Droht im Herbst 2008 der Weltuntergang? Zurzeit nämlich laufen am europäischen Kernforschungszentrum CERN spektakuläre Experimente mit dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt an. Kritiker befürchten ein Horrorszenario. Wir sprachen mit dem GWUP-Mitglied und Physiker Dr. Detlef Küchler, der am CERN arbeitet.
Herr Dr. Küchler, haben Sie schon Pläne für Silvester 2008?
Ja, aber sicher doch.
Im Gegensatz zu Ihnen scheinen einige Zeitgenossen davon überzeugt zu sein, dass sie den Jahreswechsel gar nicht mehr erleben werden, weil unsere Welt vorher in einem Schwarzen Loch verschwindet, das am CERN künstlich erzeugt wurde.
Ich denke, das hat etwas mit der Angst der Menschen vor dem Neuen zu tun. Früher befürchtete man, dass einem der Himmel auf den Kopf fallen könnte, heute sind es halt die Schwarzen Löcher. Als im Jahr 2001 der RHIC-Teilchenbeschleuniger (Relativistic Heavy Ion Collider) am Brookhaven National Laboratory in New York in Betrieb genommen wurde, gab es ganz ähnliche Befürchtungen. Passiert ist nichts. Das Problem ist indes nicht nur auf die Physik begrenzt. Die Forschung an genetisch modifizierten Organismen oder Stammzellen hat bekanntlich mit ähnlichen Widerständen zu kämpfen.
Apropos Widerstand: Der Amerikaner Walter Wagner hat sogar eine Klage gegen die geplanten Experimente am CERN eingereicht. Begründung: Die Wissenschaftler gingen ein Risiko ein, das sie gar nicht einschätzen können. Stimmt das?
Nein, das stimmt so nicht. Seit vielen Jahren wird von unabhängigen Physikern untersucht, was am LHC passieren könnte. Man stützt sich dabei auf die bekannte Physik, versucht aber auch unbekannte Größen mit einzubeziehen. Man muss bei dieser Diskussion vor allem einen Punkt im Auge behalten: Sicher, der LHC wird Kollisionen bei Energien durchführen, die bisher auf der Erde unerreicht sind. Aber das gilt nur für von Menschen erzeugte Zusammenstöße. Die kosmische Strahlung enthält Teilchen mit wesentlich höherer Energie. Und auch diese Teilchen prallen aufeinander, im All, auf anderen Sternen, auf dem Mond und auch hier auf der Erde. Trotzdem existiert die Menschheit immer noch. Das ist wohl das überzeugendste Argument, oder?
Mag sein, aber in einem Weblog schreibt jemand: "Man sollte nich alles negieren, was anscheinend ,extrem unwahrscheinlich' ist. Solange Schäden nicht 100prozentig ausgeschlossen werden können, sollte die Anlage nicht in Betrieb gehen."
Keiner der an den Experimenten Beteiligten negiert die möglichen Gefahren. Deshalb gibt es auch die unabhängige Expertenkommission, die schon 2003 einen Bericht über mögliche Zwischenfälle und eine Gefahrenabschätzung vorlegte. Dieser Bericht ist übrigens öffentlich zugänglich.
Was steht drin?
Das Fazit lautet: „Wir sehen keinen Grund, von einer Bedrohung auszugehen." Gewiss, 100prozentige Sicherheit gibt es nicht. Wer das erwartet, dürfte morgens auch nicht aufstehen oder gar aus dem Haus gehen.
Wie stellt sich eigentlich die juristische Sachlage aus Sicht des CERN dar? Kann ein US-Bezirksgericht, wo Walter Wagner seine Klage eingereicht hat, ein europäisches Forschungsvorhaben stoppen?
Ich bin kein Jurist, aber ich denke, die Chancen sind recht gering.
Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des CERN. |
Angenommen, mit der neuen Protonenkanone am CERN geht tatsächlich etwas schief - was könnte im schlimmsten Falll passieren?
Erst einmal, es handelt sich nicht um eine „Protonenkanone", wie in der Presse steht. Wir machen ein Kollisionsexperiment mit Protonen in einem Beschleunigerring. Was dabei im schlimmsten Fall passieren kann, weiß auch ich nicht, aber alle menschenmöglichen Vorkehrungen wurden getroffen, um das Personal, die Bevölkerung und auch die Anlage selbst zu schützen.
Aber könnte nicht ein völlig unbekannter physikalischer Effekt auftreten?
Ein bislang unbekannter physikalischer Effekt? Tja, das würde zu spontanen Jubelfeiern und der einen oder anderen leeren Champagnerflasche führen. Ernsthaft: Nach dem Unbekannten sind wir doch auf der Suche! Das Bekannte kennen wir ja eben schon. Und noch eine Bemerkung zur angeblichen Elfenbeinturm-Mentalität: Das CERN verfolgt eine Politik der Offenheit. Jeder kann sich darüber informieren, was hier vor sich geht. Im Frühjahr zum Beispiel gab es einen Tag der offenen Tür. 53.000 Besucher, teilweise von anderen Kontinenten, nutzten die Gelegenheit, uns zu besuchen, 20.000 von ihnen schauten sich auch die unterirdischen Einrichtungen an, wo die Experimente stattfinden werden. Die CERN-Mitarbeiter führten selbst die Gäste rum und standen Rede und Antwort.
Interview: Bernd Harder
Dr. Detlef Küchler ist GWUP-Mitglied und arbeitet seit 1998 als Physiker in der Sektion für Hadronenquellen und Linearbeschleuniger des CERN. Er ist Spezialist für lonenquellen. |
Der Artikel erschien im Skeptiker 3/2008.