Neben zahlreichen Sichtungsberichten ist "Die Geister-Akte" auch ein Parforceritt durch verschiedene Forschungsdisziplinen, die jeweils für "Erklärungen" der sonderbaren Phänomene herhalten sollen. Vier Experten des GWUP-Wissenschaftsrates haben sich das Buch daraufhin genau angesehen.
Gegen die Wand
Prof. Dr. Martin Lambeck, Professor em. der Physik, TU Berlin:
Jeff Belanger versucht, die Existenz von Geistern unter anderem mit der Physik zu begründen. So schreibt er beispielsweise von Wurmlöchern: "Schon 1957 postulierte der Physik-Theoretiker John Wheeler die Existenz von Wurmlöchern, Phänomene in der Raumzeit, die es erlauben, weite Entfernungen ohne Zeitverlust zurückzulegen. Es wäre also möglich, dass die Zeugen einer Geistererscheinung einen Blick durch Raum und Zeit werfen dürfen, und zwar aufgrund eines physikalischen Phänomens, das wir noch nicht erklären können" (S. 75).
Auch Laien können sich - etwa bei Wikipedia - über Wurmlöcher informieren. Deren Existenz ist erstens bis jetzt eine reine Hypothese. Zweitens würden, wenn es sie gäbe, dort so ungemütliche Bedingungen herrschen, dass kein Mensch sie überleben könnte. Ob Belanger einem Geist solche Gegebenheiten zumuten möchte, weiß ich nicht.
Dass ein Geist durch Wände gehen kann, ist physikalisch betrachtet recht unwahrscheinlich. |
Geist-loses Verständnis von Physik
Im Weiteren zitiert Belanger einen Kollegen, der glaubt, dass ein Geist "die Manifestation der Lebensenergie eines einstmals lebendigen Wesens ist". Dazu möchte ich grundsätzlich Folgendes zu bedenken geben: Wenn ein Geist einen bestimmten Ort aufsuchen soll, etwa den Schauplatz eines Verbrechens oder auch eine bestimmte Person, muss er sich an diesen Ort erinnern und ihn wiederfinden können. Er braucht also ein Gedächtnis.
Nach allem, was die heutige Physik weiß, benötigt man zur Speicherung von Information Materie. Materie ist nicht Information, wohl aber eine notwendige Voraussetzung für deren Speicherung. Auch Genies wie Goethe, Beethoven, Einstein waren auf Materie angewiesen, Papier und Tinte zum Beispiel, um ihre Gedanken als Information für die Mitmenschen wirksam werden zu lassen. Also müsste auch ein Geist informationsspeichernde Materie besitzen. Dann aber unterliegt er den bekannten Gesetzen der Physik, kann also nicht durch Wände gehen oder ähnliches.
Die Wahrheit ist nicht relativ
PD Dr. Rainer Wolf, Wahrnehmungsforscher, Biozentrum der Universität Würzburg:
Die Forderung des Autors, dass man Augenzeugenberichte von Geistererscheinungen nicht kategorisch verwerfen solle, versteht sich von selbst. Aus deren Schilderungen indes zu schließen, "wenn etwas da war, dann war es da" (S.21), ignoriert das riesige Täuschungspotenzial von uns Menschen, das den meisten gar nicht bewusst ist.
Sicher kann jeder, der etwas so Ungewöhnliches wie eine Geistererscheinung erlebt, dies auf ganz persönliche Weise deuten (S. 13). Wer aber davon überzeugt ist, mit seiner Deutung im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, erweist sich als Wissenschafts-Analphabet. Denn keine subjektive Erfahrung führt zu sicherem Wissen.
Dies kann uns gar nicht gelingen, weil unsere erlernten und ererbten Prädispositionen Grenzen bilden, die wir kaum überwinden können - es sei denn mit Hilfe der wissenschaftlichen Methodik, die allein zu verlässlicher Erkenntnis führt.
Selbst wenn mehrere Zeugen übereinstimmend von einer Beobachtung berichten, kann sie damit keineswegs immer als zweifelsfrei erwiesen gelten. Skeptikern geht es hier nicht darum, die Beweiskraft von Augenzeugen in Zweifel zu ziehen, wie Belanger schreibt, sondern die Beweiskraft kritisch zu bewerten.
Nebelschwaden oder eine Geistererscheinung? Das hängt von unserer Wahrnehmung ab. |
Was wir wahrnehmen, ist nicht "wahr"
Und so ist, entgegen der Meinung des Autors, keineswegs „alles relativ", und schon gar nicht die Wahrheit. Belanger meint in seinem Buch mit "Wahrheit" lediglich das, was wir subjektiv wahrnehmen (das heißt als wahr annehmen), und das hat mit der objektiven Realität oft wenig zu tun. Im Kapitel "Wahrnehmung" (S. 17) fehlt mithin das Wichtigste: nämlich auch nur der kleinste Hinweis darauf, dass Wahrnehmungen eine Konstruktion unseres fehleranfälligen Gehirns sind. Belangers Auffassung, der eigenen Erinnerung könne "durchaus Vertrauen geschenkt werden", erweist sich als grober Irrtum.
Ebenso unzutreffend und irreführend ist Belangers Behauptung, Materialisten sähen die Welt "nur als Abfolge von Einsen und Nullen", und was Materialisten nicht erklären könnten, mache sie wütend (S. 14). Nein - es macht sie vielmehr neugierig darauf, ob und wie eine Erklärung für ungewöhnliche Phänomene gefunden wird.
Naiv und unbelesen
Prof. Dr. Wolfgang Hell, Professor für Angewandte Psychologie, Universität Münster:
Jeff Belanger, der Autor der "Geister-Akte", ist naiv und unbelesen. Dass er die einschlägige skeptische Literatur zum Thema nicht kennt, mag man noch seinen persönlichen Präferenzen bei der Auswahl der Bücher und Zeitschriften zuschreiben. Allerdings kennt er offensichtlich auch die akademische parapsychologische Literatur nicht, wofür seine Gespräche mit Parapsychologen, die er hin und wieder anekdotisch anführt, nur ein unzureichender Ersatz sind - zumal Belanger nicht gerade das Gefühl vermittelt, diese Gespräche verstanden zu haben. Das ist eine sehr harsche Kritik; leider ist sie nur allzu berechtigt.
Nach Belangers Definition ist ein "übersinnlich Begabter" ein Mensch mit "geistigen Kräften wie etwa ASW (Außersinnliche Wahrnehmung), Telepathie (auch Gedankenlesen), Psychokinese". Ein "Hellseher" ist laut Belanger "jemand, dessen Wahrnehmung über die normalen menschlichen Sinnesleistungen hinausgeht" (S. 135).
Anscheinend weiß Belanger nicht, dass ASW üblicherweise als Oberkategorie gebraucht wird, welche auch die Telepathie umfasst. Psychokinese hingegen hat erst einmal gar nichts mit übersinnlicher Begabung zu tun. Ein Mensch etwa, der in der Lage wäre, Löffel berührungslos zu verbiegen, könnte gleichzeitig nicht die geringsten übersinnlichen Fähigkeiten haben. Ein "Hellseher" wiederum wird üblicherweise viel enger definiert, als von Belanger, und ist in obiger Definition nicht von einem "übersinnlich Begabten" zu trennen.
Bauchgefühl, Erfahrung - oder ASW?
Von solchen Details einmal abgesehen - was hat Belanger inhaltlich zu bieten? Im Kapitel "Mediale und übersinnliche Fähigkeiten" lesen wir zum Beispiel: "Das, was du als Bauchgefühl bezeichnest, ist ein erlernter Erfahrungsschatz, den man sich durch Versuch und Irrtum angeeignet hat ... Man kann das als Bauchgefühl, als erlernte Erfahrung oder als ASW bezeichnen" (S. 148).
Hier vermischt sich Richtiges und falsch Verstandenes zu einem arg verqueren Knäuel. Sachkundige Autoren zum Thema Bauchgefühl - wie etwa der Psychologe Gerd Gigerenzer ("Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition", Bertelsmann 2007) - kommen vollständig ohne ASW aus, um zu erklären, warum intuitive Entscheidungen manchmal besser sind als lang durchdachte.
Ein Beispiel: Wenn ein Mensch von zwei Städten diejenige für größer hält, deren Namen er schon einmal gehört hat, ist das eine Bauchentscheidung mit einem rationalen Kern. Denn größere Städte haben wir vermutlich schon häufiger gehört als kleinere, also dürfen wir die einfache Heuristik "Was ich kenne, ist größer als das, was ich noch nicht kenne" anstelle von reinem Raten einsetzen und werden hierdurch - von Ausreißern wie Buxtehude natürlich abgesehen - im Schnitt besser fahren als bei reinem Raten.
Handlungslenkende Sinnesreize
In diesem Sinne ist Intuition natürlich „ein erlernter Erfahrungsschatz", den man dann zu Recht "Bauchgefühl" nennt, wenn der Person, die diesem Gefühl folgt, nicht bewusst ist, was sie zu der Entscheidung veranlasst hat. Aber mit ASW hat das auch nicht das Geringste zu tun. Zugrunde liegen diesem „Bauchgefühl" Erfahrungen, die durch die ganz normalen Sinneskanäle unser Verarbeitungssystem und unseren Speicher erreicht haben.
Die Verarbeitung eines Reizes in einem Sinneskanal bedeutet allerdings nicht notwendigerweise, dass uns diese Verarbeitung auch bewusst wird. Es gibt Reize (sehr schwache oder auch starke, jedoch nicht beachtete), die nicht das Bewusstsein erreichen, aber trotzdem handlungslenkend sind - ausführlich nachzulesen ist dies in meinem Aufsatz "Von Schafen und Ziegen" in dem Turm-der-Sinne-Symposiumsband "Von Sinnen. Traum und Trance, Rausch und Rage aus Sicht der Hirnforschung" (Mentis-Verlag 2007).
Intuition ist mitnichten eine geheimnisvolle, nahezu "übersinnliche' sondern ein normaler Forschungsgegenstand der Psychologie. |
"Außer-bewusst" und "Außer-sinnlich"
Kurz zusammengefasst: Wenn ich das „Gefühl" habe, dass jemand hinter mir steht, und mich deshalb fast zwanghaft umdrehe, dann ist mir oft nicht bewusst, ob ich ein leises Astknacken oder einen Atemzug gehört habe, ob ich in der Peripherie meines Sehfeldes doch eine Bewegung wahrgenommen habe oder ob ich die Wärmestrahlung eines menschlichen Körpers gespürt habe. Ich registriere aber meine Reaktion darauf, das Umdrehen. Da mir jedoch die wirkliche neuronale Ursache dieser Handlung nicht bewusst ist, belege ich sie gerne mit dem Wort "Gefühl", was nur eine Umschreibung ist für "Keine Ahnung, warum ich das jetzt getan habe".
Belanger indes hat keinerlei Kenntnis von inzidentellem (unterschwelligem, unbeabsichtigtem) Lernen und Gedächtnis, von unbewusster, aber handlungslenkender Wahrnehmung, von neuronaler Aktivität, die nicht unser Bewusstsein erreicht, aber zu motorischer Aktivität führen kann. Das sind spannende und aktuelle Forschungen, deren Implikationen noch längst nicht klar sind, die aber nicht einmal am Rande ins „Übersinnliche" gehen.
Man könnte Belangers zentrales Missverständnis, wenn er Intuition, erlernte Erfahrung und Bauchgefühl mit ASW gleichsetzt, auch so beschreiben: Der Autor der "Geister-Akte" verwechselt „außer-bewusst" mit "außer-sinnlich". Das eine ist akzeptiert und Mainstream-Forschung. Das andere eine Spekulation, für die es der Mehrheit der Forscher bislang an überzeugenden Nachweisen fehlt.
Das berühmte "Körnchen Wahrheit"
Dr. Stephan Bachter, Volkskundler:
Im vierten Kapitel seines Buchs "Die Geisterakte" beschäftigt sich Jeff Belanger mit "Folklore und Legenden". Da es sich bei der "Geisterakte" um eine Übersetzung aus dem Amerikanischen handelt, erscheint mir zunächst der Hinweis nötig, dass der Begriff "Folklore" in der englischsprachigen Welt eine andere Bedeutung hat als in der deutschen Umgangssprache: Unter Folklore werden Wissen und Erfahrung (lore) und deren Überlieferung durch das Volk (folk) verstanden.
Aus gutem Grund sollten sich "Geisterjäger" auch mit Folklore und Erzählforschung beschäftigen - der Geisterfilm "Sleepy Hollow" beispielsweise basiert auf Washington Irvings Novelle "The Legend of Sleepy Hollow". |
Kulturelle Deutungsmuster
Ein Interview mit dem Volkskundler Michael Bell über Folklore und Legenden nimmt den größten Raum in dem besagten Kapitel ein. Bell weist zu Recht darauf hin, dass der „gewaltige Vorrat an Folklore" auch einen vorgefertigten Interpretationsrahmen für zunächst unerklärliche und vordergründig unheimliche Erscheinungen liefert. Leider betont er nicht deutlich genug, dass es sich dabei um kulturelle Deutungsmuster und nicht um naturwissenschaftlich-rationale Erklärungen handelt. Diese vorgefertigten Interpretationsrahmen der Folklore werden nicht nur mündlich, sondern auch durch Medien verbreitet. Flugblätter und Bücher brachten solche Deutungsmuster und bestimmte Erzählmotive genauso unters Volk, wie es heute Hollywoodfilme oder das Internet tun. Die Überlieferungswege der Folklore sind also sehr verschlungen. Berichte über angeblichen Spuk bauen auf kulturellen Überlieferungen auf, die für die Deutung eines persönlichen Erlebnisses genutzt werden. Man entledigt sich damit auch einer persönlichen, individuellen Erklärung einer Erfahrung und greift stattdessen auf kollektiv benutzte und akzeptierte Deutungsmöglichkeiten zurück. Vollkommen verfehlt ist daher Belangers Annahme, Legenden böten gerade im Bereich der Geisterforschung einen guten Ansatz für Ermittlungen, schließlich könne Folklore „auch ein Körnchen Wahrheit" enthalten.
Ganz natürliche akustische und thermische Effekte machen mitunter ein Haus zum "Spukhaus". |
Das Spukhaus in Bayerisch-Schwaben
Wenn wir berücksichtigen, wie wirkmächtig traditionelle Erzählmotive und kulturelle Deutungsmuster sind, dann kann uns die Folklore beziehungsweise die Volkskunde tatsächlich Ansatzpunkte liefern, um ein konkretes Spukgeschehen richtig einzuordnen. Wir müssen danach fragen, woher die Motive, Bilder und Geschichten kommen, die sich in bestimmten Fällen zur Interpretation "Spuk" verdichten können.
Ein konkretes Beispiel: Ende der 1990er Jahre untersuchte ich selbst ein angebliches Spukhaus in Bayerisch-Schwaben. In Gesprächen mit den Betroffenen stellte sich schnell heraus, dass die vermeintlichen Geistererscheinungen genauso aussahen wie die Gestalten aus den Horrorfilmen des erwachsenen Bruders, die der Kleine verbotenerweise im Übermaß konsumiert hatte. Hier lieferten Hollywood und die nächstgelegene Videothek die Vorlagen.
Zusammen mit kürzlich vorgenommenen baulichen Veränderungen am Haus und damit verbundenen unangenehmen akustischen und thermischen Effekten für die Bewohner (Pfeifgeräusche, kalte Zugluft) ergab sich eine ideale Bedingung für das Interpretament „Spuk". Vorlagen für die Interpretation eines Ereignisses als Geistererscheinung können nicht nur aus Filmen, sondern auch aus den Sagensammlungen des 19. Jahrhunderts oder aus der theologischen Literatur des 16. Jahrhunderts kommen. Nicht nur bei Spuk, sondern auch bei anderen Phänomenen, mit denen wir Skeptiker uns auseinandersetzen, ist die kulturelle Überlieferung zu berücksichtigen. Die englischen Kornkreise etwa sind bereits auf dem Flugblatt "The Mowing Devil" aus dem Jahr 1678 zu sehen. Und auch der "Bilmes" oder "Bilwis", eine süddeutsche Sagenfigur, hinterließ seine Spuren im Kornfeld, indem er mit an seinen Füßen befestigten Sicheln Schneisen ins Korn schnitt. Auch bei diesem Beispiel waren Motiv und Deutung bereits durch die volkstümliche Überlieferung vorgeformt.
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 4/2008