Rezension des Buches
Harald Lesch, Klaus Kamphausen
Die Menschheit schafft sich ab
Die Erde im Griff des Anthropozän
Komplett Media, München 2016, ISBN 978-3-8312-0424-3, € 29,95
Der Astrophysiker Harald Lesch gehört seit vielen Jahren zu den populärsten Wissenschaftsvermittlern in Deutschland. In unzähligen Fernsehsendungen führte er das Publikum anschaulich an astronomische Phänomene heran, wobei er auch ausdrücklich skeptische Positionen bezog. Mit seinem neuen Buch, gemeinsam mit Klaus Kamphausen verfasst, liefert Lesch ein Mammutwerk – es spannt den Bogen von der Entstehung des Universums, des Lebens und der Menschen über die aktuellen Probleme bis hin zur Zukunft der Menschheit und der Erde. Doch bietet es auch einen zuverlässigen Einblick in den Stand der Wissenschaft? Liefert es eine nüchterne Analyse der Situation, gekoppelt mit vernünftigen Lösungen?
Die kurze Antwort lautet: Die Schwächen überwiegen, die durchaus korrekten und beachtenswerten Punkte gehen unter im Versuch, das Ganze einem Austeritätsprogramm mit erhobenem moralischen Zeigefinger anzupassen. Manche Aussagen fallen sogar in den Bereich „alternativer“ statt echter Fakten.
Dennoch gibt es durchaus Positives: Die ersten Kapitel über die Entwicklung der Erde und des Lebens sind weitgehend stimmig. Lesch benennt auch einige echte Probleme, unter anderem den Klimawandel, und zeigt eine Reihe tatsächlicher Fehlentwicklungen auf
- In vielen Bereichen des Umweltschutzes besteht ein großer Handlungsbedarf.
- Die Ungleichverteilung des Reichtums ist ein Ärgernis.
- Es gibt noch immer Hunger auf der Welt.
- Nahrungsmittel werden nicht richtig verteilt und verrotten oft.
Manche globalen Untergangsszenarien hat er richtig identifiziert – so zum Beispiel die Gefahr eines Asteroideneinschlages und Katastrophen, denen wir machtlos gegenüberstehen würden, etwa einer massiven Supernova in unserer Nähe. Auch der Aussage, dass wir ins Weltall müssen, um frühzeitig Asteroiden auf Kollisionskurs zu entdecken, kann man zustimmen. Skeptiker wie Phil Plait oder Mark Boslough engagieren sich hier bereits. Darüber hinaus zeigt Lesch korrekt auf, dass die Weltgemeinschaft in der Vergangengenheit einige bedeutende Probleme erkannt und dementsprechend gehandelt hat – siehe FCKW. Diesen Fall als Modell zu sehen, ist durchaus korrekt.
Vom Meister an die Hand genommen
Allerdings wirkt Leschs Stil durchweg lehrmeisterhaft – selbst dort, wo man ihm inhaltlich zustimmen möchte. Immer wieder fragt er: „Wissen Sie warum …?“ oder „Warum ich Ihnen das erzähle?“, als wären seine Leser kleine Schulkinder, die dann die Weisheit des Autors schlucken sollen. Er – und später im Buch seine Interviewpartner – sind diejenigen, die zeigen, wo es langgeht. Verstärkt wird dieser ungünstige Eindruck dadurch, dass er seinen Interviewpartnern keine offenen Fragen stellt, sondern allzu oft Suggestivfragen anwendet.
Quellenangaben und Literaturverweise – bis auf seine eigenen Veröffentlichungen und sehr wenige, zu seinem Zweck ausgesuchte Bücher – fehlen weitgehend. Es ist oft unmöglich zu erkennen, wo und wie manche Aussagen belegt sind.
Manch einer mag all dies als Stilfragen betrachten und darüber hinwegsehen. Doch es gibt auch massive inhaltliche Probleme.
Bereits im Vorwort zeigt Lesch, dass er seine Angriffsziele fest im Visier hat: Konsum und Wachstum als „neue Götter“ der Menschen. Schon im ersten Kapitel prangert er „Gier“ und „Geld“ an und identifiziert diese „Maßlosigkeit“ als Ursache unserer Probleme. Der Titel verweist darauf, dass eine Überbevölkerung von Menschen dem Planeten zusetzt, als wären wir Ungeziefer oder eine Krankheit. Ohne jegliche Begründung, Daten oder Nennung von Prämissen stellt Lesch fest: Für so viele (15 Milliarden) Menschen reicht die Erde nicht.
Wobei es im Buch keineswegs an Daten und Tabellen mangelt. Doch wenn Harald Lesch Zahlen nennt, dann scheint dies weniger dem Wunsch zu entspringen, diese in einen Argumentationsstrang einzubauen, als vielmehr Seiten zu füllen.
Die vielen Fortschritte in den Bereichen Wohlstand und Nahrungssicherheit finden kaum Erwähnung. Und wenn doch, dann stets mit dem Unterton, dass sie mit dem Zugrundegehen der Erde bezahlt würden. Wir sind auf gutem Weg zur Eliminierung der absoluten Armut, einem zentralen Ziel der UN-Agenda 2030. Harald Lesch will uns dagegen weismachen, alles ginge bergab. Wer sich jedoch an Fakten und Daten orientiert, so online bei der hervorragenden Konsolidierung von Weltdaten der letzten 200 Jahre bei Our World in Data, muss auch die vielen positiven Entwicklungen anerkennen.
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Quelle: Our World in Data, Max Roser
Dagegen werden im Buch sogar Trends wie die „Sharing Economy“, bei der sich zum Beispiel mehrere Personen ein Auto teilen, schlechtgeredet: Auch das wäre lediglich Egoismus.An Unwissen kann es nicht liegen. Im Kapitel 21 nennt Lesch sogar die (zutreffende) Aussage, es ginge uns besser als je zuvor. Hierzu stellt er lediglich fest: „Als Naturwissenschaftler sehe ich das nicht so.“ So einfach wird das Thema abgehakt. Man braucht keine Argumente, Autorität reicht.
Wirklich problematisch wird es, wenn es um die Lösung der anstehenden Probleme geht. Immer wieder behauptet Lesch, wir wüssten, was zu tun sei, undtäten es nur nicht.
Einfach glauben
An dieser Stelle driftet Lesch von einer objektiven, wissenschaftlichen Diskussion ab. In zahlreichen Interviews baut er sein politisches Programm zur Lösung der Probleme aus. Dass dabei Wissenschaft und Fakten oft auf der Strecke bleiben, ist ihm entweder nicht bewusst oder wird von ihm in Kauf genommen. Besonders problematisch sind seine Ausführungen zum Thema Landwirtschaft. Hier hat er klar „Bio“ als das Gute und die intensive, industrielle Landwirtschaft – vor allem die Gentechnik – als Teufelswerk ausgemacht. Zunächst stellt Lesch richtigerweise fest, dass sich die Lebensmittelproduktion in den letzten 50 Jahren verdreifacht hat. Dabei verzichtet er selbstverständlich darauf, den enormen Beitrag der grünen Revolution, vorangetrieben von Norman Borlaug, zu würdigen. Der aus den USA stammende Borlaug, vermutlich der wichtigste Agrarwissenschaftler der neueren Zeit, erhielt 1970 für die von ihm initiierten Verbesserungen in der Landwirtschaft den Friedensnobelpreis. Die grüne Revolutionhat maßgeblich dazu beigetragen, die damals vorhergesagten Hungerkatastrophen zu verhindern.
Auch davon erfährt man nichts bei Lesch. Ganz im Gegenteil wird die „globalisierte, moderne Landwirtschaft“ für alle möglichen Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht. Beispielsweise schätzt er den Rückgang der Kulturreissorten von früher 30 000 auf heute zehn Sorten als dramatisch ein. Tatsächlich hat sich die Sortenvielfalt durch die Entwicklung von Hochertragssorten verringert, dennoch werden nach wie vor viel mehr als zehn Reissorten angebaut. Außerdem wird auf die Erhaltung der genetischen Diversität in Züchtungsprogrammen für Reis und andere Kulturarten heute viel größerer Wert gelegt als noch vor 30 oder 40 Jahren.
Speziell in Bezug auf Gentechnik finden sich einige Beispiele für unhaltbare Aussagen in Kapitel 25:
- Die Selbstmordrate unter indischen Bauern sei aufgrund des Anbaus von genetisch veränderter Bt-Baumwolle massiv angestiegen. Das ist nachweislich falsch. Kathage und Qaim (2012) sowie Krishna und Qaim (2012) konnten zeigen, dass sich der Lebensstandard der indischen Bauern durch den Anbau deutlich verbessert hat.
- Ebenso falsch ist die pauschale Aussage, Gentechnik habe zur Verwendung von mehr Pestiziden geführt. Auch hierzu zeigen die oben genannten Publikationen, dass die Verwendung von insektenresistenten Sorten den Einsatz von chemischen Insektiziden drastisch reduziert hat. Weniger deutlich ist die Reduktion von Herbiziden beim Einsatz herbizidtoleranter Sorten. Man sollte also die Gentechnik nicht über einen Kamm scheren, sondern das jeweils veränderte Pflanzenmerkmal berücksichtigen.
- Die Behauptung, dass Landwirtschaft mit Gentechnik zu weniger Ertrag führt als konventionelle Landwirtschaft, muss man ebenfalls ins Reich der Märchen und „alternativer Fakten“ einordnen, siehe auch Klümper und Qaim (2014).
Untersuchungen, finanziert durch die EU-Kommission (Europäische Kommission 2010), sowie Reviews von zehn Jahren Gentechnik-Untersuchungen (Nicolia et al. 2014) kamen zu dem Schluss, dass von der Gentechnik keine spezifischen oder besonderen Gefahren ausgehen.
Beim Stellvertreterkrieg gegen Glyphosat werden abermals unkritisch Falschinformationen von interessierter Seite übernommen: „Monsanto spuckt den Deutschen ins Bier“. Lesch führt die einzige renommierte Institution – die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO – auf, die Glyhosat eine „wahrscheinlich“ krebsauslösende Eigenschaft zuordnet.
Dabei unterschlägt er, dass nicht nur die von ihm kritisierte EU-Lebensmittelbehörde EFSA, sondern auch andere, das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die Europäische Chemikalienagentur ECHA feststellten, dass Glyphosat unbedenklich ist. Die Bewertung des IARC muss noch nicht einmal falsch sein: Sie bezieht sich jedoch lediglich auf die potenzielle krebsauslösende Wirkung, nicht auf das reale Risiko bei der praktischen Anwendung, das BfR, EFSA und ECHA bewerteten. Bei Lesch erfährt man über diesen Unterschied nichts, lediglich, dass „zahlreiche Wissenschaftler“ die EFSA-Ergebnisse als „wissenschaftlich unakzeptabel“ darstellen.
Die Alternative ist klar: „Ob Bio die Welt ernähren kann, ist nicht die Frage. Bio muss die Welt ernähren.“ Erneut stellt man verdutzt fest: Nicht denken, einfach so machen, wie Lesch es sagt.Tatsächlich macht heute „Bio“ gerade mal 1% der weltweiten Agrarfläche aus. Die durchschnittlichen Erträge beim Ökolandbau liegen um ein Viertel niedriger als beim konventionellen Anbau. Bio verbraucht zur Herstellung der gleichen Menge Lebensmittel mehr Land und Ressourcen und ist in der Reinform für weite Teile der Welt kein Modell.
Hier macht sich Lesch bedenkenlos zum Lobbyisten für eine bestimmte Industrie, natürlich die „gute“ Bio-Industrie. Seine Quellen sind keine wissenschaftlichen Arbeiten, sondern Anton Hofreiter von den Grünen und das nicht gerade für wissenschaftliche Sorgfalt bekannte „Umweltinstitut“ in München.
Nun wäre es falsch, biologische Landwirtschaft grundsätzlich zu verdammen. Gute Praktiken sollte man durchaus in eine vernünftige Agrarpraxis integrieren, so sind Fruchtfolge und tiergerechte Haltung durchaus begrüßenswert. Das Problem ist aber, „Bio“ fundamentalistisch als einzige Lösung aller Probleme zu sehen.
Bio-Vertreter weigern sich meist zudem, überhaupt etwas außerhalb ihrer reinen Ideologie zu akzeptieren. Mineraldünger werden als „Chemie“ abgelehnt, obwohl wir seit Justus von Liebig wissen, dass Pflanzen Nährstoffe brauchen, die durch Düngung zugeführt werden müssen. Neben einigen Mikronährstoffen sind dies vor allem Stickstoff, Phosphor, Kalium, Calcium, Schwefel, Magnesium und Natrium. Organischer Dünger ist in vielen Situationen nicht ausreichend vorhanden und muss ein stets gleichbleibendes Verhältnis der Nährstoffe bieten, um den Ertrag nicht zu mindern. Kohlenstoff – die Basis aller organischen Verbindungen – wird von der Luft aufgenommen. Moderne Züchtungsmethoden werden gleichfalls pauschal und ohne Differenzierung als Teufelszeug abgelehnt.
Gut und Böse
Ebenso problematisch sind Leschs Aussagen zur globalen Erwärmung. Auch hier sind die Diagnosen richtig und die Probleme tatsächlich dramatisch und real, die Lösungen jedoch untauglich. Wie in der Landwirtschaft beim Bio-Anbau, sieht Lesch auch hier eine alleinige Lösung, nämlich in Wind-,Solar- und Wasserenergie. Es findet keine ausgewogene Gegenüberstellung der Optionen statt. Das Buch lässt nur erneuerbare Energien gelten, und Kernenergie ist, wie die Gentechnik, Teufelswerk. Seinen Interviewpartner Prof. Mojib Latif lässt Lesch sagen: „Deutschland zeigt, wie es geht“ und, dass „allein die Tatsache, dass Frankreich das Wort Energiewende in den Mund genommen hat, zeigt, dass es wirkt“.
Tatsächlich belegen alle Daten der letzten Jahre, dass Frankreich für seine Stromversorgung pro Person viel weniger CO2 emittiert als Deutschland bei geringeren Kosten für die Verbraucher. Die Emissionen in Deutschland steigen sogar. Der Grund: Alle Fortschritte durch erneuerbare Technologien werden nicht etwa genutzt, um Emissionen zu verringern, sondern um Kernkraftwerke abzuschalten. Wenn überhaupt, sollte Deutschland von Frankreich lernen, wie man Emissionen senkt. Vor kurzen haben Klimawissenschaftler die französische Regierung aufgefordert, nicht von der Kernkraft abzurücken. Unter ihnen ist auch der Pionier der Klimaforschung James Hansen. Wenn einer nicht vor einer Lobby einknickt, dann er!
Insgesamt fehlt im Buch zu vielen emotional aufgeladenen Themen eine nüchterne Analyse der Fakten und des wissenschaftlichen Sachstandes. Stattdessen heizt Lesch Emotionen an.
Bei meiner Kritik geht es nicht darum, ausschließlich der Kernkraft das Wort zu reden. Wenn man ernsthaft Wissenschaft betreibt, muss man zu einer nüchternen und wissenschaftlich orientierten Bestandsaufnahme bereit sein. Es ist nämlich nicht so, dass Wind- und Solarenergie ausschließlich Vorteile und Kernkraft nur Nachteile mit sich brächten. Auch hier wäre es an der Zeit, ohne Scheuklappen das Beste aus allen verfügbaren Energiequellen mit minimalem Treibhausgas-Ausstoß zu machen. Auch zu anderen Themen im Buch gäbe es vieles kritisch anzumerken, etwa zu zahlreichen geschichtlichen Aussagen bezüglich Eroberungen und zu Leschs Darstellung der vorindustriellen Klimaentwicklung sowie zur von ihm ausschließlich negativ dargestellten Entwicklung der neueren Zeit, seien es Big Data, Industrie 4.0 oder künstliche Intelligenz. Stets bleibt es beim dramatisierten Hinweis auf die Risiken, von den Chancen ist nie die Rede.
Überall beschleicht den Leser der Verdacht, dem Autor gehe es weniger um wissenschaftliche Korrektheit oder Ausgewogenheit als vielmehr darum, sein politisches Programm mzusetzen. Ein solches Programm wird seine Ziele nicht nur verfehlen, sondern tatsächliche Probleme – wie Hunger und Klimawandel – erheblich verschlimmern. Gänzlich lässt Lesch die Hüllen ab Kapitel 38 fallen. Hier geht es – nach entsprechender Vorbereitung der willigen Leserinnen und Leser – um das Eigentliche. Er ruft nicht dazu auf, Wissenschaft zu fördern oder sich in Wissenschaft und Forschung zu engagieren, um die von ihm aufgeworfene Fragen wissenschaftlich anzugehen. Stattdessen wirbt er unter anderem für Greenpeace, eine Organisation, die nachweislich Falschinformationen verbreitet, wenn diese nur dem „richtigen“ Zweck dient – siehe die Affäre um den Öltank Brent Spar.
Fazit
Bei den Lösungen der richtig erkannten großen Herausforderungen von Klimawandel und Hunger entfernen sich die Autoren leider nach einem akzeptablen Start von Wissenschaft, Fakten und der Datenlage. Das Buch ist daher keine Empfehlung für diejenigen, die durchgehend zuverlässige, belastbare und wissenschaftlich fundierte Informationen suchen.
Wer allerdings ein auf Austerität und „Zurück zur Natur“ basiertes Programm durchsetzen will, findet hier die notwendige Unterstützung.
Amardeo Sarma
Literatur
Europäische Kommission (2010): A decade of EU funded GMO research (2001 – 2010), ISBN 978-92-79-16344-9, doi 10.2777/97784.
Kathage, J.; Qaim, M (2012): Economic Impacts and ImpactDynamics of Bt (Bacillus thuringiensis) Cotton in India. Proceedings of the National Academy of Sciences USA 109: 11652-11656.
Klümper, W. M.; Qaim (2014): A Meta-Analysis of the Impacts of Genetically Modified Crops. PLOS ONE 9: e111629. http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.
0111629.
Krishna, V.V.; M. Qaim (2012): Bt Cotton and Sustainability of Pesticide Reductions in India. Agricultural Systems 107: 47-55.
Nicolia, A. et al. (2014): An overview of the last 10 years of genetically engineered crop safety research, Critical Reviewsin Biotec hnology, 2014, 34(1), 77 – 88.