein Cry-1Ab enthält (Raps et al. 2001). Der Zweipunktmarienkäfer ist also im Bt-Maisfeld wesentlich sicherer als auf konventionellem Mais mit Insektizideinsatz, selbst beim Biobauern.
Die Verbots-Studien blieben nicht unwidersprochen. So stellte die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) zahlreiche Mängel in Methodik und vor allem Auslegung der Studien fest (ZKBS 2009).
Die Bedeutung wissenschaftlicher Ergebnisse zu GVOs wird von Politik und Protestorganisationen meist völlig übertrieben dargestellt. Zwar sind statistisch signifikante Effekte bei Experimenten mit Bt-Mais im Vergleich mit konventionellem
Mais wissenschaftlich hochinteressant. Als Argument gegen den Anbau taugen derartige Befunde alleine jedoch nicht. Die reale Alternative zu Bt-Mais ist schließlich nicht einfach konventioneller Mais, sondern konventioneller Mais plus Insektizide!
Dieser Vergleich wird in den Studien jedoch nie vorgenommen, da sie nicht vorrangig das Ziel der Risikobewertung verfolgen. Dies lässt vergessen, dass konventionelle Maisfelder erhebliche Probleme wie Biotopzerstörung für Monokulturen, Pestizid- und Düngereintrag in angrenzende Flächen und Gewässer
usw. mit sich bringen. Da MON810 den Pestizideinsatz und den Kontakt der meisten Tiere mit Cry1Ab reduziert, wird
auf "Genmaisfeldern" immer wieder eine größere Artenvielfalt festgestellt als auf konventionellen Maisfeldern (Wolfenbarger et al. 2008). Vor diesem Hintergrund gehen im Labor gerade noch nachweisbare Effekte von Cry1Ab völlig unter.
Der Wirkmechanismus der Cry-Proteine ist seit Jahren bis in die molekularen Details erforscht, auch MON810 ist seit seiner Einführung in den 80er Jahren intensiv untersucht worden. Zu behaupten, es gebe noch große Unklarheiten bezüglich der möglichen Auswirkungen von Cry1Ab an seinem neuen Wirkungsort ist genauso logisch wie die Befürchtung,
ein Autoradio könnte bei Benutzung im Wohnzimmer unvermittelt anfangen, Brotscheiben zu toasten.
Fazit
Die derzeit von zahlreichen Organisationen betriebene Dämonisierung trägt nichts zur Aufklärung der Bevölkerung bei und schadet einer vernünftigen Entwicklungder jungen Technologie massiv. Durch das Anbauverbot für GV-Sorten
in Deutschland wird die Entwicklung kleinerer heimischer Biotech-Firmen verhindert, wodurch sich die Monopolstellung von internationalen Riesen wie Monsanto verfestigt.
Voraussetzungen für eine realistische Einschätzung der Gentechnik sind ein solides Grundwissen über Genetik sowie die physiologische und molekulare Funktionsweise der Lebewesen. Die meisten Menschen haben jedoch eher diffuse Vorstellungen davon, was Gentechnik überhaupt bedeutet. Dass die meisten Informationen im Fernsehen oder Internet
zu diesem Thema vor verdrehten Zusammenhängen und falsch verwendeten Fachausdrücken strotzen sowie mehr
oder weniger deutlich gentechnikfeindliche Tendenzen aufweisen, ist ebenfalls wenig hilfreich.
Die resultierende Unsicherheit wird gezielt genutzt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Es werden Analogien zur Kernkraft gezogen und negativ belegte Begriffe wie "Manipulation", "Aufrüstung", "Mutanten", "Gifte" etc. verwendet (Then, Brockmann 2009; Lorch, Then 2007;11, 12). Auf (Wahl-) Plakaten werden Maiskolben mit grimmiger Fratze oder blaue Weißwürste mit grünen Brezen abgebildet (13), (14), (15), und regelmäßig habe ich auf Demos oder an Ständen Plakate mit Biogefahrsymbolen, Totenköpfen und bluttriefenden Buchstaben gesehen, auch ein Kuhskelett musste
bereits herhalten (16).
Dass sich bei Umfragen neben solchen Ständen die meisten Befragten gegen die Gentechnik aussprechen, ist keine große Überraschung. In den Medien haben es die Gegner zudem wesentlich leichter, da ein plakatives irrationales
Argument in wenigen Sekunden vorgebracht ist, während seine sachliche Widerlegung mindestens die zehnfache
Zeit beansprucht. Entsprechend haben viele Wissenschaftler keine Lust, sich in Diskussionen mit medienerfahrenen
Protestlern zu begeben, wo sie praktisch nicht zu Wort kommen.
Selbst unter Wissenschaftlern herrscht eine angespannte Stimmung wenn es um die Erforschung von Vor- und Nachteilen der GV-Sorten geht, da jedes veröffentlichte Forschungsergebnis von Protestorganisationen instrumentalisiert und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird. Deshalb ist die übliche gegenseitige Kontrolle der Veröffentlichungen im Zusammenhang mit Grüner Gentechnik merklich harscher geworden (Waltz 2009).
Organisationen wie Greenpeace haben erfolgreich auf Probleme wie Regenwaldzerstörung, Walfang und Leichtsinn bei Öltransporten und Kernkraft-Nutzung aufmerksam gemacht und viel dazu beigetragen, das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung zu wecken. Auch auf mögliche Probleme sowohl bei konventioneller als auch molekularer Pflanzenzucht
soll selbstverständlich genau geachtet werden.
Durch ihre völlig überzogene, pauschale und auf irreführenden Aussagen fußende Anti-Gentechnik-Kampagne fügen Greenpeace & Co. jedoch meiner Meinung nach ihrer eigenen Glaubwürdigkeit einen großen Schaden zu. Sie riskieren dabei, mit einem zukünftigen wichtigen Anliegen nicht mehr ernst genommen zu werden.
Zudem muss man sich bewusst sein, dass Monsanto und Greenpeace eines gemeinsam haben: beide sind internationale
Multis, Greenpeace beherrscht den Markt der öffentlichen Meinung mit großer Macht. Sowohl Protestorganisationen als auch politische Parteien stehen in Konkurrenz um Einfluss, Zustimmung und Unterstützung durch Mitglieder bzw. Wähler. Aussagen und Stellungnahmen sind die Werkzeuge in diesem Wettbewerb. Dieser Aspekt muss jedem bewusst sein, der Informationen von solchen Gruppen annimmt.
Die Gentechnik ermöglicht die gezielte und konstruktive Entwicklung von Nutzpflanzen, die gegen Schädlinge und Krankheiten resistent sind, die mit Hitze, Kälte, Trockenheit, Bodenversalzung und Nährstoffarmut zurechtkommen oder auf bestimmte Einsatzzwecke abgestimmte Inhaltsstoffe produzieren. Damit bietet sie wertvolle Chancen, die Umweltbelastung durch Pestizide zu verringern, den Hunger in der Dritten Welt zu lindern und unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen für Energiegewinnung und chemische Industrie zu überwinden.
Denn die Weltbevölkerung wächst dramatisch und gleichzeitig soll der durchschnittliche Lebensstandard steigen. Derzeit
mögen die fossilen Rohstoffe den "Biofuels" sowohl wirtschaftlich als auch in der Klimabilanz zumeist noch überlegen
sein, dennoch werden wir die Vorräte innerhalb der nächsten Jahrzehnte aufgebraucht haben.
Unsere gesamte Technologie ist jedoch von Kohlenwasserstoffen als Energieträger sowie als Rohstoff für die chemische Industrie abhängig. Daher müssen wir schnellstmöglich lernen, unsere Nahrung und Energie auf nachhaltige Weise zu gewinnen. Diese Herausforderungen können sicher nicht durch eine einzelne Technologie gelöst werden. Die Menschheit kann es sich jedoch nicht leisten, wichtige Entwicklungen wie die Gentechnik aus ideologischen Gründen aufzuhalten.
Anmerkungen:
(1) Transgen (Hrsg.): Gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel: Zulassungspraxis in der EU. http://www.
transgen.de/zulassung/ Zugriff am 15.01.2010.
(2) Golden rice. (2010, January 11). In Wikipedia, The Free Encyclopedia. http://en.wikipedia.org/w/index.
php?title=Golden_rice&oldid=337158003 Zugriff am 15.01.2010.
(3) Shiva, V. The „golden rice“ hoax. http://online.sfsu.edu/~rone/GEessays/goldenricehoax.html, Zugriff am
16.01.2010.
(4) Greenpeace (Hrsg. 2005): All that glitters is not gold: the false hope of „golden rice“. http://www.greenpeace.org/international/press/reports/all-that-glitters-is-notgold, Zugriff am 15.01.2010.
(5) Greenpeace (Hrsg. 2001): Vitamin A: Natural sources vs „golden rice“. http://archive.greenpeace.org/~geneng/reports/food/VitaAvs.PDF Zugriff am 16.1.2010.
(6) Ulfkotte, U. (2001): Getreide aus dem Atomreaktor. http://www.deutsche-landwirte.de/050401e.htm, Zugriff am 15.01.2010.
(7) Transgen (Hrsg.): Neue Züchtungsstrategien gegen einen trickreichen Erreger http://www.transgen.de/pflanzenforschung/anbaueigenschaften/845.doku.
html, Zugriff am 15.1.2010.
(8) Invasive gebietsfremde Pflanzen in Deutschland. http://www.floraweb.de/neoflora/handbuch.html, Zugriff am 16.01.2010.
(9) Transgenic maize. (2010, January 14). In Wikipedia, The Free Encyclopedia. http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Transgenic_maize&oldid=337866463, Zugriff am 15.01.2010.
(10) BVL (Hrsg.): Datenblatt Dipel ES. https://portal.bvl.bund.de/psm/jsp/DatenBlatt.jsp?kennr=004080-00, Zugriff am 16.01.2010.
(11) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13495446.html, Zugriff am 18.01.10.
(12) http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,572186,00.html, Zugriff am 18.01.10.
(13) http://www.spd-wahl2008.de/, Zugriff am 18.01.10.
(14) http://www.europawahl-bw.de/2765.html, Zugriff am 18.01.10.
(15) http://www.greenpeace.de/themen/gentechnik/nachrichten/artikel/ausnahmen_verwaessern_gentechnikgesetz/
ansicht/bild/, Zugriff am 18.01.10.
(16) http://www.agenda21-treffpunkt.de/lexikon/Bt-Mais. htm, Zugriff am 18.01.10.
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Johannes Bergler
1982 in Weiden i. d. OPf. geboren, schloss 2008 das Studium der Biologie an der FAU Erlangen ab. Derzeit promoviert er als Stipendiat der Universität Bayern e. V. am Lehrstuhl für Molekulare Pflanzenphysiologie der FAU Erlangen.