Reinhard Wiechoczek
An der Universität Bielefeld wurde der Doktortitel einem Befürworter der Astrologie verliehen, der seine abenteuerliche Glaubenslehre zum Gegenstand seiner umstrittenen Dissertationsarbeit gemacht hatte. In Freiburg wurden Schüler in Sterndeuterei ausgebildet Das falsche Zeugnis vom Kosmos halt Einzug ins bundesdeutsche Bildungswesen.
Es scheint fast, als ob Nikolaus Kopernikus nie gelebt hat, noch Johannes Kepler, Galileo Galilei, Sir Isaac Newton, Albert Einstein und all die anderen Wissenschaftler, die die Gesetze des Universums erklärt haben. Die moderne astronomische Forschung konnte keinen einzigen astrologischen Lehrsatz bestätigen; dennoch erfreut sich die Sterndeuterei wachsender Beliebtheit. Pausenlos wird heute das Universum innerhalb eines breiten Strahlungsspektrums mit empfindlichsten Instrumenten überwacht. Die Astrologie jedoch - so ist allenthalben festzustellen spekuliert ohne Rücksicht auf gültige Naturgesetze. Und trotzdem blüht das Geschäft der Astrologen.
Mit dem anspruchsvollen Dissertationsthema "Kritische Astrologie - Zur erkenntnistheoretischen und empirisch-psychologischen Prüfung ihres Anspruchs" gelang es Peter Niehenke aus Freiburg i.Br. in Zusammenarbeit mit seinem Doktorvater, dem Diplom-Psychologen Professor Oskar Lockowandt von der Universität Bielefeld, den Eindruck zu erwecken, die Sterndeuterei sei eine Wissenschaft.
Faktisch ist die Dissertation lediglich eine Ansammlung verschiedener astrologischer Meinungen, ergänzt durch eine statistische Erhebung. Mit dieser Arbeit setzt sich Niehenke zwischen alle astrologischen Stühle und glaubt offenbar, daß ihm dadurch die Weihe der Kritikfähigkeit zuteil werde. Anerkannten Astrologie-Gegnern wirft er wiederum mehrfach Mangel an Verständnis" vor, offenbar um den kritischen" Proporz zu wahren. Das Wissenschaftsministerium NRW in Düsseldorf hat die DissertationsGutachter bereits im Februar 1988 um eine Stellungnahme gebeten, im Herbst wurde eine Rückäußerung angemahnt - bisher ergebnislos.
Allen Ernstes behauptet Niehenke, der Frühlingspunkt befinde sich jetzt im Sternbild Wassermann, deshalb spreche man vom Wassermann-Zeitalter. Ein Blick in einen beliebigen Himmelsatlas ergibt jedoch, daß der Frühlingspunkt sich noch für weitere 600 (!) Jahre in den Fischen aufhält. Offensichtlich holte sich der promovierte Astrologe seine "wissenschaftlichen" Erkenntnisse aus der esoterischen New Age-Szene, die, entgegen allen astronomischen Berechnungen, bereits heute das Wassermann-Zeitalter eingeläutet haben will - frei nach dem Lied aus dem Musical HAIR "THE DAWNING OF THE AGE OF AQUARIUS" (Das Heraufdämmern des Wassermannzeitalters).
Der Frühlingspunkt hält sich noch 600 (!) Jahre im Sternbild der Fische auf.
Die Vorstellung der New Age-Szene, der Bewegung des "Neuen Zeitalters," dieses Ereignis habe konkrete Einflüsse, ist nicht begründbar. Das letzte "Wassermannzeitalter" liegt über 25.000 Jahre zurück. Somit ist ein Erfahrungswert nicht ableitbar. Derartig falsch justiert, verwenden Niehenke und andere den Tierkreis als „Koordinatensystem, in das sie die Positionen der anderen Himmelskörper und Raumpunkte, die sie für ihre Deutung benutzen, projizieren." Über die Deutung als Wissenschaft kann man nicht streiten, denn Deutung heißt nicht wissen. Im übrigen sind "Raumpunkte" als Koordinaten unmißverständlich dreidimensional im Universum markiert und zwar durch die Abweichung vom Frühlingspunkt (Rektaszension), die Abweichung vom Äquator (Deklination) und die Entfernung zur Erde. Aber gerade über die Entfernung des symbolischen Tierkreises wie auch die des Häuserkreises vermag die Astrologie keine Auskunft zu geben.
Vor Gericht als nicht beweiskräftig abgelehnt und in keiner bundesdeutschen Universität mit einem Lehrstuhl vertreten, darf die Astrologie dessen ungeachtet in Bielefeld fröhliche Urstände feiern. Nicht auszuschließen, daß demnächst "wissenschaftliche" Horoskope nicht nur in der Boulevardpresse veröffentlicht werden, unterzeichnet von einem, der es dank akademischer Weihe ja wissen muß: Dr. Peter Niehenke, an der Universität Bielefeld promovierter Astrologe.
So akademisch legitimiert, bleibt es nicht aus, daß die Astrologie für hoffähig gehalten wird, wie an einer Schule in Freiburg geschehen. Unter der Überschrift "Astrologie-Unterricht am Wirtschaftsgymnasium" berichtete die Schweizer Zeitschrift ASTROLOGIE HEUTE (Nr. 11 Februar/ März 1988), daß an der Max-Weber-Schule ein sechsmonatiger Kurs Selbsterfahrung im Umgang mit Symbolen - Die Ursymbole und ihre Kombination in der Astrologie" stattgefunden habe, genehmigt vom Kultusministerium Baden-Württembergs in Stuttgart. Angesprochen durch einen offenen Brief der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften," GWUP, ließ das Kultusministerium in Stuttgart verlauten: "Astrologie wird an öffentlichen Schulen Baden-Württembergs nicht unterrichtet." Der Kurs in der Max-Weber-Schule "hat die kritische Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex zum Ziel, der heute leider in Schrifttum, Presse, Fernsehen usw. einen breiten Raum einnimmt. Gerade aus diesem Grund ist es begrüßenswert, daß nicht nur die simple Ablehnung der Astrologie, sondern mit einer ausgewählten, reflexionsfähigen Gruppe erwachsener Schüler in einer Arbeitsgemeinschaft die kritische Aufarbeitung erfolgt."
Schüler lernten, "ihre Horoskope zu berechnen und zu zeichnen."
Die feinsinnige Unterscheidung des Kultusministeriums zwischen "Unterricht" und "Kurs" kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Schüler Astrologie-Unterricht erhalten haben. Und dies geschah keineswegs zum Zweck "kritischer Aufarbeitung," wie das Ministerium behauptet. Laut Bericht in ASTROLOGIE HEUTE und nach Aussage der verantwortlichen Lehrerin wurden den Schülern "astrologische Deutungsgrundlagen" vermittelt: Die Schüler lernten, ihr Horoskop zu berechnen und zu zeichnen. An eigenen Beispielen werden dann die ersten Versuche einer synthetischen Deutung in der Gruppe unternommen." Im Anschluß sollte ein zweiter Kurs Astrologie und Psychologie" erfolgen, der jedoch wegen weiterer befürchteter NegativSchlagzeilen durch die Schulleitung abgesetzt wurde.
Der eigentliche Skandal besteht indessen darin, daß die Schüler, gefördert durch öffentliche Mittel in die Schweiz reisten, um bei dem Astrologen und Herausgeber von ASTROLOGIE HEUTE, Claude Weiss, "praktische Erfahrungen" zu sammeln. Sollte sich eine solche Schulpolitik im Musterländle durchsetzen, werden wohl bald auch "kritische Aufbereitungskurse" in Kartenlegen, Hellsehen, Pendeln, Tischrücken, Kontaktaufnahme mit Verstorbenen und sonstigen okkulten Praktiken abgehalten werden.
Literatur:
HAMM. 1.: Astrologie - Tochter der Astronomie?. Urania (Leipzig) 1987.
NIEHENKE, P.: Kritische Astrologie - Zur erkenntnistheoretischen und empirisch-psychologischen Prüfung ihres Anspruchs. Dissertation Bielefeld 1987.
WEECHOCZEK, FL: Astrologie. Das falsche Zeugnis vom Kosmos. Erb (Düsseldorf) 1984.
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 1/1989.