Martin Mahner
Naturalismus
Die Metaphysik der Wissenschaft
Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2018
ISBN 978-3-86569-223-8, 238 Seiten, € 18,-
Seit ihren Anfängen ist die GWUP philosophisch von Naturalisten wie Gerhard Vollmer oder dem 2018 verstorbenen Bernulf Kanitscheider geprägt. Nun legt Martin Mahner einen weiteren Beitrag zum Thema Naturalismus vor, der nicht nur für Skeptiker eine wichtige Lektüre darstellt. Sein Buch geht der grundsätzlichen Frage nach, ob Wissenschaft überhaupt möglich wäre, ohne zumindest stillschweigend einen ontologischen bzw. metaphysischen Naturalismus vorauszusetzen.
Viele dem Empirismus anhängende Wissenschaftler und Philosophen meinen, Wissenschaft brauche keine metaphysischen Annahmen, weil sie ausschließlich ihrer Methode verpflichtet sei. Mahner wendet sich gegen diese These, wonach sich Wissenschaft sozusagen freischwebend – ohne jegliche philosophischen Voraussetzungen – betreiben lasse. Gerade die Methoden der Wissenschaft sind ihm zufolge metaphysikgetränkt. Mahner streicht heraus, dass sich realwissenschaftliche Theorien ausschließlich auf natürliche bzw. materielle Entitäten beziehen – zumindest, wenn sie über die Zeit Bestand haben. Hypothesen und Theorien mit supranaturalen Bezugsobjekten kommen in der Wissenschaft einfach nicht vor, selbst wenn die betreffenden Wissenschaftler religiöse oder andere nichtnaturalistische Überzeugungen im Beiwerk ihrer Arbeit vertreten.
Ohne Götter und Dämonen
Daneben benötigt auch die empirische Methodik – also alles, was mit Beobachtungen, Messungen und Experimenten zu tun hat – bestimmte ontologische Annahmen, ohne die sich deren Verwendung kaum rechtfertigen lässt. Dazu gehören: dass sich die natürliche Welt gesetzmäßig und nicht unberechenbar verhält, dass nichts aus dem Nichts entstehen kann, dass wir auf Dinge einwirken können (d.h. dass es Kausalität gibt) und dass es keine übernatürlichen Entitäten oder PSI-Kräfte gibt, die sich hier einmischen können. Denn ohne diese Annahmen könnten die Ergebnisse solcher Methoden keine Belege für die zu testenden Hypothesen darstellen. Gäbe es Geister, Götter oder Dämonen oder auch nur PSI-Kräfte, könnten diese für die Ergebnisse verantwortlich sein, womit die gewonnenen Daten entwertet wären. Mahner erläutert auch die Probleme, die bei der Annahme entstehen, solche Entitäten würden lediglich auf eine Einwirkung oder Einmischung verzichten.
Mahner diskutiert, ob es sich beim ontologischen Naturalismus um eine metaphysische Voraussetzung für die Arbeit der Realwissenschaften handelt oder um eine revidierbare metaphysische Nullhypothese. Er zeigt, dass beides zutrifft: Realwissenschaft kann nur dort erfolgreich sein, wo die naturalistische Voraussetzung gegeben ist und nach ihr gehandelt wird. Hypothetisch bleibt jedoch die Reichweite des Naturalismus, d.h. die Frage, ob dieser tatsächlich universell gilt.
Besonders erfreulich an diesem Buch ist die systematische und detaillierte Darstellung eines ontologischen Naturalismus und dessen Beziehung zur Wissenschaft. Der Autor listet verschiedene Varianten des Naturalismus auf und erläutert ihre Unterschiede. Herausgearbeitet werden vor allem die Unterschiede zwischen dem methodologischen Naturalismus, der von einigen als ausreichende philosophische Grundlage betrachtet wird, und dem stärkeren metaphysischen. Wichtig sind zudem die Definitionen von „Natur“ und „Übernatur“ sowie die Zergliederung des Supranaturalen in ein qualitativ andersartiges und damit unprüfbares Transnatürliches und ein lediglich quantitativ vom Natürlichen unterschiedenes Übernatürliches, das dadurch teilweise prüfbar bleibt. Diese klaren Definitionen vermeiden häufige Zirkel wie „Übernatürlich ist, was nicht natürlich ist, und natürlich ist, was nicht übernatürlich ist“.
Metaphysik, was ist das?
Mit vier Kapiteln widmet sich ein großer Teil des Buches dem Verhältnis von Metaphysik und Methodologie. Diese Kapitel behandeln die Begriffe der Prüfbarkeit und der wissenschaftlichen Erklärung sowie die Frage, ob sich das Supranaturale überhaupt erforschen lässt. Es wird auch geklärt, was unter Metaphysik zu verstehen ist.
Besonders interessant für Skeptiker ist die Analyse der philosophischen Grundlagen von Tests, wie sie auch von der GWUP durchgeführt werden. Um zuverlässige Daten zu gewinnen, müssen auch hier die oben genannten metaphysischen Annahmen gelten. Bei der Untersuchung vermeintlich übernatürlicher Phänomene ist im Experiment daher lediglich prüfbar, ob sich eine deutliche Abweichung vom erwarteten naturgesetzlichen Verhalten herausstellt. Mahner stellt auch die Frage, was geschähe, wenn bei solchen Tests doch einmal ein positives Ergebnis herauskäme. Dann würde man erst nach Fehlern in der Versuchsanordnung, Zufall, Betrug oder anderen natürlichen Ursachen suchen. Selbst wenn sich ein Ergebnis hartnäckig wiederholen ließe und die GWUP den Preis aushändigen würde, müsste zunächst an eine noch unbekannte natürliche Ursache zur Erklärung gedacht werden.
Kritisch anzumerken ist, dass manche Stellen zu viel an Vorwissen voraussetzen, beispielsweise über katholische Metaphysik. Dass man etwa die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi (Transsubstantiation) nicht wissenschaftlich prüfen kann, mag zunächst wenig einleuchten. Dazu muss man wissen, dass diese eine unsichtbare „Wesensänderung“ im Transnatürlichen ohne jegliche physikalische Änderung in unserer Welt darstellen soll: In der Natur bleibt das Brot Brot, während sich dessen jenseitige Essenz in den Leib Christi verwandelt.
Im öffentlichen Wettstreit von philosophischen Positionen in Bezug auf die Wissenschaft hat Martin Mahner ein starkes Plädoyer für einen ontologischen Naturalismus in der materialistischen Tradition von Mario Bunge geliefert. Diese Konzepte sind wesentlich klarer und überzeugender als viele konkurrierende Vorstellungen, die gerade in Mode sind. Die Auseinandersetzung zwischen Naturalismus und Supranaturalismus begann vor 2500 Jahren mit Materialisten wie Epikur, Demokrit und Lukrez in der griechisch-römischen Antike und den Charvaka im alten Indien und wird vermutlich nie endgültig entschieden werden.
Mit dem vorgelegten Buch haben nicht nur Supranaturalisten, sondern auch radikale Empiristen innerhalb des Naturalismus eine harte Nuss vorgelegt bekommen, die nicht leicht zu knacken sein wird.
Amardeo Sarma