Parawissenschaftliche Codes
Klaus Schmeh
Die Bibel, der Koran, das Voynich-Manuskript, die Kompositionen Bachs und die Cheops-Pyramide haben eines gemeinsam: In ihnen sind geheime Botschaften versteckt, die eine weltgeschichtliche Bedeutung haben. Das jedenfalls
behaupten verschiedene parawissenschaftliche Theorien. Einer genaueren Überprüfung halten diese Behauptungen
erwartungsgemäß jedoch nicht stand.
Ist die Cheops-Pyramide ein steinernes Lehrbuch, in dem die alten Ägypter mit außerirdischer Unterstützung die Lichtgeschwindigkeit und andere Größen durch einen Code festgehalten haben? Seitdem Skeptiker ähnliche Codes in einem Fahrrad und einem Nudellöffel nachgewiesen haben, ist diese Hypothese nicht mehr zu halten. Quelle: Public Domain
Im Jahr 1859 veröffentlichte der britische Schriftsteller und Verleger John Taylor eine scheinbar interessante Ent-deckung. Beim Betrachten der Maße der Cheops-Pyramide war ihm aufgefallen, dass deren doppelte Grundseitenlänge
(230,37 Meter im metrischen System) geteilt durch die Höhe (146,60 Meter) ziemlich genau den Wert von Pi ergab. Dies deutete auf eine bewusst in die Pyramide kodierte Größe hin.
Noch weiter ging kurze Zeit später der Astronom Charles Piazzi Smyth. Dieser vermaß die Cheops-Pyramide eigenhändig und suchte anschließend in den Größenverhältnissen nach weiteren interessanten Zahlen. Dabei gelangte er zu der Überzeugung, dass die Pyramidenbauer ein Längenmaß verwendet haben mussten, das er als „Pyramidenzoll“
bezeichnete (1 Pyramidenzoll entspricht etwa 2,54 Zentimetern). Der Umfang der Pyramidengrundfläche betrug demnach 365,2423 Hekto-Pyramidenzoll – dies entspricht der genauen Anzahl von Tagen in einem Jahr. Auch der Abstand zwischen Sonne und Erde und einige weitere Größen ließen sich auf diese Weise in der Cheops-Pyramide
nachweisen. Das bekannte Bauwerk wäre demnach nicht nur eine Grabstätte, sondern auch eine Art steinernes
Lehrbuch, in dem die alten Ägypter mit Hilfe eines „Pyramiden-Codes“ wichtige naturwissenschaftliche Erkenntnisse für
die Nachwelt festhielten.
Die scheinbaren Entdeckungen von Taylor und Smyth sorgten im viktorianischen England für einiges Aufsehen. Es gab jedoch schnell Widerspruch von Fachleuten, der seine Wirkung nicht verfehlte, und so beschäftigten sich spätestens Ende des 19. Jahrhunderts nur noch Parawissenschaftler mit dem angeblichen steinernen Lehrbuch. Bis heute gibt es einige Unentwegte, die am Pyramiden-Code festhalten. Dies zeigt beispielsweise das 2001 erstmals erschienene Buch „Der Pyramiden Code“ von Horst Bergmann und Frank Rothe (Bergmann, Rothe 2006). Dieses präsentiert eine ganze Reihe von Längen, Breiten und ähnlichen Pyramidenmesswerten, die in einfache Formeln eingesetzt bestimmte Naturkonstanten und andere bedeutende Zahlen repräsentieren sollen.
Hierbei spielt eine weitere Längeneinheit eine Rolle, die die Autoren Grundeinheit nennen, da sie angeblich dem gesamten Pyramidenfeld von Gizeh zugrunde liegt. Eine Grundeinheit entspricht 1,37 Metern und lässt sich über eine von
den Autoren angegebene Konstante aus einem Pyramidenzoll ableiten. Welche großartigen Erkenntnisse auf diese Weise entstehen, zeigt folgendes Zitat aus dem Buch: „Wir nehmen unsere inzwischen wohl bekannte Grundseitenlänge
von 168 [Grundeinheiten], wandeln sie in Meter um und ziehen von diesem Wert 1 ab. Das Ergebnis (229,2978262) multiplizieren wir mit der Hälfte des Pi-Wertes 3,14 (1,57) und bekommen als Resultat 359,9975871. Das liegt ganz dicht bei 360 Tagen.“
Da 360 Tage angeblich der Länge eines Jahrs vor der Sintflut entsprechen, glauben die Autoren nicht an einen Zufall, sondern an eine bewusst eingebaute Botschaft für die Nachwelt. Mit ähnlichen Rechenexempeln versuchen die Autoren nachzuweisen, dass die alten Ägypter auch detaillierte Kenntnisse über das Laserlicht, die DNS und zur kalten Fusion besaßen und diese in die Pyramiden hineinkodierten. Derartige Informationen hatten die Ägypter angeblich von Außerirdischen, die damals auf der Erde weilten. Offensichtlich wussten die ägyptischen Gelehrten, dass ihr Wissen verloren gehen würde (z. B. durch die anstehende Sintflut), weshalb sie in Form der Pyramide ein steinernes Lehrbuch schufen.
Para-Steganografie
Aus Sicht eines Informatikers sind die versteckten Botschaften in der Pyramide – angenommen, sie existieren tatsächlich
– ein Beispiel für Steganografie. Die Steganografie beschäftigt sich mit dem Verstecken von Nachrichten – für eine Einführung (siehe Schmeh 2008). Beispiele für Steganografie sind Geheimtinte, aus Anfangsbuchstaben zusammengesetzte Botschaften oder eben kodierte Nachrichten in Gegenständen.
Auch viele Zauberkünstler arbeiten mit steganografischen Methoden – so kann beispielsweise ein Komplize im
Publikum dem Magier auf der Bühne durch eine unauffällige Geste den Wert einer bestimmten Karte übermitteln. Falschspieler nutzen oft ähnliche Mittel.
Nicht zu verwechseln ist die Steganografie mit der Kryptografie (Kryptologie). Letztere befasst sich mit dem Verschlüsseln von Nachrichten und ist deutlich bekannter. Während es bei der Steganografie also darum geht, die Existenz einer Nachricht zu verbergen, hat die Kryptografie das Ziel, eine Nachricht unlesbar zu machen.
Wie das Beispiel des Pyramiden-Codes zeigt, finden eifrige Zeitgenossen manchmal auch steganografische Nachrichten,
wo – nach wissenschaftlicher Mehrheitsmeinung – gar keine sind. Der nach meiner Kenntnis erste, der sich systematisch und kritisch mit diesem Thema beschäftigte, ist der US-Historiker David Kahn (*1930). Das Kapitel „The Pathology of Cryptology“ („Die Krankheitslehre der Kryptologie”) in Kahns Standardwerk „The Codebreakers“ stellt ein paar Beispiele vor und macht deutlich, dass diese allesamt äußerst fragwürdig sind (Kahn 1996). Vergleichbare Veröffentlichungen
von anderen Autoren sind mir nicht bekannt.
Umso interessanter war es für mich – als Kryptografie-Fachmann und Skeptiker –, den Faden von Kahn aufzugreifen und neben einer Buchveröffentlichung (Schmeh 2008) einen Vortrag für die GWUP-Konferenz 2009 daraus zu konzipieren. Dabei entschied ich mich, den von Kahn eingeführten Begriff der „Krankheitslehre der Kryptografie“ nicht zu verwenden, sondern stattdessen „Parasteganografie“ oder „Para-Codes“ zu sagen. Der erstgenannte Begriff ist sicherlich sachgerechter, während „Para-Code“ der Tatsache Rechnung trägt, dass sich für parasteganografische Phänomene
in den letzten Jahren der publikumswirksame Begriff „Code“ eingebürgert hat.
Der Pyramiden-Code ist ein solcher Para-Code. Und er ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Vertreter. Typisch ist beispielsweise, dass sich der Code in einem bedeutenden Objekt (der Cheops-Pyramide und teilweise in anderen ägyptischen Pyramiden) befindet. Zudem hat der Pyramiden-Code die typische Eigenschaft, dass er einen sensationellen
Inhalt hat – wer hätte geahnt, dass die alten Ägypter schon das Laserlicht kannten? Und wie andere Codes dieser Art wurde auch der Pyramiden-Code im Laufe der Zeit immer spektakulärer (am Anfang ging es um die Zahl Pi, später um Besucher aus dem Weltall). Steganografische Botschaften mit weniger bewegendem Inhalt undin weniger bedeutenden Objekten sind dagegen nur selten Gegenstand parawissenschaftlicher Diskussionen.
Warum die Code-Entdeckungen in der Cheops-Pyramide von Wissenschaftlern nicht anerkannt werden? Es gibt schlichtweg zu viele Möglichkeiten, durch Zufall auf auffällige Zahlenwerte zu stoßen.
Auch für Para-Codes gilt die unter Skeptikern wohlbekannte Tatsache, dass sich die Nichtexistenz einer Sache nicht
belegen lässt. Jede Höhe und Breite innerhalb einer Pyramide könnte von den Erbauern bewusst gewählt worden
sein – es ist unmöglich, dies zu widerlegen. Immerhin gibt es eine wirkungsvolle Methode, mit der man einen
solchen Para-Code als unplausibel entlarven kann. Diese Methode will ich als „absurden Vergleichscode“ bezeichnen.
Einen solchen gibt es in zwei Varianten: Entweder man weist nach, dass sich ähnliche Codes auch in Objekten finden,
wo sie selbst den Code-Anhängern absurd erscheinen (beispielsweise in einem Fahrrad oder einem Nudellöffel). Oder
man weist nach, dass sich im betrachteten Objekt Codes befinden, deren Inhalt völlig absurd ist (beispielsweise die
Aussage, dass der Code gar nicht existiert).
Der bekannteste absurde Vergleichscode zum Pyramiden-Code stammt von dem niederländischen Physiker und Skeptiker Cornelis de Jager. Dieser veröffentlichte 1992 im Skeptical Inquirer den Artikel „Adventures in science and cyclosophy“ (Jager 1992), der ein Jahr später zur Titelgeschichte des von Gero von Randow herausgegebenen Buchs „Mein paranormales Fahrrad“ wurde (Randow 1998). Im Rahmen seines Experiments untersuchte de Jager vier
Parameter eines holländischen Fahrrades (Pedalweg sowie die Durchmesser des Vorderrads, der Lampe und
der Klingel) und zeigte, dass sich daraus mit einfachen mathematischen Formeln etliche physikalische
Konstanten und astronomische Werte errechnen lassen.
Beispielsweise erhielt de Jager den Abstand zwischen Erde und Sonne (in Hundert Millionen Kilometern) mittelsfolgender Formel: Wurzel(Pedalweg) x Kubikwurzel(Klingel)/Lampe. Ähnliche Berechnungen führten zum Massenverhältnis
von Proton und Elektron, der Gravitationskonstante, der Feinstrukturkonstante und der Lichtgeschwindigkeit.
Etwa zur gleichen Zeit entwickelten auch die beiden Hamburger Wissenschaftler Hans-Peter Beck-Bornholdt und Hans-
Hermann Dubben einen absurden Vergleichcode (dieser war nicht speziell auf den Pyramiden-Code gemünzt, passt aber dennoch recht gut dazu) (Bornholdt, Dubben 2006). Die beiden untersuchten einen Nudellöffel, indem sie zunächst
fünf Kenngrößen (z. B. Länge und Breite) maßen und diese mit den Buchstaben A, B, C, D und E bezeichneten. Anschließend rechneten sie unter anderem vor, dass die Formel ACD3 die Lichtgeschwindigkeit ergab, während CD2/A der Länge des Euro-Tunnels entsprach. Die jeweiligen Abweichungen lagen oft deutlich unter einem Prozent. Demnach müsste
also auch der gewöhnliche Nudellöffel ein Lehrbuch sein.
Sowohl Cornelis de Jager als auch Beck-Bornholdt und Dubben waren mit einem einfachen Trick auf die scheinbaren
Codes gestoßen. Sie stellten zunächst eine Formel der Form Aa·Bb·Cc·Dd·Ee = Konstante auf. Während die Variablen A
bis E vom jeweiligen Gegenstand kommen, lässt man a bis e variieren – beispielsweise von -5 bis 5 zuzüglich der
Werte ½ und -½ (man beachte, dass X½ der Wurzel von X entspricht und dass X0=1 gilt). So kommt man auf 13 Belegungen jedes Exponenten, was 135 und damit etwa 370 000 entspricht.
Den Ergebnissen stehen mindestens 100 mögliche Konstanten (z. B. Lichtgeschwindigkeit) gegenüber. Es versteht sich von selbst, dass angesichts dieser gewaltigen Menge an Varianten einige Zufallstreffer unvermeidbar sind. Mit Computer-
Unterstützung lassen sich diese leicht ermitteln.
Dadurch wird auch klar, warum die Code-Entdeckungen in der Cheops-Pyramide von Statistikern (und damit auch
von anderen Wissenschaftlern) nicht anerkannt werden. Es gibt schlichtweg zu viele Möglichkeiten, durch Zufall
auf auffällige Zahlenwerte zu stoßen.
Unabhängig davon ist es nicht gerade einfach, die korrekten Pyramidenmaße genau zu ermitteln – vor allem, weil die
Cheops-Pyramide ursprünglich mit einer zusätzlichen Steinschicht überzogen war, die zwischenzeitlich von Steinräubern
abgetragen wurde. Dass die Zahl Pi in der Pyramide vorkommt, liegt vermutlich nicht an einem Code, sondern daran,
dass die Ägypter aus bautechnischen Gründen ein Verhältnis von 11 zu 7 zwischen Höhe und Breite wählten – dies entspricht zufälligerweise etwa der Hälfte von Pi.
Shakespeare oder Bacon?
Der Pyramiden-Code ist das älteste mir bekannte Beispiel für einen parawissenschaftlichen Code. Das einzige
ist er beileibe nicht. Bereits etwa 20 Jahre nach John Taylor fand der US-Politiker und Schriftsteller Ignatius Donnelly (1831-1901) einen vermeintlichen Code in einigen Werken von William Shakespeare. Damals wie heute glaubten manche Menschen, dass die Shakespeare zugeschriebenen Werke in Wirklichkeit von dessen Zeitgenossen Francis
Bacon verfasst wurden.
Ist Francis Bacon der wahre Shakespeare? Seit 150 Jahren suchen einige seiner Anhänger nach versteckten Botschaften in Shakespeares Werken, die diese Vermutung belegen sollen. Die seriöse Wissenschaft hat sich von diesem Thema längst verabschiedet.
Da dieser nicht nur ein bedeutender Philosoph war, sondern sich auch mit Verschlüsselung beschäftigte, kam Donnelly
auf eine kühne Idee: Bacon, so seine Vermutung, war nicht nur der wahre Shakespeare-Autor, sondern hatte zudem
Hinweise auf seine Urheberschaft als Code in seine Texte geschmuggelt. Nach mehrmonatigen Recherchen verkündete
Donnelly im Jahr 1884, den gesuchten Bacon-Code gefunden zu haben.
Dies erregte einiges Aufsehen. Allerdings veröffentlichte er erst drei Jahre später Details zu seiner Entdeckung, und
zwar in Form des Buchs „The Great Cryptogram“ (Donnelly 1997). Wer sich dieses zu Gemüte führte, musste sich
durch zahlreiche umständliche Berechnungen kämpfen, die größtenteils recht willkürlich wirkten.
Donnelly nahm beispielsweise eine Zahl und zog eine andere davon ab, um anschließend die Anzahl der kursiv geschriebenen Wörter auf einer Shakespeare-Seite abzuziehen. Zusätzlich subtrahierte er teilweise die Anzahl der Wörter in Klammern und die mit einem Bindestrich versehenen Wörter. Am Ende ergaben sich dabei eine Seitennummer und die Position eines Worts darauf. Mit solchen Rechnereien kam Donnelly beispielsweise auf die Nachrichten „Skaks’t spur never writ a word of them“ und „It is even thought here that your cousin of St. Alban writes them”. Dies bedeutete zusammengenommen mit etwas Fantasie: „Shakespeare schrieb kein Wort davon. Es könnte sogar sein, dass Dein Cousin von St. Alban [Bacon trug den Titel Viscount St. Alban] sie schreibt.“
Zu Donnellys ersten Kritikern gehörte dessen Landsmann Joseph Gilpin Pyle. Dieser veröffentlichte 1888 einen absurden
Vergleichscode in einem Büchlein, das er in Anspielung an die Vorlage „The Little Cryptogram“ nannte (Pyle 1888). Mit einer ähnlichen Methode wie Donnelly fand Pyle in “Hamlet” folgenden Text: „Don nill he [Donnelly], the author, politician and mountebanke, will worke out the secret of this play.” („Donnelly, der Autor, Politiker und Scharlatan, wird das Geheimnis dieses Stücks herausfinden.“)
Die Arbeiten Donnellys galten somit schon früh als pseudowissenschaftlich, zogen aber trotzdem zahlreiche Nachahmer an. Der deutschstämmigen US-Amerikaner Walter Conrad Ahrensberg wurde beispielsweise bei der Code-Suche in folgenden Zeilen aus „Hamlet“ fündig: “Costly thy habit as thy purse can buy; But not exprest in fancie; rich, not
gawdie: For the Apparell oft proclaimes the man And they in France of the best ranck and station”. (Akt I, Szene 3) Die Anfangsbuchstaben Co, B, F und An lassen sich zu „F. Bacon“ zusammensetzen. Angesichts der veränderten
Reihenfolge und der willkürlichen Buchstabenwahl kann man jedoch kaum von einem bewusst eingefügten Code ausgehen.
Wie andere Para-Codes wurde also auch der Shakespeare-Code mit der Zeit immer spektakulärer.
Gleiches gilt auch für die „Entdeckungen“ des US-amerikanischen Arztes Orville Owen (1854 – 1924). Dieser suchte
nicht nur bei Shakespeare, sondern auch bei Bacon und einigen weiteren Autoren der damaligen Zeit nach versteckten
Botschaften. Dabei fand er einen vermeintlichen Code, der sich über etwa 1000 Buchseiten der unterschiedlichen
Werke erstreckte. Die entsprechenden Seiten mit seinen Markierungen klebte er zu einem etwa einen Meter breiten
Streifen zusammen, den er zu einer Schriftrolle beachtlicher Größe zusammenrollte. Der von Owen entdeckte Code
besagte nicht nur, dass Bacon der wahre Autor der untersuchten Werke war, sondern nannte auch zahlreiche politische
Details aus der Shakespeare-Zeit. Wie andere Para-Codes wurde also auch der Shakespeare-Code mit der Zeit immer
spektakulärer.
Für ernsthafte Wissenschaftler ist die Frage nach dem Shakespeare/Bacon-Code spätestens seit 1957 geklärt. Damals
veröffentlichten die beiden (miteinander verheirateten) Verschlüsselungsexperten William und Elizebeth Friedman ihr Buch „The Shakespearian ciphers examined“, in dem sie alle ihnen bekannten Code-Theorien auf den Prüfstand stellten (Friedman 1957). In allen Fällen verlief die Überprüfung negativ, was die beiden Autoren schlüssig und gut verständlich darlegten. Da auch andere Argumente (z. B. Stilanalysen) eindeutig gegen Bacon sprechen, kann man den Shakespeare-Code inzwischen getrost ad acta legen.
Weitere Para-Codes
Geradezu prädestiniert für einen versteckten Code sind die Schriften des Nostradamus. Der heute noch populäre Renaissance-Astrologe hinterließ eine Vielzahl von Prognosen in Form von Gedichten (Centurien), in denen es von Wortspielen, Buchstabenspielen, Andeutungen und Mehrdeutigkeiten nur so wimmelt. Ohne Zweifel ist es möglich, in einem solchen Gewirr unauffällig Nachrichten zu verstecken.
Aber gibt es einen solchen Code tatsächlich? Laut GWUP-Pressesprecher Bernd Harder "erscheint jedes Jahr mindestens ein neues Nostradamus-Buch, das im Untertitel die 'sensationelle Entschlüsselung' der Centurien verheißt." (Harder 2000). Selbstverständlich sind die Aussagen der bisher „entdeckten“ Codes mindestens genauso spektakulär wie das, was Nostradamus-Deuter ohnehin schon in die unverständlichen Vierzeiler hineininterpretieren.
Der bekannteste Entdecker eines Nostradamus-Codes ist der Buchautor und Hobby-Historiker Manfred Dimde. Dessen
Theorie überprüfte der inzwischen leiderverstorbene Mathematiker und Skeptiker Volker Guiard, der Mitglied der GWUP
war (Guiard 1998). Eine von Dimdes Methoden nennt sich „das innere Wort“. Diese Methode sieht vor, dass man einen Satz nimmt, die Wortzwischenräume entfernt und (nach kaum nachvollziehbaren Regeln) ein paar Buchstaben austauscht. Anschließend nimmt man Teile dieser Zeichenfolge und schreibt ihnen eine halbwegs passende Bedeutung zu.
Gemäß dieser Methode wird aus „M. Nostradamus“ die Folge MNOSTRADAMUS. Darin sind Wörter wie M (tausend), NO (schwimmen), STRA (Einsturz, Haufen), MUS (Maus) oder DAM (Frau, Dame) enthalten. Die jeweilige Bedeutung ist nicht gerade zwingend, auch wenn M das lateinische Wort für tausend ist und NO auf Lateinisch „ich schwimme“ heißt. Nimmt man es mit den Wortübergängen nicht so genau und lässt ein paar Buchstaben weg, dann kommt ein Satz wie der folgende zustande: M NO NOST OS S ST OSTR T AD R RAD. Dies heißt (laut Dimde): „Tausend Worte fließen aus dem Mund. Die Sequenz ohne Zeit ist wie eine Muschel. Die Zeit füge zur Weissagung. Strahle.“ Es dürfte klar sein, dass man auf diese Weise eine beliebige Zahl unsinniger Sätze produzieren kann, die sich wiederum auf unterschiedliche
Weise interpretieren lassen.
Die anderen von Dimde vorgeschlagenen Entschlüsselungsmethoden geben auch nicht mehr her. So gesehen verwundert es kaum, dass Volker Guiard Manfred Dimde offen als Scharlatan und dessen Theorie als Aprilscherz bezeichnete.
Kaum mehr als ein Aprilscherz sind meist auch die parawissenschaftlichen Codes, die in folgenden Objekten gefunden wurden:
Voynich-Manuskript
Das Voynich-Manuskript, das nach seinem Entdecker Wilfried Voynich benannt ist, gilt für
viele als das rätselhafteste Buch der Welt. Das mutmaßlich etwa 500 Jahre alte Werk ist in einer Schrift verfasst, die trotz zahlreicher Versuche bisher niemand entziffern konnte (siehe dazu auch Skeptiker 2/2008, S. 64-74, sowie den Beitrag S. 29-31 in Skeptiker 1/2010). Auch auf die zahlreichen Bilder darin konnte sich bisher niemand einen Reim machen. Ist die wahre Bedeutung des unverständlichen Buchs vielleicht in einem Code versteckt? Bereits zweimal vermeldeten parawissenschaftlich orientierte Hobby-Forscher die Entdeckung von verborgenen Nachrichten im Voynich-Manuskript.
Das Voynich-Manuskript hat bisher noch niemand entschlüsselt. Auch die angeblichen versteckten Botschaften, die darin entdeckt wurden, helfen nicht weiter. Höchstwahrscheinlich existieren sie gar nicht.
Quelle: Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University
Den ersten Fund präsentierte bereits 1921 der Philosophie-Professor William Newbold (1865 – 1926). Er hielt winzig kleine Teile der Voynich-Schriftzeichen für Buchstaben einer griechischen Kurzschrift (Newbold 1918). Auf diese Weise konnte Newbold scheinbar einige der im Manuskript abgebildeten Gegenstände erklären – er hielt sie für Eierstöcke,
Zellstrukturen, Spermien und den Großen Andromedanebel. Da diese Objekte nur mit einem guten Mikroskop bzw.
Teleskop erkennbar sind, wäre diese Entdeckung angesichts des vermuteten Alters des Manuskripts eine Sensation
gewesen. Doch praktisch alle Experten, die Newbolds Arbeit lasen, hielten sie für Humbug.
Der zweite Voynich-Forscher, der im Voynich-Manuskript steganografische Botschaften gefunden haben will, ist der Buchautor Erhard Landmann. Die zahlreichen Sterne, die im Manuskript abgebildet sind, enthalten seiner Meinung nach mikroskopisch kleine Schriftzüge (Landmann 2007). Dies erkannte er, obwohl ihm keine Abbildung des Manuskripts mit ausreichender Vergrößerung zur Verfügung stand. Daher hat Landmann bis heute auch nicht verraten, welchen Inhalt die
derart verborgenen Botschaften haben.
Nazca-Scharrbilder
Bereits mit mehreren unterschiedlichen Codes wurden die berühmten Scharrbilder von Nazca
(Peru) in Verbindung gebracht. Es handelt sich dabei um oft mehrere Hektar große Liniengebilde, die nur aus der
Luft als Gesamtkunstwerk zu erkennen sind. Einige Bilder stellen Tiere (z. B. Affen und Kolibris), andere Menschen
dar. Bekannt sind die Nazca-Scharrbilder nicht zuletzt aus der Präastronautik – dort ist die Theorie populär, es handle sich um Markierungen für Außerirdische, die aus ihren Fluggeräten einen guten Blick auf die Scharrbilder haben dürften. Andere interpretierten irgendwelche Codes in die Bilder hinein. Demnach könnten die Bilder unter anderem Teil einer überdimensionalen Landkarte, eine Art Riesen-Visitenkarte einer vergangenen Kultur oder eine Sternkarte sein (Anonym 2009).
Bach-Kompositionen
Der Theologe und Musikwissenschaftler Friedrich Smend (1893 – 1980) fand einen angeblichen
Code bei Johann Sebastian Bach (Tatlow 1991). Er ging davon aus, dass der bekannte Komponist ein einfaches Zahlenalphabet nutzte (A=1, B=2, C=3 usw., wobei I und J sowie U und V nicht unterschieden werden).
Wie Bach diese Zahlen verwendete, zeigt angeblich der „Canon a 4 voce“, den der Komponist 1713 für einen gewissen Johann Gottfried Walther geschrieben hat. Wandelt man Bachs Namen in Zahlen um und zählt diese zusammen, dann ergibt sich: B+A+C+H = 2+1+3+8 = 14. Der Name Walther liefert folgendes Ergebnis: W+A+L+T+H+E+R = 21+1+11+19+8+5+17 = 82. Da der besagte Kanon 14 Taktstriche und 82 Noten hat, glaubte Smend nicht an einen Zufall. Auch wenn Smend in seinen Veröffentlichungen zahlreiche weitere Beispiele nennt, erzielte er keine größere Anerkennung mit seinen Forschungen.
Deutlich spektakulärer als Smends Bach-Code ist eine angebliche Entdeckung der beiden Autoren Kees van
Houten und Marinus Kasbergen (Houten, Kasbergen 1986). Sie behaupten, dass Bach sein eigenes Geburts- und Sterbedatum in seine Werke einkodiert hat.
Turiner Grabtuch
1997 fanden die Wissenschaftler André Marion und Anne-Laure Courage mit einer Computeranalyse
angebliche Inschriften auf der berühmten Reliquie (Marion 1998). Es handelt sich dabei um etwa einen Zentimeter
große griechische und lateinische Buchstaben. Untypischerweise revolutioniert dieser Fund jedoch nicht die Weltgeschichte, sondern ließ lediglich einige belanglose Wörter zum Vorschein kommen. Bisher gibt es noch keine Bestätigung durch weitere Untersuchungen.
Während ich an diesem Artikel schrieb (im Juli 2009), gab es Berichte über weitere Buchstabenfunde (Burger 2009).
Dieses Mal soll auf Aramäisch der Satz „Wir haben gefunden” auf dem Tuch aufgetaucht sein. Da es erneut nicht um
eine weltbewegende Botschaft geht, sind die Chancen, dass ein echter Code vorliegt, sicherlich größer als in den anderen
in diesem Artikel betrachteten Fälle.
Diese Liste ließe sich noch deutlich verlängern. Unter anderem „entdeckten“ fleißige Hobby-Steganografen geheime Botschaften in Kornkreisen, Stonehenge, der Kathedrale von Chartres, den Werken von Aristoteles, Shakespeares Grabstein, dem Roman „Gullivers Reisen“ und dem Comic „Dick Tracy“. Keine dieser Behauptungen konnte sich durchsetzen.
Bibel-Code und Koran-Code
Der mit Abstand bekannteste Para-Code findet sich (angeblich) in der Bibel. Dieser Bibel-Code geht auf Arbeiten des
israelischen Mathematikers Eliyahu Rips und seines Mitarbeiters Doron Witztum zurück. Die beiden ordneten den Text
der Thora (Altes Testament) zunächst in so genannten äquidistanten Buchstabenfolgen an. Diese entstehen, indem
man beispielsweise nur jeden fünften oder zehnten Buchstaben berücksichtigt und Wortzwischenräume sowie Satzzeichen
ignoriert. In den entstandenen Buchstabenfolgen suchten Witztum und Rips nach den Namen und Lebensdaten bedeutender jüdischer Persönlichkeiten.
Tatsächlich förderte die Suche deutlich mehr Funde zutage, als die Wahrscheinlichkeit erwarten ließ. Wissenschaftliche
Erklärungen schienen zu versagen, da alle Personen erst nach Niederschrift der Thora lebten. 1994 veröffentlichten die
Forscher ihre Arbeit in der renommierten Fachzeitschrift Statistical Science (Witztum, Rips, Rosenberg 1994).
Auch der Bibel-Code hat die Eigenschaft, dass er mit der Zeit spektakulärer wurde. Von der Rips-Veröffentlichung angeregt entwickelte der Journalist Michael Drosnin seine eigene Code-Version. Mit einer grob vereinfachten Variante von Rips’ Methode suchte er in der Thora nach Prophezeiungen zur Weltgeschichte. Tatsächlich fand er verschiedene Ereignisse, die sich auf Persönlichkeiten wie Winston Churchill, Adolf Hitler und Jitzchak Rabin bezogen. Seine Ergebnisse
veröffentlichte Drosnin 1997 in einem Buch namens „The Bible Code“ (dt. „Der Bibel Code“) (Drosnin 1997), ein zweiter Band erschien 2002 (Drosnin 2002). Im Gegensatz zu Rips und Witztum verzichtete Drosnin jedoch auf eine statistische Kontrolle und machte nur sehr spärliche Angaben zu seinen Suchexperimenten.
Codierte Vorraussagen in der Bibel? Brendan McKay fand „Prophezeiungen“ in Melvilles „Moby Dick“ während GWUP-Mitglied Wolfgang Hund mit einem Rotkäppchen-Code antwortete.
Drosnins Buch rief schnell einige Kritiker auf den Plan, die teilweise mit absurden Vergleichscodes reagierten. Brendan
McKay fand beispielsweise „Prophezeiungen“ in Herman Melvilles „Moby Dick“ (McKay, Bar-Natan, Bar-Hillel, Kalai 1999),
während GWUP-Mitglied Wolfgang Hund mit einem Rotkäppchen-Code antwortete.
Doch nicht nur Drosnins Bibel-Code, sondern auch die Ergebnisse von Rips und Witztum ernteten Widerspruch. Demnach
haben die beiden bei der Auswahl der jüdischen Persönlichkeiten, der Schreibeweise der Namen und der Erstellung des statistischen Modells jeweils die Möglichkeit mit der höchsten Trefferquote ausgewählt. Aus einer der vermeintlich bedeutendsten Entdeckungen der Wissenschaftsgeschichte ist somit inzwischen eine Banalität geworden, die unter Wissenschaftlern kaum noch eine Bedeutung hat.
Nach dem Erfolg des Bibel-Codes ließ ein Koran-Code nicht lange auf sich warten. 2004 veröffentlichte ein gewisser Adel
Awadalla ein Buch namens „The Mystifying Codes of The Holy Quran“, in dem er entsprechende Entdeckungen präsentierte (Awadalla 2004). Mit Hilfe des Codes soll es möglich sein, verschiedenste Ereignisse der Weltgeschichte aus
dem Koran herauszulesen – insbesondere solche, die sich erst lange nach dessen Entstehung ereignet haben.
Besonders schlüssig wirkt Awadallas Vorgehensweise jedoch nicht. Er ordnet jedem Buchstaben des arabischen Alphabets
eine Zahl zwischen 1 und 1000 zu (dies ist nicht seine Erfindung, sondern entspricht einer alten arabischen Tradition)
und zieht aus diesen Zahlen allerlei Schlüsse. In einer Koran-Sure ermittelt Awadalla beispielsweise 397 als Summe
der Buchstabenwerte des ersten Verses. Dies entspricht (laut Awadalla) der Anzahl der Jahre zwischen dem Beginn des
Aufenthalts der Juden in Ägypten und der Offenbarung der Thora. Im zweiten Vers ergibt sich die Summe 1224. Dies entspricht angeblich der Zeitspanne zwischen der Thora-Offenbarung und dem Beginn des Christentums im Jahr 11 n. Chr. Im dritten Vers ergibt sich 3121. Dies ist die Zeitspanne zwischen dem Beginn des Judentums und dem Ende des Osmanischen Reichs im Jahr 1908.
Allerdings ist es völlig willkürlich, den Beginn des Judentums auf das Jahr 1213 v. Chr. festzulegen. Das Jahr 11, in
dem das Christentum entstanden sein soll, muss man sogar als falsch bezeichnen, da Jesus von Nazareth erst um das Jahr 30 öffentlich auftrat. Warum Awadalla das Jahr 1908 als Ende des Osmanischen Reichs nimmt (und nicht etwa das Jahr 1923), ist ebenfalls nicht nachvollziehbar.
Angesichts dieser Fehler brauchen wir uns auch bezüglich der diffusen Katastrophen (es geht um Krieg und um „besondere Bestrafungen“), die Awadalla für die kommenden Jahre aus dem Koran herausliest, keine großen Sorgen zu machen.
Code-Fieber
Es gibt wohl nur einen Para-Code, der an Popularität annähernd mit dem Bibel-Code aufnehmen kann: den Da-Vinci-Code. Bekannt wurde dieser durch den gleichnamigen Roman von Dan Brown, der auf Deutsch unter dem Titel „Sakrileg“ erschienen ist (Brown 2004). Der Da-Vinci-Code ist angeblich im Gemälde „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci versteckt. Allerdings geht es hierbei nicht um eine in Buchstaben kodierte Nachricht, sondern um verschiedene Gesten und Anordnungen, die auf dem Gemälde zu erkennen sind und angeblich eine geheime Bedeutung haben.
War Jesus mit Maria-Magdalena verheiratet und wollte über sie den christlichen Glauben verbreiten? „Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci eignet sich nicht als Indiz für diese abenteuerliche Theorie.
Hintergrund des Da-Vinci-Codes ist eine Verschwörungstheorie. Diese besagt, dass Jesus von Nazareth mit der
in der Bibel mehrfach erwähnten Maria Magdalena verheiratet war und diese zur Verbreitung des christlichen Glaubens
auserwählt hatte. Diese wahren Absichten Jesu sind jedoch heute angeblich nur noch einer kleinen Gruppe von Eingeweihten bekannt – der Bruderschaft von Sion.
So schön die Geschichte um den „Da-Vinci-Code“ auch ist – sie ist durch nichts belegt.
Zu dieser Bruderschaft soll auch Leonardo da Vinci gehört haben. Als er sein berühmtes Abendmahl malte, schmuggelte er angeblich ein paar Hinweise auf sein geheimes Wissen in das Bild. So soll die Figur auf dem Bild rechts neben Jesus nicht den Apostel Johannes, sondern Maria Magdalena darstellen (tatsächlich hat die abgebildete Person weibliche Züge). Der Zwischenraum zwischen den beiden hat die Form eines mit der Spitze nach unten zeigenden Dreiecks, was den Mutterschoß und das göttlich Weibliche symbolisieren soll. Die Körperhaltung der beiden entspricht ebenfalls der V-Form. Außerdem fehlt der Kelch auf dem Bild, was in den Augen der Verschwörungstheoretiker daran liegt, dass Maria Magdalena selbst der Heilige Gral ist.
Doch so schön diese Geschichte auch ist – sie ist durch nichts belegt. Die Ehe Jesu mit Maria Magdalena ist reine Spekulation und die Bruderschaft von Sion hat vermutlich nie in der beschriebenen Form existiert. Kunsthistoriker
weisen außerdem darauf hin, dass der Apostel Johannes auf vielen Gemälden mit jugendlichen Zügen dargestellt wird,
da es sich der Überlieferung nach um den jüngsten Apostel handelte.
Dass Johannes auf dem Bild wie eine Frau aussieht, kann einfach daran liegen, dass da Vinci es mit der Jugendlichkeit etwas übertrieben hat. Vielleicht wollte der geniale Künstler auch jemanden ärgern, oder vielleicht war sein Modell eine Frau. Eine Verbindung zu Maria Magdalena, der Bruderschaft von Sion und irgendwelchen Verschwörungen ist aus dem Bild allerdings mit dem besten Willen nicht herauszulesen.
Durch den Bibel-Code und den Da-Vinci-Code ist der Begriff „Code“ in den letzten Jahren zu einem Modewort in
den Populär- und Parawissenschaften geworden. Das anfangs erwähnte Buch „Der Pyramiden Code“ ist ein Beleg dafür. Bücher namens „Nostradamus-Code“ oder mit einem ähnlichen Titel sind gleich mehrere auf dem Markt. Dabei wird das Wort „Code“ häufig auch für Dinge verwendet, die nichts mit einem Code zu tun haben. So berichtete die deutsche parawissenschaftliche Zeitschrift Wunderwelt Wissen in ihrer Aprilausgabe des Jahrs 2008 über einen „Geheimcode der Smaragdtafel“ (Schwabenthan 2008). Der zugehörige Artikel ist deutlich seriöser, als es die Ankündigung auf der Titelseite vermuten lässt, und weiß nichts von einem Geheimcode.
Einen ähnlichen Code-Missbrauch betrieb ein deutscher Verlag im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten
Voynich-Manuskript. Ein durchaus seriöses Buch zum Voynich-Manuskript stammt von Rob Churchill und Gerry
Kennedy. Es heißt im Original schlicht „The Voynich Manuscript“. Dem Verlag Rogner & Bernhard fiel für die deutsche
Übersetzung kein besserer Titel ein als „Der Voynich-Code“ (Kennedy, Churchill 2005). So erhielt ein lesenswertes
Buch unnötigerweise einen pseudowissenschaftlichen Anstrich. Der Titel mag zwar verkaufsfördernd sein, erinnert
aber in ärgerlicher Form an den Bibel-Code und den Da-Vinci-Code.
Ohne das Wort „Code“ im Namen kommt dagegen das Buch „Das letzte Geheimnis“ von Ian Caldwell und Dustin Thomason aus (Caldwell, Thomason 2006). Darin geht es um versteckte Botschaften in dem berühmten und rätselhaften
Roman „Hypnerotomachia Poliphili“ aus dem 15. Jahrhundert. Ist „Das letzte Geheimnis“ ein weiterer Beitrag zur geistigen Umweltverschmutzung? Nein. Es handelt sich um einen Roman – ohne den Anspruch, authentisch zu sein.
Der Renaissance-Roman „Hypnerotomachia Poliphili“enthält anerkanntermaßen einen versteckten Code. Dieser ist jedoch
deutlich unspektakulärer als die meisten Para-Codes. Er weist auf den Autor des anonym veröffentlichten Buchs hin.
Echte Codes
Angesichts der vielen zweifelhaften Codes in diesem Artikel soll nicht verschwiegen werden, dass es auch Code-Funde in bedeutenden Objekten gibt, die anerkanntermaßen echt sind oder zumindest plausibel erscheinen. Hier eine Auswahl:
- Der im Artikel erwähnte Renaissance-Roman „Hypnerotomachia Poliphili“ enthält ein so genanntes Akrostichon (so nennt man einen Code, der sich ergibt, wenn man jeweils die ersten Buchstaben von Zeilen oder Wörtern aneinanderreiht). Dieses lautet: POLIAM FRANCISCVS COLVMNA PERAMAVIT (Francesco Colonna hat Polia sehr geliebt). Diese versteckte Botschaft könnte ein Hinweis auf den Autor des anonym veröffentlichten Buchs
sein. - Mehrere Kornkreise enthalten unbestrittenermaßen einen Code. Ein 2003 in Großbritannien aufgetauchtes
Exemplar war beispielsweise mit einer (belanglosen) Nachricht im ASCII-Format versehen. Ein Kornkreis aus dem
Jahr 2008 enthält Markierungen, die die Zahl Pi im Dezimalsystem repräsentieren. Ist dies der Beweis
dafür, das Außerirdische das Dezimalsystem nutzen und den ASCII-Standard kennen? - Der Berliner Fernsehturm ist 365 Meter hoch. Dies entspricht der Anzahl der Tage im Jahr. Falls unsere
Nachkommen oder Besucher aus dem Weltall das metrische System kennen, werden sie das Gebäude
vielleicht als steinernes Lehrbuch betrachten.
Literatur
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(Zugriff am 04.01.2010)
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Klaus Schmeh (Jahrgang 1970) ist Diplom-Informatiker mit Schwerpunkt Verschlüsselungstechnik. Er ist Autor mehrerer
Bücher. Sein Buch „Versteckte Botschaften“ (Dpunkt-Verlag 2008) behandelt die Geschichte der Steganografie. Seit 2003 leitet Klaus Schmeh die GWUP-Regionalgruppe Rhein-Ruhr. Sein Schwerpunkt innerhalb der GWUP sind parawissenschaftliche Codes.