Großprojekte im Wüstensand - Zur Geschichte des Pyramidenbaus im alten Ägypten
Interview mit Michael Haase
Skeptiker: Herr Haase, Sie befassen sich schwerpunktmäßig mit der wissenschaftlichen Erforschung der ägyptischen Pyramiden. Wo liegt der Ursprung des Pyramidenbaus im alten Ägypten?
M. Haase: Das Pyramidenzeitalter Ägyptens begann um 2700 v. Chr. mit dem Bau der ersten Stufenpyramide des Königs Djoser (3. Dynastie) in der Nekropole von Sakkara. In den Generationen davor wurden die Könige in unterirdisch angelegten Gräbern in Abydos und Sakkara bestattet, die von flachen, kastenförmigen Lehmziegel- oder Steinbauten bekrönt wurden (so genannte Mastabas). Der Übergang von der Mastaba zur Stufenpyramide wird oftmals auf religiös orientierte Beweggründe zurückgeführt oder als weithin sichtbarer Ausdruck eines gesteigerten königlichen Monumentalitätsanspruches gesehen. Unverkennbar ist allerdings das enorme Sicherheitsbedürfnis, das dem Bau der ersten Stufenpyramide zugrunde liegt. Vermutlich hängt die „Erfindung der Stufenpyramide" auch mit der langen Beraubungsgeschichte früherer Königsgräber zusammen. Prägend hierfür war wohl der Bürgerkrieg in der zweiten Hälfte der 2. Dynastie, den Djosers Vorgänger Chasechemui gewaltsam beendete.
Skeptiker: Wann war der Höhepunkt des ägyptischen Pyramidenbaus erreicht?
M. Haase: Der größte Pyramidenbauherr Ägyptens war König Snofru (4. Dynastie, um 2625-2580 v. Chr.), der Vater des Cheops. Snofru ließ in seiner offenbar über 45-jährigen Herrschaft drei große Pyramidenanlagen errichten, die ein Gesamtbauvolumen von etwa 4 Mio. Kubikmeter umfassen. Damit wurde die relativ kurze Phase des „Gigantismus im Pyramidenbau" eingeleitet, der in den Grabbauten des Cheops und des Chephren auf dem Giza-Plateau westlich von Kairo ihren baulichen Höhepunkt fand.
Skeptiker: Aus welchem Grund ließ Snofru drei Pyramidenanlagen errichten?
M. Haase: Snofrus erstes Bauprojekt befindet sich ca. 70 km südlich von Kairo bei der Ortschaft Meidum. Dort ließ der König ursprünglich eine Stufenpyramide errichten, die später in eine echte Pyramide umgebaut wurde. Aus noch ungeklärten Gründen gab der König diese Nekropole aber auf und veranlasste die Errichtung einer neuen Pyramide etwa 45 km weiter nördlich bei Dahschur. Dieses Grabbauprojekt wurde jedoch von Anfang an von Problemen überschattet. Allem Anschein nach war der Untergrund nicht tragfähig genug, so dass es aufgrund lokaler Senkungen des Kernmauerwerks u. a. zu Beschädigungen im Kammersystem kam. Trotz aufwändiger Umbaumaßnahmen konnte der Grabbau nicht gerettet werden. Die „Knick-Pyramide" ist zwar fertiggestellt worden, sie genügte aber nicht den Ansprüchen des Königs als sichere Grablege und wurde daraufhin in eine Kultstätte umfunktioniert. So musste man etwa 2 km weiter nördlich ein weiteres Pyramidenbauprojekt in Angriff nehmen – das diesmal aber erfolgreich zu Ende geführt werden konnte. In der so genannten Roten Pyramide wurde Snofru letztendlich bestattet.
Die Stufenpyramide von Sakkara. |
Skeptiker: Herr Haase, Sie haben sich in ihren Publikationen vor allem mit der Pyramide des Cheops, dem größten ägyptischen Grabmal, beschäftigt. Immer noch wird in der parawissenschaftlichen Literatur behauptet, einer der inschriftlichen Hinweise in der Cheops-Pyramide, die auf Cheops als ihren Bauherrn hinweist, sei eine Fälschung, obwohl Sie diese Behauptung bereits 1996 widerlegt haben. Um was für eine Inschrift geht es dabei?
M. Haase: Oberhalb der Grabkammer wurden aus konstruktionstechnischen Gründen fünf Hohlräume angelegt. Die oberen vier wurden erst 1837 entdeckt, gewaltsam aufgebrochen und zugänglich gemacht. An ihren Wänden sind eine Vielzahl von Bauinschriften und -markierungen gefunden worden; darunter auch Namen von Cheops' Arbeitermannschaften, die für den Transport der Steinblöcke verantwortlich waren (siehe dazu auch Klaus Richters Beitrag auf S. 81-85 in diesem Heft). Da diese Hohlräume bis zu ihrer Öffnung hermetisch abgeschlossene Bereiche und der inhaltliche Kontext der dortigen Inschriften zur Zeit ihrer Entdeckung noch unbekannt waren, handelt es sich bei diesen Graffiti zweifellos um authentische Zeugnisse aus der Zeit des Cheops. In der spekulativen Literatur wurde Ende der 1980er Jahre dennoch der Versuch unternommen, eine in der obersten Kammer gefundene Inschrift, die die Kurzform des Namenszuges des Cheops trägt, als moderne Fälschung hinzustellen, um somit die Zuordnung der Pyramide zu Cheops in Zweifel ziehen. Alle vorgebrachten „Kritikpunkte" gegen die Authentizität der Inschrift ließen sich jedoch ohne großen Aufwand schnell entkräften.
Skeptiker: Abgesehen von diesen Bauarbeiterinschriften gibt es nirgends in der Cheops-Pyramide offizielle Inschriften, die andeuten, dass dieses Bauwerk als Grabmal für Cheops errichtet wurde. Wie erklären Sie diesen Befund?
M. Haase: Es war zu dieser Zeit nicht üblich, die Innenräume der Königsgräber zu beschriften. In keiner Pyramide der 4. Dynastie finden sich offizielle Inschriften an den Wänden der Kammersysteme. Die so genannten Pyramidentexte kommen erst über 200 Jahre nach Cheops, am Ende der 5. Dynastie (etwa 2340 v. Chr.), in Mode.
Skeptiker: Ein beliebtes Thema in den Parawissenschaften ist die Frage nach einer weiteren, geheimen Grabkammer in der Cheops-Pyramide. Wie stehen Sie dazu?
M. Haase: Es gibt keine ernst zunehmenden Hinweise auf die Existenz einer weiteren, bislang unentdeckten Kammer in der Cheops-Pyramide. Das Kammersystem weist alle Komponenten auf, die einen Grabbau der 4. Dynastie auszeichnen. Die aufwändig errichteten und mit ausgeklügelten Sicherungsmechanismen versehenen Räume und Korridore wie auch der Granitsarkophag in der Grabkammer sind eindeutige, unmissverständliche Zeugnisse für die Vollständigkeit dieses Kammersystems.
Skeptiker: Und jenseits der kleinen der mittleren Kammer (sog. Königinnenkammer)? In den 1990er-Jahren wurde auch darüber nachgedacht, dass sich hinter den im Kernmauerwerk endenden Schächten kleinere Kammern befinden könnten.
M. Haase: Ich habe seit Beginn der roboterunterstützten Erkundungen der Schächte der Königinnenkammer im Jahr 1993 die Möglichkeit diskutiert, dass hinter den Blockierungssteinen an den oberen Enden der Schächte kleine konstruktionsbedingte Hohlräume liegen. Dies wurde im Jahr 2002 im Fall des südlichen Schachtes auch bestätigt. Der dortige Hohlraum stellt allerdings nur die Verlängerung des Schachtes dar, ehe dieser offensichtlich von einem Steinblock des Kernmauerwerks endgültig blockiert wird.
Skeptiker: Über diese Schächte, die sowohl von der Königs- wie auch Königinnenkammer der Cheops-Pyramide aus nach Norden und Süden abgehen, ist viel spekuliert worden. Sie haben sich mit ihnen sehr ausführlich beschäftigt und immer wieder darüber in Fachkreisen publiziert. Welche Funktion hatten diese Schächte?
M. Haase: Die ursprüngliche Funktion der Schächte wird in der Ägyptologie noch kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite gibt es die Vermutung, dass sie einst eine religiöse Bedeutung innehatten. Durch sie hätte die Seele des verstorbenen Königs direkt und ohne abwärts orientierte Umwege durch das Kammersystem zur Jenseitswelt am Himmel aufsteigen können. Alternativ dazu wird in Betracht gezogen, dass die Schächte der Königskammer als Belüftungskanäle gedient haben und die der mittleren Kammer bis zu einem gewissen Zeitpunkt ebenfalls vorsorglich zu diesem Zweck konstruiert, aber letztlich nicht benötigt, aufgegeben und überbaut wurden (weshalb man sie auch nicht bis in die Kammer ausführte). Ich stehe der „Seelenkorridor"-Hypothese skeptisch gegenüber, da sie sich bei genauerer Betrachtung nicht widerspruchsfrei darstellt. Hingegen haben Berechnungen gezeigt, dass durch die beiden oberen Schächte, die zwischen der Königskammer und der Außenseite der Pyramide verlaufen, im nichtblockierten Zustand ein signifikanter Belüftungseffekt hervorgerufen wird. Dies haben auch britische Forscher nach der Säuberung dieser Schächte im Jahr 1837 miterleben können. Die Planung und Ausführung derartiger Luftschächte ist wohl in Zusammenhang mit dem unvollendet gebliebenen unterirdischen Kammerbereich und der ungewöhnlich großen vertikalen Ausdehnung des Kammersystems im Kernmauerwerk der Pyramide zu sehen, die konstruktionsbedingt nur einen geringen Luftaustausch insbesondere zwischen der oberen Kammer und der Außenumgebung der Pyramide gewährleistete.
Skeptiker: Wie muss man sich eine königliche Pyramidengrabstätte in ihrer Gesamtheit vorstellen?
M. Haase: Zu einer königlichen Pyramidenanlage des Alten Reiches (um 27002160 v. Chr.) gehörten neben dem Grabmal vor allem ein Totentempel, der meist an der Ostseite der Pyramide errichtet wurde und in dem sich die eigentlichen Kulthandlungen abgespielt haben. Den offiziellen Zugang zur Kult- und Grabstätte bildete ein Taltempel, der östlich der Nekropole am Rand des Niltals lag. Verbunden waren beide Tempelgebäude durch einen oftmals überdachten Verbindungsweg – den sog. Aufweg. Fester Bestandteil der königlichen Grabkomplexe war in der Regel auch eine kleine Kultpyramide, die südlich des Königsgrabes errichtet wurde. Im Umfeld der Pyramidenkomplexe gruppierten sich oftmals Privatnekropolen, in denen u. a. nähere Verwandte der Könige und hohe Beamte ihre letzten Ruhe fanden.
Skeptiker: Wie wurden die ägyptischen Pyramiden grundsätzlich errichtet?
M. Haase: Wie sie in ihrer Gesamtheit errichtet wurden, ist bis heute nicht geklärt. Das Problem ist insbesondere der Transport des Baumaterials bis an die Spitze der großen Pyramiden. Dieses Szenario ist noch nicht eindeutig rekonstruierbar und verhindert derzeit eine Gesamtlösung. Grundlegende Rahmenbedingungen scheinen hingegen klar zu sein: Alle bisherigen Befunde deuten darauf hin, dass der Transport der Steinblöcke auf von Menschen gezogenen Holzschlitten über Baurampen vonstatten ging. Reste dieser Rampen wurden an kleineren Grabbauten entdeckt. Darstellungen von Schlittentransporten finden sich in Privatgräbern des Alten Reiches; zwei intakte Schlitten aus dem Mittleren Reich haben sich sogar erhalten. So geht es heute vor allem um die „Formgebung" der Rampenkonstruktionen an den Baukörpern.
Skeptiker: Können Sie kurz einige Beispiele für Rampenmodelle nennen?
M. Haase: Die Transportwegmodelle im Pyramidenbau bewegen sich zwischen hypothetischen Komplettlösungen und von bestimmten Bauphasen abhängigen, aber zusammenhängenden Teilszenarien. Bestimmte archäologische Befunde indizieren, dass für den Bau des unteren Bereichs großer Pyramiden eine Vielzahl senkrecht an den Seiten des Baukörpers anstehende Rampen im Einsatz gewesen sind. Dieses Szenario könnte man als Teil eines Kombinationsmodells auffassen, das im mittleren Bauabschnitt mit einer großen, an einer Seite des Pyramidenstumpfes tangential anliegenden Baurampe operiert. Eine derartige „Tangentialrampe" bildet theoretisch eine „Schnittstelle" zu einem anderen oftmals diskutierten Transportwegmodell, der sog. „Spiralrampe". Dabei handelt es sich um eine befestigte, an jede Pyramidenseite angelehnte und sich um den Baukörper nach oben windende Rampenkonstruktion. Dieses Modell besitzt eine homogene, geschlossene Gesamtstruktur und gewährleistet allein durch die Verwendung von Menschen und Schlitten den Transport der Steinblöcke bis zur Pyramidenspitze.
Skeptiker: Von wie vielen Arbeitern muss man auf den Pyramidenbaustellen ausgehen?
M. Haase: Das lässt sich nur von Fall zu Fall beantworten und erfordert detaillierte Abschätzungen für jedes Bauprojekt. Ich habe z. B. vor kurzem den täglichen Bedarf an Arbeitskräften bei der Errichtung des Pyramidenstumpfes der Roten Pyramide in Dahschur in etwa 9 m Höhe berechnet. Grundlage bildet ein Transportwegmodell mit 16 linearen Rampen. Ich kam zu dem Ergebnis, dass in dieser Bauphase etwa 14000 Arbeiter pro Tag direkt auf der Baustelle benötigt wurden.
Herr Haase, vielen Dank für das ausführliche Interview und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Mit Michael Haase sprach Klaus Richter.
Michael Haase, Jahrgang 1960, Diplom-Mathematiker; arbeitet heute als Sachbuchautor, Verleger und Wissenschaftsjournalist in der Ägyptologie. Haase war Mitglied bei Ausgrabungen in Theben-West und Dahschur und ist seit 2000 Herausgeber der Fachzeitschrift „Sokar" , die sich mit den Forschungen an den Königs- und Privatgräbern aus der altägyptischen Pyramidenzeit beschäftigt
Literatur
- Haase. M. (2002): Brennpunkt Giza. Die Schachtsysteme der Cheops-Pyramide. In: Sokar 5, 2002, 3-13.
- Haase, M. (2000) Das Feld der Tränen. König Snofru und die Pyramiden von Dahschur. Ullstein, München 2000.
- Haase, M. (2003): Das Vermächtnis des Cheops. Die Geschichte der Großen Pyramide. Herbig, München 2003.
- Haase, M. (2004): Der Serviceschacht der Cheops-Pyramide. Bemerkungen zur Konstruktion des Verbindungsschachtes zwischen Großer Galerie und absteigendem Korridor. In: Sokar 9, 2004, 12-17.
- Haase, M. (2008): Oberhalb der Nullebene. Bemerkungen zum Bau der Roten Pyramide. In: Sokar 17, 2008, 6-22.
Alle Publikationen sind über den Verlag Michael Haase erhältlich.
Dieses Interview erschien im "Skeptiker", Ausgabe 2/20092/2009.
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