Offener Brief an den Hamburger Schulsenator Ties Rabe
Sehr geehrter Herr Senator Rabe,
mit Unverständnis und großer Sorge haben wir Ihre Entscheidung zur Kenntnis genommen, im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg ein Waldorfkonzept in die bestehende Schule an der Fährstraße zu integrieren. Wir halten diese Entscheidung für ein völlig falsches Signal für den Wissenschafts- und Bildungsstandort Hamburg, die für Deutschland ein Präzedenzfall wäre, und fordern Sie dringend auf, diese Entscheidung zurückzunehmen.
Die Waldorfpädagogik wurde durch den Esoteriker und Okkultisten Rudolf Steiner begründet und ist Teil seiner esoterischen, anthroposophischen Lehre. Sie enthält ein Sammelsurium von anti-aufklärerischen, pseudowissenschaftlichen und rassistischen Ideen. Dazu zählen beispielsweise eine esoterische Entwicklungslehre („Jahrsiebte“) und eine willkürliche Einteilung der Charaktere der Schüler und Schülerinnen in vier Grundtypen („Temperamente“). Der Waldorf-Klassenlehrer soll nach Steiner Künstler, Priester und höchste Autorität sein. Er soll das Temperament und das angebliche „Karma“ seiner Schüler, das von ihren „früheren Leben“ geprägt ist, durch „Hellsicht“ erkennen und sein pädagogisches Handeln danach ausrichten. Diese esoterischen Konzepte durchdringen alle Fächer, auch den musisch-künstlerischen Bereich. Sie sind ein zentraler Teil der Waldorflehrerausbildung und kommen bis heute im Unterricht zur Anwendung.
Unsere Gesellschaft benötigt zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen hervorragend ausgebildeten Nachwuchs. Dafür brauchen wir einen Unterricht, der sich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Fachdidaktiken orientiert, nicht an den hellsichtigen Schauungen Rudolf Steiners. Einen Unterricht, in dem die Vielfalt der geistes- und naturwissenschaftlichen Erkenntnismethoden vermittelt wird. Einen Unterricht, der Kinder Freude und Staunen über eine Welt lehrt, die man untersuchen, erforschen und verstehen kann. Einen Unterricht, in dem die Kinder aber auch ermutigt werden, sich selbst, ihre Lehrer und das bisher Erforschte zu hinterfragen, zu testen und ihre Weltsicht gegebenenfalls zu korrigieren und zu erweitern. Das gilt auch für den musisch-künstlerischen Bereich. Mit der Waldorfpädagogik, die mit der Anthroposophie Rudolf Steiners untrennbar verbunden ist, sind diese Erfordernisse einer modernen Gesellschaft in keiner Weise vereinbar. Die Waldorfpädagogik versteht sich als geschlossenes Konstrukt, daher ist es nach unserer Ansicht nicht möglich, einzelne "positiv" erscheinende Komponenten davon herauszupicken, ohne die schädlichen Komponenten zwangsläufig mit einzukaufen. Lapidar ausgedrückt: Ein bisschen Waldorf geht ebenso wenig wie ein bisschen schwanger.
Wir fordern daher nachdrücklich, vom geplanten Schulversuch, der auf Kosten der Kinder geht, Abstand zu nehmen und statt esoterischer Lehren ohne Wenn und Aber eine aufgeklärte, moderne und wissenschaftliche Weltsicht ins Zentrum der Schulbildung zu stellen.
Erläuterungen finden Sie im Anhang dieses Schreibens.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. habil. Rainer Wolf
Vertreter des Wissenschaftsrats im Vorstand der GWUP
Unterzeichner:
Prof. Dr. Michael Bach
Dr. Mark Benecke
Prof. Dr. Dr. Ulrich Berger
Prof. Dr. Peter Brugger
Prof. Dr. Christoph Daxelmüller
Prof. Dr. Edzard Ernst
Dr. Krista Federspiel
Prof. Dr. Dittmar Graf
Prof. Dr. Wolfgang Hell
Prof. Dr. Martin Hermann
Prof. Dr. Dieter Herrmann
Wolfgang Hund
Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider
Prof. Dr. Johannes Köbberling
Prof. Dr. Walter Krämer
Prof. Dr. Peter Kröling
Prof. Dr. Martin Lambeck
Prof. Dr. Heinz Oberhummer
Dr. Rainer Rosenzweig
Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer
Dr. habil. Rainer Wolf
Prof. Dr. Hartmut Zinser.
Die Unterzeichner sind Mitglieder des Wissenschaftsrates der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.
21. November 2013