Parawissenschaften in Management und Fortbildung - Die 9. GWUP-Konferenz in Roßdorf, 13.-16.5 1999
Rouven Schäfer
Fortbildung boomt, neben NLP und Graphologie sind es vor allem umstrittene Persönlichkeitstrainings, die oft mehr versprechen als sie halten können. Dies war der Anlass, die diesjährige GWUP-Konferenz unter das Motto „Parawissenschaften in Management und Fortbildung" zu stellen. Sie fand vom 13. bis 16. 5. 1999 in Roßdorf bei Darmstadt mit über hundert Teilnehmern statt. Die Eröffnungsrede am Donnerstag abend wurde von der Münchner Journalistin und Diplom-Psychologin Bärbel Schwertfeger gehalten. Wie schon in ihrem Buch „Griff nach der Psyche - Was umstrittene Persönlichkeitstrainer in Unternehmen anrichten" nahm sie umstrittene Persönlichkeitsseminare unter die Lupe und zeigte dabei auf, dass es zahlreiche Anbieter von Psycho-Crashkursen gibt, die auf komplizierte Fragen zu einfache Antworten liefern. In zahlreichen Büchern und Kursen werde suggeriert, dass alles machbar sei, es hänge im Wesentlichen von der Persönlichkeit der Entscheidungsträger ab. In ein paar Tagen sollen die Teilnehmer befähigt werden, ihre Grenzen zu überschreiten und unentdeckte Potentiale freizulegen. Diese Ziele sind an sich sehr ehrenhaft, jedoch geben die zweifelhaften Methoden Anlass zur Kritik. Solch umstrittene Psychotrainings „Parawissenschaften in Management und Fortbildung" Die 9. GWUP-Konferenz in Roßdorf, 13.-16. 5. 1999 Rouven Schäfer setzten gezielt auf eine Destabilisierung der Teilnehmer, deren Selbstkonzept erschüttert und die Wahrnehmung der Umwelt verändert werden soll, so Bärbel Schwertfeger. Dies erfolgt oft durch Isolierung von der Außenwelt, Kommunikations- und vor allem Kritikverbot, Schlaf- und Essensentzug, körperlichen Drill und emotional belastende Übungen gepaart mit Gruppendruck. In solchen Situationen hat man zwei Möglichkeiten: Man steht auf und geht, oder man macht mit und bleibt gefangen im Psychokessel der Manipulation. Dabei werden bei den Teilnehmern Emotionen hervorgerufen, die schnell in Schwärmerei münden und verständlicherweise dazu führen können, dass Teilnehmer euphorisch die Seminare verlassen, ohne jedoch erklären zu können, was dort eigentlich mit ihnen geschehen ist. Ein weiterer Kritikpunkt setzt auf einer anderen Ebene an: Unabhängig davon, ob Teilnehmer begeistert sind oder nicht, muss man die Frage stellen, warum umstrittene Anbieter meist ohne psychotherapeutische Qualifikation riskieren, durch einen tiefen Eingriff in die Gefühls- und Gedankenwelt Probleme vor allem bei psychisch labilen Teilnehmern auszulösen. Dagegen ist der Nutzen für den Berufsalltag nur schwer zu erfassen und insgesamt mehr als fraglich. Am Freitag eröffnete Wolfgang Hund den Vormittag mit einem Vortrag zum Thema Edu-Kinestetik (vgl. Skeptiker 1/98, S. 23), eine neue „Wunderwaffe", hinter der nach seiner Meinung mehr Schein als Sein stecke. Der Muskeltest als Diagnoseinstrument sei ebenso fragwürdig wie das mechanistische Persönlichkeitsbild. Unabhängig von situativen Einflüssen können kinesiologische Übungen angeblich beispielsweise Lernprobleme lösen. Dass altbekannte gymnastische Übungen nun ideologisch verpackt attraktiver sind, ist nicht zuletzt auf die erfolgreiche Vermarktungsstrategie zurückzuführen, der es gelungen ist, einfache Bewegungsübungen mit dem Markennamen „Edu-Kinestetik" gleichzusetzen. Eine Hauptgefahr besteht darin, dass eine wirkliche Problemlösung bei verhaltensauffälligen Kindern unterlassen wird, wenn Edu-Kinestetik einfach suggeriere: Kein Problem, ein paar Übungen und das war's. Monokausale Antworten auf komplexe Fragen sind mehr als fragwürdig, wenn auch emotional ansprechend. Der Jurist Bernd Steinmetz berichtete anschließend über den aktuellen Stand des geplanten Gesetzes zur gewerblichen Lebensbewältigungshilfe (siehe auch Skeptiker 4/1998, S. 154). Er erläuterte die grundlegenden Bestandteile des Forderungskataloges, meinte jedoch auch, dass es nach dem Regierungswechsel sehr unwahrscheinlich sei, dass dieses Gesetz in absehbarer Zeit beschlossen werden könnte. Für die Einführung des Gesetzes spreche, so Steinmetz, dass dadurch ein Minimalschutz für Betroffene gewährleistet werden kann, der durch die bestehenden Gesetze nicht gegeben sei. Dem Argument, dass solch ein Gesetz die Anständigen bestrafen und den Missbrauch nicht verhindern würde, setzte Steinmetz entgegen, dass nach solch einer Logik das Strafgesetzbuch auch abgeschafft gehöre, denn wie jeder wisse, würden dadurch nicht alle Straftaten verhindert werden können. Zum Abschluss des ersten Abschnittes hielt der Diplom-Psychologe Gerhard Hellmeister einen Vortrag zum Thema „Mythos und Ethos im Management". Er hat diverse Studien zum Thema „Okkultismus/Esoterik" an der Uni Jena durchgeführt. Dabei stellte er einige Studien vor und vermittelte einen Eindruck davon, was Führungskräfte im Bereich Fortbildung für sinnvoll und weniger sinnvoll hielten, kam jedoch auch zu dem Schluss, dass das empirische Material mehr als unzureichend und der Bedarf nach weiteren empirischen Studien sehr groß sei.
Der zweite Abschnitt wurde von Lee Traynor eröffnet, der einen Beitrag zum Thema Suggestopädie lieferte. Vereinfacht dargestellt, basiere die Suggestopädie auf der Annahme, dass dem Schüler durch Suggestion, durch positive Inhalte und durch Abbau von Stress eine große Anzahl von Vokabeln an einem Tag beigebracht werden könnte. Dabei werden Zahlen wie 200 oder gar 2000 Vokabeln pro Tag genannt. Für den Erfolg dieser Methode fehle jedoch jegliche empirische Bestätigung. Im Anschluss referierte Krista Federspiel zu dem Thema „Esoterik im Management". Vor allem Führungskräfte stehen unter dem Druck, stets besonders leistungsfähig sein zu müssen. Daher existiert ein Markt für Seminare, in denen den Teilnehmern mehr Leistung versprochen wird, beispielsweise durch „Brain-Power-Techniken", die Gehirn und Gedächtnis effizienter machen sollen. Diese Angebote verbindet der esoterische Gedanke, dass alles machbar sei, wenn man es nur wirklich wolle, und die postmoderne Philosophie des „anything goes". Diese Versprechen kommen jedoch nicht nur im Führungskräfte- und Verkäufertraining vor, sondern sind auch zentraler Bestandteil von „Mega-Motivations- Events", bei denen Angstüberwindung beim Feuerlaufen praktiziert wird oder Eisenstangen mit der Kehle verbogen werden. Dass solche Vorführungen beeindruckend sind, bestreitet niemand, der Nutzen für den Betriebsalltag ist jedoch mehr als fraglich, und es scheint, als ob diese Veranstaltungen hauptsächlich dazu dienen, Kunden für Kassetten, Bücher und weiterführende Veranstaltungen zu ködern. Den Freitagnachmittag füllten drei parallele Workshops aus. Toni Elisabeth Altenburg, einst Gründungsmitglied der Kommune von Otto Muehl (in den 70er Jahren auch unter dem Namen AAO bekannt), leitete einen Workshop, in dem sie unter dem Thema „Mein Leben in der Muehlkommune - Freie Sexualität und kollektiver Gehorsam" ihre Erfahrungen aus 18 Jahren Leben in der Muehlkommune wiedergab. Ray Hyman führte einen Workshop zum Thema „Cold Reading" durch. Dabei handelt es sich um die Kunst, einem Unbekannten mit bemerkenswerter Treffsicherheit Angaben zu seiner Vergangenheit, seinem Charakter und seinem Problemen machen zu können. Neben guter Beobachtungsgabe und gesundem Menschenverstand ist auch die Befolgung simpler Regeln notwendig, um erfolgreich in einem „body scan" äußerliche Merkmale (Frisur, Kleidung, Schmuck, Narben etc.) zu interpretieren. Der dritte Workshop des Nachmittags wurde von Wolfgang Hund geleitet, der die Teilnehmer über einige häufige Tricks aufklärte, die von angeblichen „Medien" verwendet werden können, um „psychische" Fähigkeiten vorzutäuschen. Am Freitagabend gab es - nach einem leckeren Bankett - einen Abendvortrag zum Thema „Erleuchtung im Crashkurs - Esoterik auf dem Psychomarkt" von Werner Gross, Pressesprecher des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) und u. a. Sachverständiger der Enquete-Kommission „sogenannte Sekten und Psychogruppen". Gross wies darauf hin, dass mehr oder minder abstruse Methoden und Techniken praktiziert werden und damit teils sehr viel Geld verdient wird. Jedoch sei nicht jede spirituelle oder alternative Gruppe per se problematisch, und er versuchte, ein paar ordnende Schneisen in den Wildwuchs des Esoterikmarktes zu schlagen. Am Samstag eröffnete Hartmut Zinser den Abschnitt „Glaubenssysteme und Weltuntergang" mit einem Vortrag, in dem er die Endzeitprophezeiungen und Heilsvorstellungen verschiedener religiöser Gruppierungen beleuchtete. Anschließend nahm Bernd Harder den Klassiker der Endzeitprophezeiungen ins Visier: „Im Jahr 1999, im siebten Monat, kommt vom Himmel ein großer Schreckenskönig", heißt es im Vers 72 der X. Centurie des weltberühmten Renaissance-Sehers Michel de Notredame, besser bekannt als Nostradamus. Bernd Harder zeigte in seinem anschaulich gehaltenen Vortrag an zahlreichen Beispielen auf, dass die Prophezeiungen des Nostradamus für Interpretationen viel Spielraum lassen. Soll das oben genannte Zitat einen Kometeneinschlag ankündigen, oder eine UFO-Invasion? Schaut man sich die verschiedenen Nostradamus-Deuter an, so wird eines deutlich: Die 4zeiligen Verse werden höchst unterschiedlich übersetzt und anschließend interpretiert, und Treffer erfolgen immer nur, wenn bereits geschehene Ereignisse im Nachhinein in die Verse hineininterpretiert werden. Bis heute konnte niemand wirklich glaubhaft die Verse entschlüsseln und eine Vorhersage für die Zukunft treffen. So bleibt die Frage: War Nostradamus wirklich ein Prophet oder nicht eher ein Arzt und Science-Fiction-Autor? Die kritische Analyse von Nostradamusdeutern spricht jedenfalls nicht für die erste Annahme (siehe auch Skeptiker 1&2/1999, S. 4).
Der Samstagnachmittag war der Situation der experimentellen Parapsychologie gewidmet. Richard Wiseman, der Leiter der Perrot-Warrick Research Unit der Universität Hertfordshire (England), gab einen Überblick über den Forschungsstand aus skeptischer Perspektive. Dabei ging er insbesondere auf Ganzfeld-Experimente ein, die als eine der erfolgversprechendsten Experimentklassen der Parapsychologie gelten. Eine kürzlich von Julie Milton und Richard Wiseman durchgeführte Metaanalyse ergab jedoch, dass das Gesamtergebnis der untersuchten Studien nicht signifikant von der Zufallserwartung abweicht (siehe Skeptiker 3/1998, S.113). Andererseits wies Wiseman darauf hin, dass eine neuere Studie von Milton wiederum ein positiveres Ergebnis brachte, sodass hier noch Forschungsbedarf besteht - auch angesichts verschiedener anderer Probleme von Metaanalysen. Über die Arbeit am Koestler-Lehrstuhl der Universität von Edinburgh (Schottland) berichtete Caroline Watt. Mit 9 wissenschaftlichen Angestellten ist dieser seit 1985 bestehende Lehrstuhl eine der wichtigsten parapsychologischen Forschungsund Lehreinrichtungen in Europa, wobei bei der Lehre besonders darauf geachtet wird, dass die vermittelten Kenntnisse auch breiter außerhalb der Parapsychologie einsetzbar sind. In den verschiedenen Forschungsprojekten werden dabei sowohl die Nicht-Psi-Hypothese (die paranormale Erfahrungen auf z. B. Selbsttäuschung zurückführt) als auch die Psi-Hypothese (die neuartige Kommunikationsformen annimmt) untersucht. So werden einerseits die Mechanismen von vorsätzlicher Täuschung und ungewollter Selbsttäuschung untersucht, andererseits aber auch an Experimenten und theoretischen Modellen gearbeitet, die die Möglichkeiten von Kommunikation außerhalb der bekannten sensomotorischen Kanäle sowie deren Mechanismen klären sollen. Abschließend berichtete Ray Hyman über seine Erfahrungen aus der 20-jährigen skeptischen Beschäftigung mit der Parapsychologie, die ihn dazu führten, trotz der hohen methodologischen Qualität der Arbeit und der teilweise recht interessanten Ergebnisse eher zur Vorsicht zu raten. Insgesamt gaben die drei Vorträge des Abschnittes eine gute Einführung in das weite Feld der experimentellen Parapsychologie, die zweifellos eine Herausforderung sowohl für „zweifelnde" als auch für „gläubige" Wissenschaftler darstellt. Einerseits ist die Methodik parapsychologischer Experimente inzwischen so ausgefeilt und die Sicherheitsvorkehrungen gegen Täuschung und Betrug so extrem, dass positive Ergebnisse nicht mit einfachen Argumenten vom Tisch gewischt werden können. Andererseits kann die Parapsychologie kaum auf mehr Anerkennung hoffen, solange noch kaum Einigkeit besteht, warum manche Experimente (bzw. Experimentklassen) positiv und andere negativ ausgehen, welche Faktoren also im einzelnen ein positives Ergebnis fördern. Vor allem aber fehlt insbesondere bei den Psi- Hypothesen die theoretische Untermauerung, also etwa ein physikalischer Mechanismus, der die postulierte Kommunikation außerhalb bekannter Kanäle mit unserem umfangreichen Wissen über die Naturgesetze in Einklang bringen kann. Den Abschluss der hochinteressanten Vorträge bildete der Abschnitt „Wissenschaft und skeptische Aufklärung". Martin Mahner referierte über die philosophischen Voraussetzungen der Wissenschaft. Dabei nannte er u. a. den ontologischen und erkenntnistheoretischen Realismus, den korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff, das Prinzip der Gesetzmäßigkeit, das Prinzip „Ex nihilo nihil fit", das Prinzip des Naturalismus, das Sparsamkeitsprinzip, das ethische Prinzip der freien Suche nach der Wahrheit sowie das Prinzip des Fallibilismus. Er wies ferner darauf hin, dass die meisten Pseudowissenschaften Realismus und den korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff akzeptieren, jedoch eines, mehrere oder gar alle der übrigen Prinzipien ignorieren. Im Anschluss brachte Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider den Begriff Skepsis aus philosophiegeschichtlicher und systematischer Perspektive dem Publikum näher. Dabei wurde aufgezeigt, dass die skeptische Erkenntnishaltung in der Auseinandersetzung um den Status von Religion und Theologie sowie deren Verhältnis zu den positiven Wissenschaften eine große Rolle spielt. Zuletzt referierte Herr Kanitscheider über skeptische Elemente im logischen Empirisus und kritischen Rationalismus. Insgesamt war es eine sehr interessante Konferenz, die auch viel Zeit für persönliche Kontaktpflege übrig ließ und Gelegenheit gab, auch außerhalb des offiziellen Programmes die verschiedenen Aktivitäten in der GWUP (etwa die Erstellung einer Literaturdatenbank durch Jochen Bergmann) kennenzulernen. Die Betreuung der Teilnehmer war dank des unermüdlichen Einsatzes der Helferinnen und Helfer, insbesondere der Familien Körkel und Sarma, ebenfalls ausgezeichnet - wofür ihnen ein großes Lob zusteht.
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 3/1999.