"Was haben Sie eigentlich gegen Homöopathie?"
Fragen und Antworten zur Homöopathie
Würzburg, Juli 2004
Dr. habil. Rainer Wolf, Dozent am Biozentrum der Universität Würzburg, beschäftigt sich vor allem mit Wahrnehmungs- und Selbsttäuschungen, denen der Mensch ohne sein Wissen erliegt. Hier beantwortet er fünfzehn typische Fragen zum Thema Chancen und Risiken der Außenseitermedizin.
"Die Homöopathie ist ein bewährtes Heilverfahren. Viele Menschen bezeugen, dass sie ihnen geholfen hat. Hippokrates erkannte schon vor 2400 Jahren, dass man Ähnliches durch Ähnliches heilen kann!"
Erfolgreiche Astrologen gibt es schon viel länger, aber noch nie hat einer einen wissenschaftlichen Test bestanden. Auch Wünschelruten werden seit langem verwendet; sogar fünf Nobelpreisträger glaubten an sie. In allen bisherigen wissenschaftlichen Tests aber haben die Ruten versagt. Der 1 Million $ Preis, von der James Randi Educational Foundation (www.randi.org) seit vielen Jahren für einen wissenschaftlichen Nachweis ausgesetzt, konnte bis heute noch nicht ausgezahlt werden. Ob eine Idee langlebig ist oder viele Anhänger hat, sagt nichts darüber aus, ob sie stimmt.
"Die Schulmedizin kuriert doch nur hilflos an den Symptomen herum ohne zu heilen, während die Homöopathie ganzheitlich vorgeht und mit ihrer Erfahrung die Krankheit an der Wurzel packt!"
Genau umgekehrt. Hahnemann, der Vater der Homöopathie, ging von den Symptomen der Krankheit aus und lehnte Ursachendenken ab. Er prüfte Arzneimittel an Gesunden, und bekamen diese dann bestimmte Krankheitssymptome, hielt man das Mittel für geeignet, eben diese Krankheit zu heilen. Weil Hahnemann statt der oft gefährlichen, drastischen Mittel der damaligen "Schulmedizin" meist harmlose, verdünnte Stoffe verschrieb, hatte er gewisse Erfolge. Aber Kranke allein durch Beseitigen ihrer Symptome heilen zu wollen, ist absurd! Hier haben die Homöopathen grundlegende Paradigmenwechsel verschlafen. Denn Krankheiten haben Ursachen, und genau dort setzt die Wissenschaftsmedizin an, um gezielt zu behandeln. "Erfahrungsheilkunde" und "Ganzheitlichkeit" sind kein Merkmal der Homöopathie. Die gesamte wissenschaftliche Medizin, die abwertend so gern "Schulmedizin" genannt wird, beruht darauf.
"Aber die Schulmedizin schert alles über einen Kamm. Bei der Homöopathie erhält jeder Patient seine persönliche Arznei für seine persönliche Krankheit: ganz spezifisch wirkende, oft hochpotenzierte Mittel..."
... die man getrost gegen beliebige andere Hochpotenzen oder gegen reine Milchzucker-Globuli austauschen kann, denn die Behandlung ist dann ebenso erfolgreich. Skeptisch macht auch, dass dieselben Krankheiten durch ganz verschiedene Mittel behandelt werden. Umgekehrt wird dasselbe Mittel bei verschiedensten Krankheiten verschrieben. Ischias wird ebenso kuriert wie Eifersucht bei Mädchen: mit Pulsatilla D6 - einem Extrakt, der eine Million fach verdünnt ist. Die Brechnuss hilft gegen Verdauungsbeschwerden, Streitsucht, Kater, Hämorrhoiden, Migräne, verklebte Augenlider, Erkältung, Darmverschluss, Prostatabeschwerden, Nierenkolik, Impotenz, Hexenschuss, Harnträufeln und Akne ...
"Welchen Sinn hat es dann, wenn sich Homöopathen stundenlang mit ihren Patienten beschäftigen, um individuell für sie das richtige Mittel herauszufinden?"
Keinen - außer dass die intensive Zuwendung des Therapeuten die Heilungserwartung und damit die Placebo-Wirkung beim Patienten steigert. Hier kann mancher "Gott in Weiß" von Homöopathen lernen. Aber auch die Krankenkassen müssen die Bedeutung von ausführlichen Therapiegesprächen erkennen und entsprechend honorieren.
"Placebos wirken doch nur bei Patienten, die sich Krankheiten einbilden: bei labilen Personen, die sich leicht beeinflussen lassen. Und sie können nie besser wirken als "schulmedizinisch" bewährte Arzneien!"
Falsch. Placebos wirken bei allen Menschen - mehr oder weniger stark. Gibt man Patienten "unwirksame" Placebo-Tabletten als angebliche Schmerzmittel, dann geht es denen besser als wenn man ihnen "echte", bewährte Schmerzmittel mit ihrer Nahrung verabreicht, ohne es ihnen zu sagen. Selbst wenn der Patient weiß, dass er Placebos schluckt, haben sie noch eine gewisse Wirkung! Placebos sind also keine "Medikamente für Dumme".Und dass sie helfen, ist keine Einbildung: Sie mobilisieren die körpereigenen Selbstheilungssysteme, solange der Patient im Grunde seines Herzens dem Therapeuten vertraut - selbst wenn er dabei Skepsis empfindet. Denn was wir bewusst glauben, kann etwas anderes sein als das, was wir unterbewusst fürchten und hoffen.
"Homöopathika wirken aber auch bei Kleinkindern und bei Tieren. Es kann also kein Placebo-Effekt sein!"
Doch. Gibt man ihnen Placebos unter liebevoller Zuwendung und in Erwartung ihrer Heilkraft, nehmen sie intuitiv das Vertrauen der Bezugsperson in die Behandlung wahr. Sie reagieren konditioniert im Sinn einer Placebo-Behandlung und gesunden oft schneller.
"Jedenfalls enthalten Placebos keinen Wirkstoff und können daher nicht schaden!"
Falsch. Beim Doppelblindtest von neuen Arzneien erhält die Kontrollgruppe Placebos unter dem Namen des Testmedikaments, und auf dem Beipackzettel stehen dessen mögliche Nebenwirkungen. Und weil diese Patienten solche Wirkungen erwarten, stellen die sich prompt ein - auch wenn der Wirkstoff gar nicht vorhanden ist.
"Fallbeispiele zeigen aber, dass die Homöopathie auch bei der Behandlung schwerster Erkrankungen erfolgreich ist - selbst bei unheilbaren Krankheiten."
Die wissenschaftliche Medizin weiß, dass der Körper, wenn man ihm Zeit lässt, mehr als 3/4 aller Erkrankungen ganz von selbst heilt - manchmal sogar Krebs. Homöopathische Heilungen sind aber eher die Ausnahme als die Regel. Natürlich hört man fast immer nur von Heilungen, denn meist werden nur die Erfolge weitererzählt. Tote Patienten reden nicht ... Könnte die Homöopathie Erfolge vorweisen, sie wäre längst von der Wissenschaftsmedizin übernommen! In keinem einzigen Fall aber hat sie durch ihre "Arzneimittelprüfung an Gesunden" eine Therapie entdeckt, die sich in Doppelblind-Tests bewährt und so Eingang in die Wissenschaftsmedizin gefunden hätte. Also nicht wegen dogmatischer Ablehnung, sondern weil die Wirksamkeit nicht glaubhaft nachgewiesen ist. Dass andere Außenseiterverfahren wie Bach-Blüten-Therapie und selbst Geistheilung, die auf ganz unterschiedlichen Vorstellungen beruhen, von ähnlichen Erfolgsraten berichten - ist das nicht merkwürdig?
"Homöopathie arbeitet vor allem mit pflanzlichen Naturheilmitteln. Die können doch nicht schaden!"
Beides ist falsch. Homöopathika enthalten nicht selten Stoffe wie Arsen, Blei, Cyanid, Quecksilber, Phosphor, Eiter, Mutterkorn-Extrakt und andere Gifte in gefährlichen Mengen. Entscheidend aber ist, dass die Wirksamkeit der Mittel - über Placebo-Effekte hinaus - nicht nachgewiesen ist.
"Für sanfte Medizin reichen doch sanfte Beweise!"
Nein. Ich halte es für unethisch, eine Heilbehandlung zu befürworten, die nicht besser hilft als ein Placebo. Denn jede Therapie lässt sich unvoreingenommen prüfen - aber nur im Doppelblind-Experiment, bei dem der Placebo-Effekt quasi "herausgekürzt" wird: Weder Patienten noch Therapeuten dürfen wissen, wer die echte Arznei und wer das Placebo erhält.
"Aber wer heilt, hat doch Recht! Was spricht denn dagegen, Homöopathie einzusetzen, wenn sich die Placebo-Effekte segensreich auswirken?"
Wer an "alternative" Heilverfahren wie die Homöopathie glaubt, der wird oft, bewusst oder unbewusst, skeptisch gegenüber der wissenschaftlichenMedizin . Das wirkt sich sehr nachteilig aus, wenn man sich "schulmedizinisch" behandeln lässt: Bewährte Arzneien wirken weniger gut oder gar nicht, wenn der Patient Angst hat vor der "schädlichen Chemie", die darin enthalten sei, oder wenn er dem Arzt bewusst oder unbewusst misstraut. Dieser Nocebo-Effekt wird regelmäßig übersehen!
"Wenn die Kassen "alternative" Medizin bezahlen, ist das nicht kostengünstiger als Schulmedizin?"
Wohl kaum. Ein Erprobungsversuch, seit 1994 mit 42 "alternativ" behandelnden Ärzten im Ruhrgebiet durchgeführt, hat laut Spiegel 21:32 (1997) die ambulanten Arztkosten um mehr als das Zehnfache steigen lassen.
"Aber gerade die Hochpotenzen mit ihren feinstofflichen Wirkungen ... muss da die Schulmedizin nicht umlernen?"
"Feinstoffliche Wirkungen", Übertragung von "Information" trotz Abwesenheit der Heilstoffmoleküle? Nichts als Worthülsen! Ihr Inhalt wurde noch nie glaubhaft belegt. Kranke homöopathisch zu behandeln, entspricht aber der klugen Strategie, nichts zu tun, abzuwarten, bis sich der Organismus selbst hilft, und dabei Placebo-Effekte optimal einzusetzen. "Die Kunst der Medizin besteht darin, den Patienten zu unterhalten, während die Natur seine Krankheit heilt", sagte Voltaire. Der Gesetzgeber hat Hochpotenzen generell erlaubt nach dem Motto: "So starke Verdünnungen können nicht schaden". Das ist so ähnlich wie wenn es zwei Sorten von TÜVs gäbe: einen für fahrende und einen für nichtfahrende Autos. Der Vorteil der letzteren ist zweifellos, dass es bei ihnen weniger Unfälle gibt ... Bei ernsten Erkrankungen wird aber die echte Therapie oft fahrlässig verzögert. Immer wieder mussten Patienten sterben, weil sie die lebensrettende konventionelle Behandlung versäumten.
"Würden Sie sich homöopathisch behandeln lassen?"
Nein. Was ich Homöopathen vorwerfe, sind aber nicht die Placebos, die sie verordnen, sondern ihr gläubiges Festhalten an wissenschaftlich unhaltbaren Ideen. Dass sich die Homöopathie bei uns überhaupt halten konnte - in den USA ist sie fast bedeutungslos -, das verdankt sie dem Multiplikationsfaktor Patient, der es honoriert, dass hier der Mensch, und nicht die Krankheit behandelt wird. Denn der Körper heilt sich in einem hohem Maß selber. Hauptsache, er wird irgendwie behandelt, und man glaubt daran. Die homöopathischen Heilkünstler heilen, aber ihre Arzneimittel sind wirkungslose Scheinmedikamente. Das Paradoxe daran: Patient und Therapeut erliegen dabei gleichermaßen der Illusion, dass die Behandlung wirksam sei!
"Was haben Sie eigentlich gegen Homöopathie?"
Als Placebo-Behandlung, von einem erfahrenen Arzt eingesetzt: Nichts. Als hochspezifische Behandlungsmethode, für die sie sich ausgibt, halte ich sie für Unsinn, so lange eine Wirkung über Placebo-Effekte hinaus ist nicht glaubhaft nachgewiesen ist. Und wenn ein Arzt zusätzlich "alternative" Medizin praktiziert, besteht die Gefahr, dass Patienten beides verwechseln und gleichermaßen für seriös halten. Es gibt Ärzte, die auf Wunsch homöopathische Mittel verschreiben, zur Sicherheit aber - oft ohne Wissen der Patienten! - zusätzlich noch ein Antibiotikum. Was Wunder, dass die Besserung dann auf die Homöopathie zurückgeführt wird ... Es heißt: "Je stärker potenziert (verdünnt), desto wirksamer!" Dabei haben homöopathische Arzneimittel, die stärker verdünnt sind als die Potenz D6, pharmakologisch keinerlei spezifische Wirkung mehr! Übrigens: In den Lösungsmitteln, mit denen man beim "Potenzieren" verdünnt, kommen in Spuren fast alle wichtigen, natürlichen Elemente vor. Woher "weiß" denn das Heilmittel, dass nur es allein potenziert werden soll? Solche unbelegten Behauptungen über das Potenzieren sind eine intellektuelle Zumutung. Viele Homöopathen haben keine fundierte medizinische Ausbildung. Früher nannte man das, was sie tun, "Kurpfuscherei". Heute spricht man von sanfter Medizin, von Komplementär- oder Alternativmedizin: als ginge es hier um Verfahren mit speziellen, natürlich-biologischen Merkmalen, die in der "verstaubten Schulmedizin" nicht vorhanden seien. Und die Patienten bekommen oft eingängige Denkstrukturen vorgesetzt: "Du bist krank, weil du Antibiotika geschluckt hast ... weil dein Körper innerlich vergiftet ist ... weil dein Handy dich bestrahlt!" Angesichts der Tatsache, dass allein die Angst vor angeblichen Gefahren krank machen kann, halte ich es ethisch für höchst unverantwortlich, Angst vor irgendwelchen Gefahren zu schüren, solange man sich nicht auf unvoreingenommen durchgeführte, objektive Untersuchungen berufen kann, die solche Behauptungen glaubwürdig belegen. Homöopathie ist keine Wissenschaft, sondern Glaubenssache. Ihr Ähnlichkeitsprinzip ist dem in Naturvölkern verbreiteten Analogiezauber verwandt, und so sind Homöopathen - ohne dies selbst zu wissen - die Medizinmänner und Schamanen unserer Zeit.
Literatur:
- Brown W A: Der Placebo-Effekt. Spektrum der Wissenschaft, März 3/ 1998 S. 68-74 (1998)
- Hahnemann S: Organon der Heilkunst. 4. Nachdruck der 6. Auflage (1999)
- Hopff W: Homöopathie - kritisch betrachtet. Thieme, Stuttgart (1991)
- Lambeck L: Eine Revolution der Physik? Skeptiker 14:117-122 (2001)
- Oepen I, Schaffrath B: Homöopathie heute. Skeptiker 2/91, 38-43 (1991)
- Prokop O: Homöopathie. Was leistet sie wirklich? Ullstein, Frankfurt (1995)
- Schäfer A Th: Ein misslungener Nachweisversuch homöopathischer Wirkprinzipien. Skeptiker 1/95, 15-19 (1995)
- Strubelt O, Claussen M: Ist Homöopathie mehr als Plazebo? Skeptiker 1&2/1999, 40-43 (1999)
- Windeler J: Sind homöopathische Mittel besser als Plazebo? Skeptiker 4/2000, 202-203 (2000)
- Wolf R, Windeler J: Erfolge der Homöopathie - nichts als Placebo-Effekte und Selbsttäuschung? Chancen und Risiken der Außenseitermedizin. In: Skeptisches Jahrbuch (Shermer M, Traynor L, Eds). Alibri, Aschaffenburg 110-144 (2000)
Lesen Sie auch unseren Online-Lexikoneintrag zur Homöopathie. Dort finden Sie auch noch weitere Literaturhinweise und Links.