Angesichts von Debatten mit Vertretern von paranormalen Überzeugungen und wissenschaftlich fragwürdigen Behauptungen stellt sich die Frage, wie eine angemessene Kritik solcher Aussagen formuliert werden sollte. Der US-amerikanische Skeptiker Ray Hyman hat dazu einige Überlegungen formuliert, die wir im Folgenden erstmalig in deutscher Übersetzung veröffentlichen.
Ray Hyman
Seit Gründung der US-amerikanischen Skeptikerorganisation CSICOP im Jahr 1976 und mit zunehmender Anzahl von lokalen skeptischen Gruppen finden Skeptiker mehr Möglichkeiten, ihre Sicht darzulegen. Rundfunk, Printmedien und andere Kanäle bieten uns mehr Chancen, gehört zu werden. Einige dieser Gelegenheiten bieten den Luxus, unsere Antwort sorgfältig vorzubereiten und zu gestalten, meist jedoch müssen wir unsere Antwort aus dem Stand formulieren. Aber unabhängig von den Umständen ist die Aufgabe des Kritikers, wenn sie sachgerecht durchgeführt werden soll, herausfordernd und birgt unerwartete Gefahren.
Viele wohlmeinende Kritiker haben sich in der Vergangenheit an der Debatte beteiligt, ohne die vielfältigen Auswirkungen ihrer Aussagen sorgfältig zu bedenken. Gelegentlich zeichneten sich ihre Beiträge eher durch Emotionen aus als durch Logik, ihre Pauschalaussagen gingen über das vernünftigerweise vertretbare Maß hinaus, und ihre Behauptungen waren nicht ausreichend belegt, zusammengefasst: Sie haben ihre Hausaufgaben nicht gründlich genug erledigt, um ihr Anliegen glaubhaft zu vertreten.
Solche unbedachte Kritik kann sich kontraproduktiv auf das Anliegen eines ernsthaften Skeptizismus auswirken. Wer so Kritik übt, läuft Gefahr, den gewünschten Effekt zu verfehlen, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren, und macht sich vielleicht sogar rechtlich angreifbar. Doch die negativen Folgen betreffen nicht nur die einzelne Person, sondern auch das Anliegen des skeptischen Denkens insgesamt. Selbst wenn sich ein Kritiker noch so sehr bemüht klarzustellen, dass er seine persönliche Meinung äußert, bringt die Öffentlichkeit seine Behauptungen dennoch mit allen Kritikern in Verbindung.
Während des ersten Jahrzehnts von CSICOP verwandten die Mitglieder des Executive Councils (ein Gremium mit Vorstandsaufgaben, d. Red.) oft den größten Teil ihrer verfügbaren Zeit auf die Begrenzung von Schaden, den einzelne Skeptiker durch leichtfertige Äußerungen verursacht hatten, anstatt sich der gemeinsamen Sache zu widmen, der Verbreitung skeptischer Anliegen.
Was tun?
Leider gibt es derzeit keine Kurse, die geeignete Methoden vermitteln, um paranormale Thesen zu kritisieren. Soweit ich weiß, sind weder Anleitungen noch Bücher oder Regelwerke dazu verfügbar. Was können wir tun, um sicherzustellen, dass unsere Kritik effektiv und verantwortungsbewusst ist, bis solche Kurse und Anleitungen zur Verfügung stehen?
Es wäre unverantwortlich zu behaupten, ich hätte eine einfache Lösung. Das Problem ist kompliziert und es gibt keine schnellen Rezepte. Aber ich bin überzeugt, dass wir unsere Beiträge zu einer verantwortungsvollen Kritik verbessern könnten, indem wir einige Prinzipien stets im Auge behalten. Enorme Verbesserungen in unseren gemeinsamen und individuellen Bemühungen lassen sich bereits erzielen, indem wir uns bemühen, die Standards einzuhalten, zu denen wir uns bekennen und die nach unserer Ansicht von vielen Vertretern paranormaler Überzeugungen verletzt werden.
Wenn wir uns als Verfechter von Rationalität, Wissenschaft und Objektivität verstehen, dann sollte unsere Kritik sich durch genau diese Eigenschaften auszeichnen. Bereits durch den Versuch, im Geiste von Präzision, Wissenschaft, Logik und Rationalität zu sprechen und zu schreiben – der Attribute, die wir angeblich vertreten – würden wir die Qualität unserer Kritik um mindestens eine Größenordnung erhöhen.
Halten wir diese Normen nicht konsequent ein, drohen vielfältige Gefahren. Vielleicht gehen wir über die Fakten hinaus. Vielleicht kommunizieren wir nicht genau, was wir meinen. Vielleicht formulieren wir der Öffentlichkeit gegenüber undeutlich, was wir Skeptiker erreichen wollen. Vielleicht versetzen wir Befürworter paranormalen Denkens unabsichtlich in die Rolle des Underdogs und schaffen Sympathie für sie. Und, wie bereits erwähnt, machen wir anderen Skeptikern das Leben vielleicht schwerer als notwendig.
Was können Skeptiker also tun, um die Qualität ihrer Kritik zu verbessern? Im Folgenden sind nur einige wenige Vorschläge aufgeführt. Es steht zu hoffen, dass sie zu weiteren Überlegungen und Diskussionen anregen werden.
1. Seien Sie vorbereitet
Gute Kritik erfordert Übung, Arbeit und Besonnenheit. Es ist viel wahrscheinlicher, gut auf eine unvermittelte Herausforderung zu reagieren, wenn man etwas Derartiges bereits erwartet hat. Versuchen Sie, im Voraus wirkungsvolle und kurze Antworten auf die Fragen auszuarbeiten, die Ihnen am ehesten gestellt werden. Bereiten Sie sich darauf vor zu erklären, warum skeptische Arbeit wichtig ist, warum Menschen Ihnen zuhören sollten, warum falsche Überzeugungen schädlich sein können, und überlegen Sie sich auch Antworten auf die vielen ähnlichen Fragen, die immer wieder aufkommen. Ein nützliches Projekt wäre es, eine Liste der häufigsten Fragen zusammen mit möglichen Antworten
zu erstellen.
Wann immer möglich, testen Sie Ihre Ideen an Freunden und „Gegnern“ aus, bevor Sie sie in der Öffentlichkeit anwenden. Eine effektive Übung besteht darin, Argumente mit anderen Skeptikern zu proben. Einer stellt eine übernatürliche Behauptung auf, der andere übernimmt die Rolle des Kritikers. Zur allgemeineren Vorbereitung lesen Sie Bücher über kritisches Denken, effektives Schreiben und Argumentation.
2. Klären Sie Ihre Ziele
Bevor Sie versuchen, sich mit einer paranormalen Behauptung auseinanderzusetzen, fragen Sie sich, was Sie erreichen wollen. Wollen Sie Dampf ablassen? Wollen Sie Ihren Widerpart herabsetzen? Versuchen Sie, Ihren Standpunkt bekannter zu machen? Möchten Sie nachweisen, dass der Anspruch nicht angemessen begründet ist? Erhoffen Sie sich, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wie man prüft, ob für eine These hinreichende Belege vorliegen? Oftmals stellen wir fest, dass wir mehrere Ziele verfolgen. Und vor allem, wenn wir impulsiv handeln, stehen einige unserer Ziele im Widerspruch zueinander.
Von besonderer Bedeutung kann der Unterschied zwischen kurz- und langfristigen Zielen sein. Die überwiegende Anzahl der Skeptiker würde, so meine ich, zustimmen, dass unser langfristiges Ziel darin besteht, die Öffentlichkeit aufzuklären, damit sie in der Lage ist, mit bestimmten Behauptungen adäquater umzugehen. Manchmal wird dieses langfristige Ziel geopfert, weil man gerade eine bestimmte These entlarven oder widerlegen will.
Ein Teil der Klärung unserer Ziele besteht darin festzustellen, wer überhaupt unser Adressat ist. Harte, scharfe Angriffe auf paranormale Behauptungen ändern selten Meinungen, sondern streicheln vielmehr das Ego derjenigen, die bereits Skeptiker sind. Argumente, die vielleicht die Leser des National Enquirer [eine US-amerikanische
Boulevardzeitschrift, d. Red.] überzeugen, mögen von Wissenschaftlern und wichtigen Meinungsmachern als Beleidigung aufgefasst werden.
Bemühen Sie sich zu verdeutlichen, dass Sie die jeweilige These angreifen und nicht denjenigen, der sie vertritt. Vermeiden Sie unbedingt den Eindruck, sie wollten die bürgerlichen Freiheiten anderer beschränken. Arbeiten Sie nicht darauf hin, dass jemand seinen Job verliert. Versuchen Sie nicht zu erzwingen, dass Kurse gestrichen werden oder anderweitig Zensur geübt wird. Das Eintreten für Rationalität und Vernunft sollte uns nicht dazu nötigen, gegen akademische Freiheit und bürgerliche Freiheiten anzukämpfen.
3. Machen Sie Ihre Hausaufgaben
Auch dieser Tipp geht Hand in Hand mit den Ratschlägen zur Vorbereitung. Treten Sie möglichst keiner paranormalen Behauptung entgegen, ohne zuvor so viele relevante Fakten wie möglich zu recherchieren. Dokumentieren Sie daher Ihre Quellen sorgfältig. Verlassen Sie sich nicht auf die Medien, weder in Bezug auf die Behauptung noch hinsichtlich der relevanten Fakten. Versuchen Sie, die Einzelheiten der Behauptung direkt von demjenigen in Erfahrung zu bringen, der sie aufstellt.
4. Überschreiten Sie Ihre Kompetenzen nicht
Gerade in unserer Zeit kann niemand glaubhaft versichern, in allen Fragen Experte zu sein. Wann immer möglich, sollten Sie sich auf die jeweiligen Fachleute stützen. Es versteht sich von selbst, dass wir denjenigen kritisch begegnen, die mit ihren paranormalen Behauptungen offensichtlich ihre Kompetenzen überschreiten. Das Gleiche sollten wir von uns selbst verlangen. Für einen Kritiker ist es die schlimmste Sünde, über die Fakten und die verfügbaren Belege hinauszugehen.
Fragen Sie sich in diesem Zusammenhang stets, ob Sie wirklich etwas beizutragen haben. Manchmal ist es besser zu schweigen, als sich in eine Diskussion zu stürzen, die in bestimmten Hinsichten über Ihre derzeitigen Kenntnisse hinausgeht. Wenn es angebracht ist, sollten Sie sich nicht scheuen zu sagen: „Ich weiß es nicht.“
5. Lassen Sie die Fakten für sich selbst sprechen
Haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht und eine ausreichende Menge an Fakten gesammelt, wird das Publikum selten Ihre Hilfe benötigen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ihr Argument wird an Stärke gewinnen, wenn Sie das Publikum seine eigenen Schlussfolgerungen aus den Fakten ziehen lassen. Sagen Sie, dass Madame X behauptet, sie habe die verschwundene Tochter von Frau A. durch Hellsehen gefunden, und dass Ihnen eine Erklärung der Polizei vorliegt, derzufolge ihre Beiträge nicht geholfen haben.
Unter diesen Umständen kann es kontraproduktiv sein zu versichern, dass Madame X über ihren Beitrag gelogen hat oder dass ihre Behauptung „betrügerisch“ war. Zum einen kann Madame X aufrichtig, wenn auch irrtümlich, glauben, dass ihr Beitrag tatsächlich geholfen habe. Darüber hinaus fühlen sich vielleicht einige Zuhörer durch den Tonfall der Kritik angegriffen und entwickeln Sympathie für Madame X. Wenn Sie jedoch lediglich berichten, was Madame X behauptet hat, und das um die Antwort der Polizei ergänzen, halten Sie sich an die Fakten, und Ihre Zuhörer werden eher zum richtigen Schluss kommen.
6. Seien Sie präzise
Gute Kritik erfordert Präzision und Sorgfalt im Umgang mit Sprache. Weil wir bei der Auseinandersetzung mit paranormalen Behauptungen an Objektivität und Fairness appellieren, haben wir eine besondere Verpflichtung, in unseren eigenen Aussagen so aufrichtig und genau wie möglich zu sein. Wir sollten besondere Anstrengungen unternehmen, um zu vermeiden, dass Thesen über paranormale Behauptungen ohne hieb- und stichfeste Belege aufgestellt werden. Bei Medieninterviews ist besondere Vorsicht geboten. Die Medien sollten unbedingt verstehen, was wir sagen und was nicht.
7. Halten Sie sich an das Prinzip der wohlwollenden Interpretation
Ich weiß, dass viele Kollegen diesem Prinzip nichts abgewinnen können. Manch einer betrachtet die Verfechter des Paranormalen als „Feind“, und es scheint widersprüchlich, sich ein Bein auszureißen, um ihnen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Doch andererseits erfordern Aufrichtigkeit und Fairness eine wohlwollende Haltung gegenüber paranormalen Behauptungen. Aus diesem Prinzip ergibt sich, dass wir versuchen sollten, Zweifel oder Unklarheiten hinsichtlich paranormaler Thesen wohlmeinend zu deuten, solange keine triftigen Gründe dagegen vorliegen. In diesem Zusammenhang sollten wir zum Beispiel sorgfältig unterscheiden, ob jemand falsch liegt oder unehrlich ist.
Oftmals können wir die Genauigkeit oder Gültigkeit einer bestimmten paranormalen Behauptung in Frage stellen. Aber selten sind wir in der Lage zu wissen, ob jemand lügt oder sich lediglich täuscht. Außerdem haben wir oft eine Wahl, wie wir die Argumente eines Gegners interpretieren oder darstellen. Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation besagt, dass wir die Position des Gegners fair, objektiv und frei von Emotionen vermitteln sollen.
8. Vermeiden Sie emotional geladene Wörter und Effekthascherei
Alle diese Prinzipien sind miteinander verknüpft. Aus ihnen ergibt sich, dass wir gut beraten sind, in unserer Kritik auf emotionale und vorverurteilende Wörter zu verzichten. Greifen die Befürworter auf solche Begriffe und auf Effekthascherei zurück, sollten wir uns nicht auf ihr Niveau begeben und in gleicher Weise reagieren.
Dabei geht es nicht darum, die andere Wange hinzuhalten. Unser Ziel ist es, für die gemeinsame Sache an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Emotionalität und sensationelle Aktionen sorgen vielleicht rasch für Aufmerksamkeit. Aber die meisten von uns betrachten unsere Mission als langfristige Aufgabe. Wir möchten die Medien und die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass wir eine ernsthafte und wichtige Botschaft haben. Und wir möchten uns als glaubwürdige und zuverlässige Quelle ihr Vertrauen verdienen. Eine solche Aufgabe erfordert stets die Berücksichtigung von wissenschaftlichen Prinzipien sowie der Standards von Rationalität und Integrität, für die wir uns stark machen.
Erstmals erschienen in: Skeptical Inquirer, Juli/August 2001, Übersetzung aus dem Englischen von Nikil Mukerji und Inge Hüsgen. Mit freundlicher Genehmigung von CSI.
Ray Hyman
ist emeritierter Professor für Psychologie an der Universität von Oregon (Eugene, Oregon) und Mitbegründer der modernen Skeptikerbewegung. Auf dem Gebiet des kritischen Denkens wurde er vor allem als Kritiker der Parapsychologie bekannt. Hyman ist Fellow und Mitglied des Executive Council der US-amerikanischen Skeptikerorganisation CSI.