Von allen guten Geistern verlassen?
Brigitte Frizzoni
Geheimnisvoll brodelt, zischt und blubbert es in Reagenzgläsern, hin und wieder entweicht Dampf, elektrische Gerätschaften blinken auf, Maschinen manipulieren Versuchspersonen im Tiefschlaf. Aufgeregt führt der Sexualforscher Dr. Bernardo seinen Kollegen Viktor Shakopopolous und die Reporterin Helen Lacey durch sein Allerheiligstes: das raffiniert ausgestattete Laboratorium tief unten im Kellergeschoss, wo seine bahnbrechenden Entdeckungen im Bereich der Sexualität einer baldigen Veröffentlichung harren und ihm endlich den Ruhm bringen sollen, den ihm die führenden Sexualforscher Masters und Johnson bisher so sträflich versagt haben. Ja, gar als verrückt erklärt haben sie ihn - ihn, der fordert, der klitorale Orgasmus dürfe kein Vorrecht der Frauen bleiben. Ihn, der für eine Durchschnittslänge des Penis von 50 Zentimetern plädiert. Ihn, der die Ejaculatio praecox beim Nilpferd studiert. Aber zeigen wird er es denen, und wie!
Getrieben von düsteren Rache- und Größenfantasien
Parodistisch überspitzt entwirft Woody Allen in „Are the findings of doctors and clinics who do sexual research and experimentsaccurate?", der sechsten Episode seines Films „Alles was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber nie zu fragen wagten" (USA 1972), das prototypische Bild jener Figur, die den Science-Fiction-Film bis heute bevölkert: des von allen guten Geistern verlassenen, exzentrischen Wissenschaftlers („mad Scientists", „savant fou"), der nächtens in seinem Geheimlabor wie besessen an seinem Projekt arbeitet und - zutiefst gekränkt über die sträfliche Verkennung seines Genies, getrieben von Größen- und Rachefantasien - sich und andere mit seiner monströsen Schöpfung schließlich ins Verderben stürzt. Im hier zitierten Film handelt es sich dabei um den Männer(alb)traum einer ins Gigantische mutierten Brust, die milchspritzend dem Labor entweicht und alles plattdrückt, was sich ihr in den Weg stellt.
Kauzige „Einstein"-Typen mit schlohweißem Haar
Dieses Stereotyp des Mad Scientist ist uns allen wohl bekannt, ebenso wie die Vorläufer dieser diabolischen Figur, z. B. Dr. Frankenstein oder Faust. Vertraut ist uns diese Figur aber nicht nur in der hier beschriebenen düsteren Ausprägung, sondern auch gemildert: als geistesabwesender, kauziger und genialer Tüftler mit schlohweißem Haar („Einstein-Typ"), der mit seinen Erfindungen für Aufregung und Verwirrung sorgt (z. B. „Zurück in die Zukunft", USA 1985). Das Stereotyp scheint laut Umfragen den Wissenschaftler-Vorstellungen einer breiten Öffentlichkeit zu entsprechen. Die im Text übrigens durchgängig verwendete männliche Form des Terminus „Wissenschaftler" verweist auf ein weiteres konstitutives Merkmal des Stereotyps: Der Wissenschaftler ist ein (weißer) Mann. Die Palette der Wissenschaftler-Figuren im Science-Fiction-Film beschränkt sich allerdings nicht auf den Mad Scientist. Die Skala reicht vom abgrundtief bösartigen über den tragischen Wissenschaftler, der an seiner Erfindung zugrunde geht, vom liebenswürdig-schrulligen Einstein-Typ bis zum Retter in letzter Not, der auch in höchster Gefahr klaren Kopf bewahrt.
Eine Aura der Andersartigkeit, ...
Grundsätzlich umgibt den Wissenschaftler im Film eine Aura der Andersartigkeit, der sozialen Auffälligkeit, die sich in herausragender Intelligenz manifestiert, welche ihrerseits durch die Brille als erkenntnisstützendes Requisit symbolisiert wird. Auch unbezähmbare Neugierde als Motor des leidenschaftlichen Forscherdrangs ist obligatorisch. So ist es reine Neugierde, die Professor Barnhardt in „Der Tag, an dem die Erde stillstand" (USA 1951) die Angst vor dem Fremden überwindenund den unheimlichen Außerirdischen Klaatu zu sich herein bitten lässt. Er antwortet auf Klaatus Bemerkung „You have faith, Professor Barnhardt": „It isn't faith that makes good science, Mr. Klaatu, it is curiosity. Sit down please, there are several thousand questions I'd like to ask you. "
... Skurrilität und Exzentrik
Dazu kommen enorme Ausdauer und Konzentration sowie die Bereitschaft, sich von der Außenwelt abzuschotten, bis das Ziel erreicht ist. Die Andersartigkeit der Wissenschaftler innerhalb der narrativen Figurenkonstellation wird zudem auch gern durch Züge von Skurrilität, Kauzigkeit und Exzentrik betont. Diese vorerst einmal „neutralen" Wissenschaftler-Eigenschaften bergen im Science-Fiction-Film sowohl problemschaffendes wie problemlösendes Potenzial, d. h. sie können sowohl ins Negative (ins Verderben, in den Wahn) kippen wie das Positive (die Lösung eines Problems und damit die Rettung) ermöglichen. Sie zeugen von der populären Vorstellung von Wissenschaft als Drahtseilakt zwischen geistiger Brillanz und Wahn, zwischen Segen und Bedrohung.
„Gott spielen" wird stets bestraft
Die Entwicklung des Wissenschaftlers hin zum Problemschaffer wird im narrativen Ablauf mehrfach motiviert: Sobald sich das jeweilige Forschungsvorhaben und die Forschungsmotivation des Wissenschaftlers abzeichnen, wissen wir als Zuschauer in Grundzügen schon Bescheid über den Handlungsverlauf und das Schicksal des Protagonisten. Die Erschaffung künstlichen Lebens etwa, der Drang, Dinge zu erfahren, die den Menschen in der Logik und Moral des Films (und des Zeitgeistes) verborgen bleiben sollten, sind klare Indizien für Desaster und Ruin, Wahn und Untergang des Wissenschaftlers. Denn Hybris („Gott spielen") gilt als unverzeihliches Vergehen und wird immer bestraft. Weitere Indizien sind die Zuschreibung von Eigenschaften wie Egozentrik und Größenwahn, die Tendenz des Wissenschaftlers zur Verabsolutierung und Verherrlichung reiner Rationalität sowie eine wachsende räumliche und kommunikative Isolierung. Das Desaster kann dabei - je nach narrativer Realisierung - Folge oder Ursache der „Verrücktheit" des Wissenschaftlers sein. Im ersten Fall wird die Wissenschaftlerfigur eindeutig negativ gezeichnet, als dämonischer Bösewicht, im zweiten Fall ambivalent, als tragische, selbstzerstörerische Figur.
Der Mad Scientist als dämonischer Bösewicht
Der eingangs erwähnte Mad Scientist Dr. Bernardo („Was Sie schon immer über Sex wissen wollten ...") ist ein Paradebeispiel für diesen abgründigen Typus. Ihm stehen im Science-Fiction-Film eine Reihe von gleichermaßen finsteren Kollegen zur Seite. Am düstersten Ende angesiedelt ist etwa Dr. Alexander Thorkel (Spitzname „Cyclops") im Film „Dr. Zyklop" (USA 1940), der abgeschottet von der Zivilisation im peruanischen Dschungel Menschen mittels Radioaktivität auf ein Fünftel ihrer Größe schrumpfen lässt und mit ihnen sadistische Spielchen treibt, bevor er ihnen nach dem Leben trachtet. Menschenverachtende Wissenschaftler ziehen auch im Film „Alien" von Ridley Scott (USA 1979) im Hintergrund die Fäden: Sie programmieren den Bordcomputer des Raumschiffs dergestalt, dass auch bei Todesgefahr für die Besatzung primär das unbekannte Forschungsobjekt geschützt wird. Menschen lassen sich ja schließlich jederzeit ersetzen ...
Schon diese wenigen Beispiele erlaubenes, ein Psychogramm des Mad Scientist in der Handlungsrolle des Bösewichts zu zeichnen: Er hat einen totalitären Anspruch auf (wissenschaftliche) Macht und Anerkennung und hütet seine Erfindung eifersüchtig; sein Forschungsinteresse richtet sich auf dubiose, eigennützige Projekte ohne erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen (z. B. die Fähigkeit, unsichtbar zu werden, in „Der Unsichtbare", USA 1933). Technikverherrlichung, blinder Machbarkeitswahn, Missachtung von Warnsignalen sowie Skrupellosigkeit bei der Verfolgung seines Projekts zeichnen ihn aus. Fortschritt und wissenschaftlicher Erfolg sind ihm oberstes Gebot, und er setzt dabei ganz bewusst das Leben anderer aufs Spiel. Denn, so formuliert es Dr. Carrington in „Das Ding aus einer anderen Welt" (USA 1951): „Knowledge is more important than life, we've got only one excuse for existing: to think, to find out, to learn! "
Der Mad Scientist als tragische Figur
Vom Bösewicht unterscheidet sich der ambivalent gezeichnete Mad Scientist durch die narrativ inszenierte Tragik. Es handelt sich hier um Wissenschaftler, die mit ihrer Forschung nach bestem Wissen und Gewissen sozialen Nutzen beabsichtigen, also im (vermeintlichen) Dienst der Menschheit forschen. Keine Strapaze ist ihnen zu viel, ruhelos führen sie ihre Experimente durch, auf Erholung, Schlaf und Essen verzichtend, oft mit fatalen Konsequenzen, da Übermüdung zu Kontrollverlust führt. Selbstgefährdendes Verhalten verlangt ihnen aber auch ihr Forscherethos ab: So setzen sie sich selbst als Versuchskaninchen ein, um andere Menschen nicht zu gefährden. Missglückt ihr Experiment - zunächst ohne fatale Folgen -, zögern sie zwar leicht, doch Realitätsverlust und felsenfeste Überzeugungen lassen sie sämtliche Warnungen in den Wind schlagen. Nichts kann sie von ihrem Vorhaben abbringen, notfalls verteidigen sie es aggressiv gegen den wohlmeinenden Rat von Freunden. So werden sie unwillentlich zu Tätern und gehen letztlich als Opfer ihres eigenen Experiments zugrunde.
Das Monster in uns
Ein noch tragischeres Ende nehmen Wissenschaftler, die aus ihrem Selbstexperiment als Monster hervorgehen und nur mit letzter Kraft, bevor die monströsen Anteile in ihnen überhand nehmen und sie zu mörderischen Aggressoren werden, ihrem Leben ein Ende setzen können („Die Fliege", USA 1958). Die Monstrosität des Forschungsresultats ist eine narrative Konstante in der Darstellung problemschaffender Wissenschaftler und verweistauf deren Gefährdungsanfälligkeit.
Sie steht gleichermaßen für die Wissenschaft wie für das Unbewusste der Wissenschaftler, für „the monsters from the id", wie es in „Alarm im Weltall" (USA 1956) wörtlich heißt. Es sind diese „monsters from the id", welche die Wissenschaftler dazu treiben, sich, ihre Nächsten, ja die ganze Menschheit in Gefahr zu bringen durch ihren Drang, Grenzen zu überschreiten, durch ihren Ehrgeiz, etwas zu schaffen, was man sich bisher nicht einmal vorzustellen wagte.
Der Mad Scientist als Problemlöser
Dem tragisch oder diabolisch gezeichneten Wissenschaftler-Typus steht im Science-Fiction-Film der menschenfreundliche Wissenschaftler gegenüber, und zwar in der Rolle des Experten, Helden und Retters. Während der 1950er, zur Zeit des Kalten Krieges, taucht vermehrt der sozial integrierte, bindungsfähige, sympathische Wissenschaftler als in der Öffentlichkeit arbeitender Praktiker auf. Ihn ziehen Regierung und Militär als Ratgeber und Beobachter bei Attacken von Außerirdischen oder zur Aufklärung mysteriöser Vorfälle bei. Erläuterungen des Forschergenies vor staunender Gemeinde, selbst unter lebensbedrohlichen Umständen, sind hier ein narrativer Topos. In „Kampf der Welten" (USA 1953) etwa, in welchem feindlich gesinnte Außerirdische alles in Schutt und Asche legen, entwickelt sich im Schützengraben folgendes Gespräch zwischen dem General, dem Pfarrer und Dr. Forrester vom Pacific Institute of Science and Technology: General (reicht Forrester den Feldstecher): „Sehen Sie mal, Forrester!" Pfarrer (andächtig): „Wesen aus einer fremden Welt." General: „Werden sie durch Motoren angetrieben?" Forrester (fasziniert): „Nein, nein, aber ich glaube, sie werden durch magnetische Einwirkung vom Boden gehoben und langsam vorwärts getrieben, sie schweben wie auf Flügeln. Ich nehme an dadurch, dass magnetische Gegenpole sie ins Gleichgewicht bringen." Dr. Forrester erweist sich in dieser Sequenz (und während des ganzen Films) als praxisorientierter Beobachter und Analytiker, der seine Problemlösekompetenz selbst angesichts drohender Lebensgefahr in den Dienst des Allgemeinwohls - hier der Verteidigung der Zivilisation - stellt. Gern wird der Problemlöser auch als liebenswürdig-verschrobener Wissenschaftler charakterisiert, der für Laien in Rätseln spricht und immer wieder ermahnt werden muss, seine Überlegungen auch für Normalsterbliche verständlich zu äußern, wie der Myrmekologe Dr. Medford in „Formicula" (USA 1954). Aber schließlich ist er es, der die Menschen vor den tödlichen Angriffen der Riesenameisen rettet, in denen er durch Radioaktivität entstandene Mutationen erkennt. Während die einen Wissenschaftler mit der Erfindung der Atombombe die totale Zerstörung der Menschheit ermöglichen, retten die anderen die Welt vor dem Untergang. Nebst der vom Menschen selber verschuldeten Gefährdung sind die Problemlöser vor allem bei zwei Heimsuchungen von außen aktiv: bei der Invasion aus dem Weltall und bei drohenden kosmischen Katastrophen, wie etwa einem unmittelbar bevorstehenden Meteoriten-Einschlag. Hier tritt der Wissenschaftler als Retter in letzter Not in Aktion. Seine Opferbereitschaft im Dienste der Menschheit stilisiert ihn zum mythisch überhöhten Helden. Entsprechend häufig treffen wir die Problemlöser daher in so genannten „Alien-Invasionsfilmen" und Katastrophenfilmen an.
Frauen als Denkerinnen mit Bodenhaftung
Beachtenswert ist, dass die spärlicher vertretenen Wissenschaftlerinnen im Science-Fiction-Film fast durchwegs dem positiven Typus des Problemlösers zuzuordnen sind. Zwar werden sie bis in die 1970er häufiger als Kaffee und Verpflegung servierende gute Seele und fürsorgliche Gefährtin denn als Expertin inszeniert - auch wenn sie einen Doktortitel in Physik und eine Dozentur an der Universität vorweisen können („Kampf der Welten"). Doch sind schon früh auch Frauen als aktive Wissenschaftlerinnen im Science- Fiction-Film anzutreffen, wie die Myrmekologin Pat Medford in „Formicula", die zusammen mit ihrem Vater als hochkarätige Forscherin zur Aufklärung der mysteriösen Todesfälle eingesetzt wird. Im Unterschied zum zerstreuten Vater, der mit den alltäglichen Dingen seine liebe Mühe hat, verkörpert sie die unerschrockene Denkerin mit Bodenhaftung, eine bis heute im Science-Fiction-Film wirksame genderspezifische Zuschreibung.
Die „Guten" und die „Bösen"
Wichtigste Merkmale dieser positiv gezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind soziale Integration und ausgeprägtes Verantwortungsgefühl (sie werden als engagierte Arbeitskolleginnen, fürsorgliche Väter oder liebevolle Partner inszeniert), starkes moralisch- ethisch-religiöses Empfinden, Empathie und Altruismus, was sich darin zeigt, dass sie ihr Expertenwissen in den Dienst des Menschen stellen, auch wenn sie mit dem eigenen Leben bezahlen müssen. Auf einen Nenner gebracht: Es ist die „altruistisch-humanitäre Orientierung", die tiefe Menschenverbundenheit, die die „guten" von den „gefährlichen" Wissenschaftlern unterscheidet. Erst der grundsätzliche Mangel an Humanität, an Verantwortungsgefühl und Anteilnahme am Schicksal anderer macht den Wissenschaftler zum abgründigen Vertreter seiner Gilde.
Wissenschaft als Pulverfass und Hoffnungsträgerin
Während Wissenschaft in den Händen der Akteure in Mad-Scientist-Filmen als unberechenbares Pulverfass beschrieben wird, erscheint sie hier, bei den positiv gezeichneten Problemlösern, als Hoffnungsträgerin. Mit ihrem profunden Wissen fungieren die Wissenschaftler als Retter in der Not. Wissenschaftliche und technologische Errungenschaften werden also nicht per se dämonisiert, sondern durchaus gefeiert, nicht zuletzt auch in den so genannten Space Operas mit ihren grandiosen Inszenierungen von künftigem Leben im All und ihren mit allen erdenklichen Technologien ausgestatteten Raumschiffen („Star Trek", „2001 - Odyssee im Weltraum").
Zur Kritik am Wissenschaftsbild in der Science-Fiction
Zwar verliert die Figur des Wissenschaftlers im Science-Fiction-Film im Laufe der Zeit an Bedeutung, bewegt sich weg von der Rolle des Problemschaffers bzw. Problemlösers hin zum kleinen Rädchen innerhalb eines Machtapparats, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftlerinen kaum mehr Einfluss darauf haben, wie ihre Forschungsergebnisse umgesetzt werden. Verantwortung liegt nun nicht mehr hauptsächlich bei den Machern, sondern bei den Nutzern; nicht mehr nur der verrückte Wissenschaftler steht am Pranger, sondern der verrückte General, der verrückte Politiker, die Profitgier anonymer Großkonzerne. Doch trotz des generellen Bedeutungsverlusts und der positiven Handlungsrollen der Wissenschaftler-Figur im Science-Fiction-Film erweist sich das Bild des Wissenschaftlers als Bedrohung - wie es bereits von Mary W. Shelley („Frankenstein") und den beiden Begründern des literarischen Genres, Jules Verne und H. G. Wells, geprägt wurde - als außerordentlich langlebig.
Die Lösung: ein „Scientific soundness"-Zertifikat?
Das Stereotyp des Wissenschaftlers als verrückter Eigenbrötler, die wissenschaftlichen Absurditäten und der Hokuspokus in Science-Fiction-Filmen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder zu öffentlicher Kritik veranlasst. Im „golden age" des Genres etwa den Astronomen Patrick Moore, der 1955 in einem Vortrag über „science and fiction" ein Kontrollorgan forderte, das die Echtheit des Wissenschaftsbildes in Science-Fiction-Werken überprüfen und ein entsprechendes „Scientific Soundness"- Zertifikat ausstellen sollte. Und noch im Columbia University Record wird 1998 unter dem Titel „Dialogue aimed at getting beyond ,mad scientist‘ stereotypes in film" von einer Diskussionsrunde berichtet, in der Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft Filmschaffende auffordern, endlich mehr Filme in der Art von Robert Zemeckis „Contact" (USA 1997) zu drehen, der die Tätigkeit einer Wissenschaftlerin (einer von Jodie Foster dargestellten Radioastronomin) angemessen vermittle.
Der Mad Scientist lebt weiter
Diese Reaktionen sind zwar verständlich, verkennen aber zweierlei: nämlich den hybriden Charakter des Genres und die Funktion des Mad Scientist als Angstreflektor und Warnfigur. Die Hybridität des Genres und die Reflektorfunktion des Mad Scientist sind nicht nur verantwortlich für die Langlebigkeit des Mad-Scientist-Stereotyps in der Geschichte des Science-Fiction-Films; sie lassen auch vermuten, dass die Figur weiterhin überleben wird.
Science-Fiction im Spannungsfeld von Magie und Religion
Das Science-Fiction-Genre lässt sich trotz seiner Wurzeln im naturwissenschaftlich- technischen Zeitalter nicht auf die Darstellung von Wissenschaft und Technik, auf den Wissenschaftsdiskurs (mit seinem Oszillieren zwischen Wissenschaftseuphorie und Wissenschaftskritik) reduzieren, sondern bewegt sich gleichermaßen im Spannungsfeld von Magie und Religion, Horror und Fantasy. Erinnert sei nur an all die Science-Fiction-Filme mit mehr oder weniger subtiler religiöser Symbolik auf struktureller, motivischer oder visuell-ikonographischer Ebene. Die Schlusssequenz von„Unheimliche Begegnung der dritten Art" (USA 1977) beispielsweise eignet sich zur Illustration religiöser Symbolik im Science-Fiction-Film mit der Inszenierung von Aliens als verheißungsvollen Lichtgestalten, die mit segnenden Gesten und ausgestreckten Armen ins strahlende Innere ihres Ufos zurückkehren und himmelwärts entschwinden. Die Hybridität des Genres zeigt sich aber auch deutlich in der Figur des Mad Scientist selbst (und des von ihm geschaffenen Monsters); hier ist die „Horror"-Prägung des Genres unverkennbar.
Der Pakt mit dem Teufel
...Der verrückte Wissenschaftler ist Teil von Erzähltraditionen, die weit älter sind als die Science-Fiction. Er ist eine Faust-Figur, die gesellschaftliche und weltanschauliche Grenzen überschreitet und bereit ist zum Teufelspakt, ein Zauberlehrling, der die Geister nicht mehr loswird, die er rief. In den Charakteristika des verrückten Wissenschaftlers findet sich zudem das Erbe des Alchemisten, des Astrologen, des Zauberers und des Schamanen, ein deutlicher Verweis auf seine vorwissenschaftliche Vergangenheit. Wie der Alchemist verfügt er über Geheimwissen, das anderen nicht zugänglich ist; wie der Schamane ist er ein Performer, der sich inmitten seiner Paraphernalien inszeniert, er ist umgeben von zischendem und dampfendem Gebräu.
... und die Angst vor den Folgen
Die Kritik an der Wissenschaftsfeindlichkeit von Science-Fiction-Filmen übersieht zudem eine wesentliche Funktion des Mad Scientist, der nicht zufällig mit jenen dramaturgisch ergiebigen Merkmalen ausgestattet wird, die der Laie mit Wissenschaft verbindet und die seinen Ängsten gegenüber Wissenschaft Gestalt geben: Streben nach Prestige und Erfolg, Erkenntnis als oberstes Gebot und reiner Selbstzweck, Größenfantasien, Kontroll- und Realitätsverlust, Blindheit gegenüber allfälligen Gefahren - all diese Eigenschaften machen deutlich, dass sich die Figur des Mad Scientist auch als Warnung vor möglichen verheerenden Folgen wissenschaftlicher Forschung und als Hinweis auf die Macht des Unbewussten interpretieren lässt, dem Stereotyp also eine wesentliche Funktion als Angstreflektor und Warnfigur zukommt.
Atombombe und Gentechnik
So bündeln sich in der Figur des Mad Scientist unverkennbar die (jeweils zeitabhängigen) Ängste der Menschen vor den unabsehbaren Auswirkungen neuer technologischer und wissenschaftlicher Entwicklungen. Jeder Wissenschaftsschub spiegelt sich denn auch in Science-Fiction-Filmen, die das Gefahrenpotential der jeweiligen Errungenschaften auf vielfältige Art und Weise durchspielen. Besonders einschneidende Markpfeiler der Wissenschafts- und Technologiegeschichte, die im Genre ihren Niederschlag gefunden haben, sind die desaströsen Auswirkungen der Atombombe („Godzilla", USA 1954, „The Day After", USA 1983) sowie in jüngerer Zeit die Befürchtungen bezüglich möglicher Entwicklungen in der Computer- und Gentechnologie. Im Zeitalter von Organtransplantation und Klonen („Coma", USA 1977; „Gattaca,", USA 1997), von Virtual Reality und „Leben in der Elektronik" wird die Grenze zwischen Mensch und Maschine, zwischen Realität und Fantasie immer durchlässiger („Matrix", USA 1999). Während der Mensch immer mehr zum Cyborg wird, entpuppt sich der Androide als „wahrer", mitfühlender Mensch („Android", USA 1982; „Blade Runner", USA 1982). Und gerade die gegenwärtigen Entwicklungen in der Gentechnologie sorgen dafür, dass die Dämonisierung des Wissenschaftlers wohl bestehen bleibt; die kürzlich erfolgte Ankündigung eines ersten „Klon-Babys" durch die Raël-Sekte könnte geradewegs dem Plot eines Science-Fiction-Films entnommen sein. Die Angst vor wissenschaftlichen Errungenschaften und dem damit verbundenen soziokulturellen Wandel bringt Helen in „Die Fliege" explizit zum Ausdruck: „Oh André, I get so scared sometimes, the suddenness of our age, electronics, rockets, earth satellites, supersonic flight - and now this. It's not so much who invents them, it's the fact they exist. [...] everything is going so fast, I'm just not ready to take it all in, it's all so quick!"
Sex und Science
Andrés Antwort, sie solle damit umgehen wie ihr kleiner gemeinsamer Sohn, für den dies alles nichts als selbstverständliche Dinge seien, vermag sie (und uns) nicht wirklich zu überzeugen. Es ist diese zentrale Funktion als Bündler von Ängsten, als Erkunder der dunklen Seiten von Wissenschaft und Wissenschaftlern, als Erinnerung an die Macht des Unbewussten auch im Reich der Ratio, welche die Figur des Mad Scientist so langlebig macht. In diesem Sinne fasst auch Viktor Shakopopolous in der eingangs erwähnten Parodie Woody Allens seinen Eindruck vom Sex-Labor zusammen. Und es ist wohl nicht abwegig, in diesem Kontext „Sex" - also den Bereich menschlicher Neugierde schlechthin - durch „science" zu ersetzen: „When it comes to sex, there are certain things that should be always left unknown - and with my luck, they probably will be."
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Kapitel „Der Mad Scientist im amerikanischen Science- Fiction-Film", erschienen in dem Buch: Torsten Junge/Dörthe Ohlhoff (Hrsg.): Wahnsinnig genial - Der Mad Scientist Reader. 315 Seiten, Abbildungen, kartoniert, 18,50 €. ISBN 3-932710-79-7, Alibri, 2004
Inhalt:
- Torsten Junge/Dörthe Ohlhoff: In den Steinbrüchen von Dr. Moreau. Eine Einleitung. Brigitte Frizzoni: Der Mad Scientist im amerikanischen Science-Fiction-Film.
- Werner Schneider: Menschen-Maschinen und ihre Schöpfer. Eine post-moderne Schöpfungsgeschichte am Beispiel von Robocop.
- Eva Flicker: Wissenschaftlerinnen im Spielfilm. Zur Marginalisierung und Sexualisierung wissenschaftlicher Kompetenz.
- Felix Keller: Der Sinn des Wahns. Der Mad Scientist und die unmögliche Wissenschaft.
- Martin Jörg Schäfer: Literarischer Wahn im Medienkrieg. Nietzsche contra Wagner.
- Christoph Dompke: „Je fait tant de mal pour cette miracle". George Franjus Les Yeux sans Visage und seine Nachfolger.
- Oliver Gaycken: „Stetige Verwandlung und eine beunruhigende Allgegenwärtigkeit". Der Superverbrecher als Mad Scientist im französischen Kriminalmelodrama, 1911 - 1919.
- Arno Meteling: Weird Science. Wissenschaft und Wahn im amerikanischen Superheldencomic.
- Patricia Fara: Christlicher Philosoph oder Volksheld? Die vielen Gesichter von Isaac Newton.
- Julia B. Köhne: Ein Genie auf Diät. Wissenschaftliche Theorien zu Genie und Wahnsinn im Film „A Beautiful Mind".
- Martina Erlemann: Menschenscheue Genies und suspekte Exotinnen. Mythen und Narrative in den medialen Repräsentationen von PhysikerInnen.
- Désirée Gonzalo: Wissenschaftler oder Superman? Die Lücke zwischen Realität und Fiktion.
- Torger Möller: Paranoia psychiatrica oder Querulantenwahn? Auf der Suche nach dem „Mad Scientist in Real Life".
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 4/2004.