Ein Gespräch mit dem Allgemeinmediziner Dr. Werner Hessel über Außenseiterverfahren und die Kritik der Skeptiker an der neuen Stiftungsprofessur zur Erforschung der Komplementärmedizin an der Berliner Charité.
An der Charité ist die erste Professur zur Erforschung der Alternativmedizin eingerichtet worden. Warum sieht die GWUP, die selbst die „wissenschaftliche Untersuchung von Parawissenschaften" im Vereinsnamen fordert, diese Professur kritisch?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Verschiedene Aussagen der Beteiligten geben Anlass zur Befürchtung, dass es hier eher um die akademische Etablierung von Außenseiterverfahren gehen wird und weniger um wirklich Erforschenswertes: nämlich mit streng wissenschaftlicher Methodik die Fragen zu klären, ob überhaupt Heilwirkungen über Placebo-Effekte hinaus vorliegen.
Woraus schließen Sie das?
Das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité, das mit der neuen Professur eng verbunden ist, bemüht sich schon seit Jahren, Methoden zu etablieren, mit denen die Alternativmedizin besser belegt werden könne - allerdings auf Kosten der evidenzbasierten Medizin (EbM), deren Methoden und Prinzipien dort kritisiert werden, insbesondere randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudien (Kienle et al 2003) ...
... also die verlässlichste und objektivste Methode mit dem höchsten Erkenntnisgrad im Rahmen der evidenzbasierten Medizin.
Genau. EbM schafft richtig angewendet Transparenz. Man weiß selbst und kann anderen vermitteln, wie gut die Beweislage zu einer medizinischen Maßnahme ist. Wenn Wissenschaftler daher auf theoretischer wie empirischer Rechtfertigung von Aussagen zu Diagnose- und Therapie verfahren bestehen, dann ist das kein Dogmatismus, sondern das einzige Mittel, Beliebigkeit, Wunschdenken und blinden Glauben von verlässlicher Erkenntnis zu unterscheiden.
Wie geht das konkret vor sich? Was sind „randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudien"?
Doppelblindstudien sind kein Selbstzweck und keine Religion, sondern einfach nur der beste bekannte Ansatz, häufige Fehlerquellen zu vermeiden. Nämlich:
- Krankheitszustände verändern sich im Zeitverlauf von ganz allein. Das umgeht man sinnvollerweise, indem man die behandelten Patienten mit anderen, unbehandelten vergleicht. Denn das Wichtigste bei Studien zur Bewertung von Therapien ist der Vergleich - allerdings nicht „Vorher/Nachher", sondern der Vergleich zwischen Anwendung und Nicht-Anwendung einer Methode bei sonst gleichen Umständen.
- Ganz unerwartete und zuvor nicht bekannte Faktoren in der Auswahl dieser Patientengruppen können einen Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf haben. Somit ist die sinnvollste Auswahl eine rein zufällige - heißt: randomisierte - Zuordnung. Ein ebenso wesentlicher Schutzmechanismus vor verzerrten Studienergebnissen ist in diesem Zusammenhang das zuverlässige Verbergen des Randomisierungscodes vor Behandlungsbeginn.
- Der Therapieerfolg hängt von allerlei psychischen Faktoren ab. Wenn man nicht speziell diese psychischen Faktoren untersucht, ist es in der Regel sinnvoll, sie vom Untersuchungsgegenstand zu trennen - also beide Patientengruppen soweit wie eben möglich identisch zu behandeln. Dazu dient beispielsweise ein Placebo (Wolf 2006a).
- Menschen - und das gilt für Patienten, Behandelnde, Diagnostizierende, Auswertende gleichermaßen - neigen dazu, gewollt oder ungewollt, mit ihrem Verhalten in vielfältiger Weise die Untersuchungsergebnisse zu beeinflussen. Das versucht man dadurch zu minimieren, dass man die Zugehörigkeit zu den Patientengruppen soweit wie eben möglich „verblindet". Das heißt: Keiner der Patienten in der Studie weiß, ob er zu den behandelten oder unbehandelten gehört. Und die Ärzte wissen es auch nicht. Wenn diese vier Punkte umgesetzt sind, spricht man von einer Doppelblindstudie.
Alternativmedizin an der CharitéProf. Dr. med. Claudia Witt hat im Mai eine Stiftungsprofessur der Karl und Veronica Carstens-Stiftung zur Erforschung der Komplementärmedizin am Berliner Universitätsklinikum Charité angetreten. Der Lehrstuhl ist am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie angesiedelt. Mit der Fördersumme von insgesamt einer Million Euro sei die Professur und zwei Mitarbeiterstellen über einen Zeitraum von fünf Jahren gesichert, heißt es in einer Pressemitteilung. Prof. Witts wissenschaftliche Schwerpunkte liegen nach Angaben der Klinik in der Therapieforschung zur Komplementärmedizin, insbesondere im Bereich der Chinesischen Medizin und der Homöopathie. Dies beinhaltete die Untersuchung „von Wirksamkeit, Therapiesicherheit und Kosteneffektivität dieser Behandlungsansätze". Der Geschäftsführer der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, Dr. Henning Albrecht, erklärte: „Nur durch erstklassige Forschung können komplementäre Therapieverfahren langfristig gesichert und in die Patientenversorgung integriert werden. Die Professur an der Charité nimmt dabei eine Schlüsselrolle in Deutschland ein. Ich bin überzeugt davon, dass Frau Professor Witt die wissenschaftliche Untermauerung der Komplementärmedizin und damit deren Akzeptanz in Deutschland mit großen Schritten voranbringen wird." Hohe Akzeptanz für TCM und Akupunktur Innerhalb der Europäischen Union (EU) ist Deutschland Spitzenreiter bei der Nutzung von Alternativmedizin. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nehmen die Angebote von Akupunktur bis hin zur Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in Anspruch, wie Witt bei ihrer Einführung berichtete. Damit liege die Akzeptanz in Deutschland vor Frankreich (50 Prozent), der Schweiz (40 Prozent) oder Großbritannien (20 Prozent). Am beliebtesten bei deutschen Patienten seien Naturheilverfahren wie Wasseranwendungen. 65 Prozent der Frauen und rund die Hälfte der Männer griffen darauf zurück. Homöopathie nähmen in Deutschland 15 Prozent der Bevölkerung in Anspruch, bei Akupunktur seien es neun Prozent. Viele Patienten nutzten die Angebote auch in Kombination mit der klassischen Schulmedizin. Nach Witts Erhebungen gebe es jedoch eine Art Prototyp für alternative Heilmethoden: Es seien in der Regel jüngere, gut gebildete Menschen mit chronischen Krankheiten - häufiger Frauen als Männer. Bisher gebe es in Deutschland drei Professuren für die Patientenversorgung mit Alternativmedizin, aber keinen für die Forschung, so die Lehrstuhlinhaberin. Umfangreiche Forschungsvorhaben Für die kommenden Jahre sind umfangreiche Forschungsvorhaben geplant. Neben Studien zu einzelnen Behandlungsverfahren wie Qigong, Akupunktur und Homöopathie seien bereits große interdisziplinäre Forschungsprojekte zur Chinesischen und Tibetischen Medizin beantragt worden. Der Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Prof. Dr. Stefan N. Willich, sagte der Berliner Zeitung, die Verhandlungen über zwei weitere Professuren zum Thema Naturheilkunde seien „schon weit gediehen". Die Finanziers der beiden geplanten Stellen sollen der Kneipp-Bund und ein Berliner Krankenhaus sein. Bereits seit Mai 2007 gibt es eine „Ambulanz für Prävention und Integrative Medizin" (Champ) an der Charité. Dort wird laut Willich erprobt, „wie gut sich Schul- und Komplementärmedizin kombinieren lassen - integrative Versorgung nennen wir das" Bernd Harder |
Und diese Spielregeln wollen Anhänger der Komplementär- und Alternativmedizin ändern?
Der Eindruck drängt sich zwangsläufig auf. Die bewährte und erfolgreiche Methodik der Wissenschaft zur Prüfung von Hypothesen konnte bislang die Wirksamkeit der meisten Verfahren von Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) nicht bestätigen (Ernst et al. 2006) - also sollen andere Regeln her, die „geeigneter" sind. Das heißt übersetzt nichts anderes als: „Wenn die Komplementär- und Alternativmedizin mit der Wissenschaft nicht in Einklang zu bringen ist, dann brauchen wir eben eine andere Wissenschaft."
Für eine Hochschulprofessur ist es aber ein völlig inadäquater Ansatz, die oben skizzierten vier Fehlerquellen einfach zu vernachlässigen, etwa mit dem Argument, eine Doppelblindstudie passe nicht zum Untersuchungsgegenstand. Das ist in etwa so überzeugend, wie wenn jemand, der nicht fit genug ist, eine längere Strecke zu laufen, den Veranstaltern eines Marathonlaufes Dogmatismus vorwirft, weil sie nicht bereit sind, die Regeln zu ändern, um ihn die Strecke mit dem Auto zurücklegen zu lassen.
Gut, aber man kann einen Patienten doch beispielsweise nicht doppelblind massieren, dieses Verfahren beispielsweise ist nicht „verschleierbar" - ist an dem Vorwurf, dass Doppelblindstudien für die CAM eine Forschungsbremse darstellen, nicht doch etwas dran?
Nein. Wenn die Wirkung einer Massage auch nicht herkömmlich doppelblind zu untersuchen ist, so ist eine genaue Dokumentationen des messbaren Krankheitsbildes - nicht der Patientenmeinung! - vor und nach einer Massage/einer physikalischen Behandlung/einer Hypnotherapie oder Ähnlichem bei ausreichend vielen Patienten und durch nicht an der Studiendurchführung beteiligte Dritte eine stichhaltige Methode.
Noch besser ist es, ein nachweislich wirksames Verfahren mit dem neuen, zu prüfenden Verfahren zu vergleichen. Auf dieser Basis können zum Beispiel auch Vergleichsstudien zwischen Psychotherapieverfahren, die auf ein bestimmtes Symptom zielen, die Spreu vom Weizen trennen. Auch Geistheilung und Gebete für Kranke wurden mit solchen Methoden bereits erfolgreich untersucht (Roberts et al. 2000, O'Mathuna et al. 2003).
Prinzipiell geht es darum, beim Studiendesign so weit wie möglich Täuschung und Selbsttäuschung auszuschließen - sowohl beim Patienten als auch beim Therapeuten.
Welche Mittel helfen tatsächli? |
Bleiben wir beim Reizthema Homöopathie. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass bei der homöopathischen Behandlung eine Summe aus den Komponenten a) homöopathisches Arzneimittel, b) Arztgespräch und c) jahrzehntelange Propaganda wirkt - wie will man diese Punkte wissenschaftlich seriös voneinander trennen?
Dass dieses Paket eine Wirkung hat, dürfte unbestritten sein. Und gilt sicherlich für Aspirin genauso wie für Homöopathie.
Das Ziel einer wissenschaftlichen Untersuchung medizinischer Zusammenhänge muss aber doch sein, das Spektrum nutzbarer Therapien zu verbessern, damit Patienten davon profitieren können. An dem Punkt würden viele homöopathisch arbeitende Ärzte wahrscheinlich sogar zustimmen, auch wenn es ja eigentlich zum Wesen der Homöopathie gehört, jahrhundertealte Dogmen eben nicht durch neue Ergebnisse hinterfragen zu lassen.
Wenn ich also wissen will, ob verschiedene Therapierichtungen möglicherweise voneinander lernen können, dann muss ich die von Ihnen genannte Summe notwendigerweise zerlegen und möglichst differenziert die Einzelkomponenten - und im Idealfall ihre Unterkomponenten - betrachten.
Randomisierte Doppelblindstudien sind dazu geeignet, genau den Effekt einer Komponente herauszufiltern. Es gibt keinen Grund, warum dieses bewährte Verfahren nicht auch bei der CAM eingesetzt werden kann. Komponente a - das Homöopathikum - ist problemlos doppelblind und randomisiert zu testen, darüber haben wir ja gerade gesprochen.
Mit dem Ergebnis: Egal ob „Belladonna D30", „Pulsatilla D60" oder „Luesinum C200" - alle diese Homöopathika wirken gleich, nämlich gar nicht, sagt die Physik. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft erklärt, dass bis heute „in keiner den wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Studie eine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel nachgewiesen werden konnte" (Ärztliche Praxis Prävention 2008).
Richtig, Komponente a ist hinreichend widerlegt. Bezüglich der zweiten Komponente halte ich es für sinnvoller, statt vom „Arztgespräch" von therapieunspezifischen psychischen Faktoren zu sprechen. Solche sind: jemand beschäftigt sich mit dem Patienten, hört ihm zu, untersucht ihn und verordnet schließlich eine Therapie. Dieser Bereich gehört letztlich zur Placebo-Forschung.
Die dritte Komponente würde ich analog dazu lieber therapiespezifische psychische Faktoren nennen. Darunter sind in erster Linie die Erwartungen des Patienten an eine spezielle Behandlung zu fassen. Diese Erwartungen werden geschürt und beeinflusst durch das positive Image der Therapie, durch die Werbung dafür, durch Erfolgsberichte in den Medien oder im Freundes- und Bekanntenkreis und ähnliches. Auch hierzu gibt es bereits wissenschaftliche Erkenntnisse.
Zum Beispiel ist gut dokumentiert, dass eine Therapie wirksamer ist, wenn sie weh tut, teuer ist et cetera. Spannend wäre es zum Beispiel, die Wirksamkeit einer homöopathischen Behandlung nach der Kontrollgröße „Homöopathieglaube" aufzuschlüsseln. In jedem Fall muss bei einer Diskussion und vor einem Experiment genau geklärt werden, welche Behauptung geprüft werden soll.
Wie kann man Homöopathie testen?Von Martin Lambeck, Professor em. der Physik, TU Berlin, Mitglied im Wissenschaftsrat der GWUP: „Homöopathen verteidigen ihre Lehre gerne mit dem Argument, sie wirke auch bei Tieren, die mangels Denkvermögens keine Placebowirkung zeigen könnten. Das Placeboargument stimmt meines Erachtens bei Haustieren nicht, wohl aber kann es durch sorgfältige Versuchsführung bei Nutztieren ausgeschlossen werden. Grundlage der Homöopathie ist, dass das Medikament beim Gesunden ein klar definiertes Arzneimittelbild hervorruft. Bei meinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg sehe ich gerne Herden von Kühen, die auf großen Weiden gemütlich in ihrer Herde und mit ihren Kälbchen grasen. Sie sind also materiell, sozial und emotional gesund. Ich schlage daher vor, etwa 200 Kühe, die ohnehin nummeriert sind, nach einem Zufallsverfahren in zwei Gruppen einzuteilen. 100 Kühe erhalten ein Hochpotenzmedikament, 100 ein Placebo. Hierbei ist auf die Vermeidung eines häufig begangenen Fehlers zu achten: Das Placebo zu Belladonna D30 ist nicht reines Lösungsmittel, sondern Lösungsmittel D30, da beim Potenzieren Inhaltsstoffe der Luft und herausgelöste Bestandteile des Schüttelgefäßes in das Medikament gelangen. Die Kosten des Experiments liegen im Prozentbereich anderer wissenschaftlicher Forschungen. Ein homöopathischer Tierarzt, der die Gruppeneinteilung nicht kennt, hat dann nach einer selbstgewählten Frist festzustellen, welche Kühe ein Arzneimittelbild zeigen und welche nicht. Gelingt der Versuch, ist seine Bedeutung für die Medizin zu vergleichen mit der Entdeckung Robert Kochs, dass viele Krankheiten durch Bakterien verursacht werden, und für die Physik mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen. Bei positivem Ausgang könnte das Experiment Nobelpreise und Wirtschaftserfolge nach Deutschland bringen - mit einem Aufwand, der knapp dem einer Diplomarbeit entspricht. Man braucht gar nicht das extrem komplexe Phänomen der Homöopathie (Heilung nach dem Simileprinzip) zu prüfen. Für die Nobelpreise reicht schon der Nachweis der notwendigen Voraussetzung: der Wirksamkeit eines Medikaments jenseits der Avogadrogrenze." (Dieser Vorschlag wurde erstmals formuliert im Editorial der Fachzeitschrift Laborjournal vom 19. April 2005. Bis heute hat kein Homöopath ihn aufgegriffen.) |
Dennoch bleibt es zunächst einmal eine bloße Vermutung der GWUP, dass die Charité-Professur eben dies nicht tun wird, sondern aus fadenscheinigen Gründen schwächere Methoden verwendet.
Sollte sich der neue Lehrstuhl an der Charité an wissenschaftliche Standards halten, ziehen wir unsere Kritik sofort zurück.
Aber selbst gesetzt den Fall, den ich hier nicht sehe, es gäbe tatsächlich ein Heilverfahren, bei dem kontrollierte, randomisierte Doppelblindstudien oder eine vergleichbare wissenschaftliche Methode nicht praktikabel sind - dann hieße das doch, dass die Bewertung allein der subjektiven Einschätzung von Arzt und Patient obliegt. Somit könnte man überhaupt nichts Objektives mehr über die Methode sagen, sie läge außerhalb der medizinischen und sonstigen Wissenschaft. Und damit auch außerhalb der Zuständigkeit einer Universität.
Übrigens handelt es sich bei dem neuen Charité-Lehrstuhl gar nicht um die erste Professur in Deutschland, die sich mit Komplementär- und Alternativmedizin beschäftigt. In Rostock etwa hat Prof. Karin Kraft den Lehrstuhl für Naturheilkunde inne. Sie gehört auch zu den Autoren eines „Kursbuchs Naturheilverfahren" der Bundesärztekammer, in dem neben etablierten Methoden der so genannten Schulmedizin auch zahlreiche alternativmedizinische Verfahren aufgeführt sind, in denen Ärzte sich fortbilden können.
Frau Prof. Kraft publiziert regelmäßig zu solchen Verfahren und ist auch in Organisationen und Gremien wie der International Society of Complementary Medicine Research und der Ärztegesellschaft für Erfahrungsheilkunde aktiv.
Und?
Es ist festzuhalten, dass Prof. Kraft die Interessen der Alternativmedizin umfassend und engagiert vertritt, beispielsweise auch als Mitglied verschiedener Kommissionen am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Kritische Töne oder neue beweiskräftige Erkenntnisse zur CAM waren und sind von ihr jedoch nicht zu vernehmen. Wenn dies an einer Universität möglich ist, die wesentlich aus öffentlichen Geldern finanziert wird, was dürfen wir dann erst von einer Professur erwarten, welche die Veronica-Carstens-Stiftung bezahlt?
Deren langfristiges Ziel nach eigenen Angaben „die Integration der Naturheilverfahren in Forschung und Lehre der Hochschulmedizin" ist.
Die Carstens-Stiftung bezeichnet sich selbst als die führende Wissenschaftsorganisation für Naturheilkunde und Homöopathie in Europa. Dabei müsste eigentlich jedem Arzt aufgrund seiner akademischen Ausbildung bekannt sein, dass Homöopathika aus physikalischen Gründen nicht wirksam sein können. Das gilt auch für viele andere alternativmedizinische Verfahren.
Viele Patienten wünschen statt langwieriger Behandlungen „Gesundheit aus der Arzneiflasche". Nicht nur die Alternativmedizin schürt solche illusorischen Hoffnungen. |
Die Tatsache, dass die Prinzipien der Homöopathie mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften unvereinbar sind, ist gewiss ein guter Grund, skeptisch zu sein. Für die Beurteilung entscheidend ist aber die Wirkung in der Praxis - und viele Ärzte wenden Alternativ- und Komplementärmedizin an.
Das könnte einmal an der in der Ärzteschaft fest verankerten - und meines Erachtens nach zu weit gefassten - Definition der Therapiefreiheit liegen, die da verkürzt lautet: Jeder kann machen, was er für richtig hält, Hauptsache, es hilft. Anscheinend wird das Nebeneinander von evidenzbasierter Medizin und Komplementär-/Alternativmedizin von vielen Kolleginnen und Kollegen so ähnlich gesehen wie beispielsweise zwei Therapieoptionen bei der Behandlung eines kranken Kniegelenks: Man kann a) operieren oder b) konservativ vorgehen, also mit Medikamenten und Physiotherapie. Bei anderen Beschwerden gibt es meist auch noch mehr als zwei Möglichkeiten. Welche Option die bessere ist, ist oft nicht von Vorneherein zu sagen. Also folgert der Behandler hinterher aus dem Heilungsverlauf, dass es so richtig oder falsch war. Diesen Gedankengang scheinen manche Ärzte auch auf das Verhältnis von EbM und CAM zu übertragen.
Aber auch diejenigen, die nichts von CAM halten, wenden sich zumindest nicht aktiv und öffentlich dagegen.
Nein, denn meiner Erfahrung nach wird sachliche Kritik an Alternativmedizin oder gar ihre Ablehnung von den Anwendern sogleich als Intoleranz missdeutet (siehe z.B. www.psychophysik.de; dazu auch www.netzeitung.de/gesundheit/1074077.html). Das wiederum führt bei den Kritikern dazu, dass auch überprüfbare Tatsachenbehauptungen einfach hingenommen und wissenschaftliche Sachdiskussionen gemieden werden - und dieses Schweigen dann irgendwann mit „Meinungsfreiheit" und „Toleranz" verwechselt wird. Kein Arzt möchte schließlich Kollegen gegenüber als intolerant erscheinen und unterlässt deshalb meist jedwede kritische Anmerkung.
Wie das Verhältnis zum Arzt die Genesung beeinflusst, ist noch wenig erforscht. |
Warum auch nicht? Hat nicht Recht, wer heilt?
Dieser Satz gilt tatsächlich bei vielen Kollegen wie Patienten uneingeschränkt. Aber was genau bedeutet er denn? Wenn jemand während einer - wissenschaftlich nicht belegten - alternativmedizinischen Behandlungen gesundet, sehen Arzt und Patient das als Behandlungserfolg an. Diese Schlussfolgerung wird natürlich auch in der EbM gezogen, nur mit dem Unterschied, dass hier eine geprüfte Methode angewandt wurde, deren grundsätzliche Eignung bereits vor der Behandlung bekannt war. Offenbar tappen viele Ärzte hier in eine gedankliche Falle, indem sie diese Situationen gleichsetzen.
Dr. Werner Hessel ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin in Beeskow und in verschiedenen Funktionen ehrenamtlich für die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Brandenburg tätig. Er ist Mitglied der GWUP. |
Und das darf man nicht?
Die Kollegen übersehen dabei - wie wohl auch ihre Patienten -, dass sich aus der zeitlichen Abfolge von Behandlung und Genesung keine Schlussfolgerung über die Wirksamkeit ableiten lässt. Episodische Behandlungserfolge und Einzelfallbeobachtungen können allenfalls Anregungen zu einer wissenschaftlichen Klärung einer Hypothese geben, aber nichts beweisen. Viel zu viele andere Variablen beeinflussen einen Krankheits- und Heilungsverlauf, als dass man aus solchen Einzelfällen Verallgemeinerungen ableiten könnte. Nichtsdestotrotz sind auch eigentlich kritische Ärzte mitunter beeindruckt vom Behandlungserfolg. Und schweigen dann künftig bei Diskussionen um Alternativmedizin.
CAM-Anhänger haben bei einer Demonstration in Brüssel gefordert, dass das Prinzip „Wer heilt, hat Recht" stärker an Bedeutung gewinnen müsse.
Seltsam, dass man die „Bedeutung" der Alternativmedizin herbeidemonstrieren muss. Der emeritierte Physikprofessor Martin Lambeck, Mitglied im Wissenschaftsrat der GWUP, pflegt zu sagen: Wenn die Behauptungen der Alternativmediziner nachweislich stimmen würden, wären vorsichtig geschätzt 13 Nobelpreise in den Kategorien Physik, Chemie und Biologie fällig (siehe dazu auch Kasten "Wie kann man Homöopathie testen"). Unbegreiflich, warum die CAM-Verfechter so bescheiden sind und noch nie ihre Ansprüche darauf geltend gemacht haben.
Es drängt sich zwangsläufig der Eindruck auf, dass wissenschaftlich begründete Medizin und Alternativmedizin zwei verschiedene Welten sind.
Das sehe ich in der Tat genau so. Alternativmedizin schafft sich eine Parallelwelt, in der die Naturgesetze keine Gültigkeit haben, und immunisiert sich gegen Nachprüfung durch Exklusivitätsbehauptungen wie „ganzheitlich" oder „nur individuell erfahrbar". Oder auch durch Verweise auf nicht hinterfragbare Autoritäten oder gar Transzendentes - wie etwa die „Akasha-Chronik", ein angeblich immaterielles, allumfassendes Weltgedächtnis, worin der Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, gelesen haben will.
Apropos ganzheitlich: Was ist denn schlecht daran, einen Patienten als Ganzes zu betrachten, wenn es um Heilung geht?
Überhaupt nichts. Auch die EbM sieht den Menschen als Einheit aus psychisch-sozialem und biologischem Wesen und behandelt somit „ganzheitlich" - allerdings ohne daraus ein besonderes Etikett zu machen und als etwas Exklusives vor sich herzutragen.
Aber „Rezeptblockmedizin" gibt es doch wirklich in vielen Arztpraxen.
Natürlich, in unserem medizinischen Versorgungssystem wird viel zu wenig Wert auf eine ausführliche Anamnese mit ausführlichen Patientengesprächen gelegt - und die CAM stilisiert sich mit dem Etikett „Ganzheitlich" bewusst als Alternative zu schlecht praktizierter Schulmedizin. Die Frage bleibt aber: Ist es redlich, überwindbare Fehler der evidenzbasierten Medizin zu deren Wesen zu erklären und daraus die Überlegenheit der eigenen Methode abzuleiten?
Man könnte also sagen, dass Alternativmedizin sich von bestimmten Schwächen der Schulmedizin nährt, ohne etwas grundlegend Besseres anbieten zu können?
Ja, denn wenn Alternativmediziner von „ganzheitlich" sprechen, meinen sie eben nicht nur den Menschen als Einheit, sondern zugleich auch Methoden und Verfahren, für die es keinen Wirksamkeitsnachweis - ja nicht einmal ein plausibles Wirkprinzip - gibt. Und die den anerkannten Grundsätzen der modernen Naturwissenschaften widersprechen.
Die Erfolge der Komplementär- und Alternativmedizin sind nach Ansicht der Kritiker auf eine Art Suggestion zurückzuführen. Wieso schafft es unsere moderne High-Tech-Medizin nicht, so viel Suggestivkraft zu entwickeln?
Zunächst einmal behauptet die evidenzbasierte Medizin nicht, dass die Dinge einfach seien - es gibt hier keine simplen Antworten auf komplexe Fragen und Problemstellungen, wie die Esoterik im Allgemeinen und die Alternativmedizin im Besonderen sie stets parat haben. Viele Patienten wünschen sich 100-prozentige Sicherheit, wenn es um diagnostische oder therapeutische Verfahren geht. Das aber können Ärzte gar nicht leisten, weil sie bei all ihren Erwägungen mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten und auch Risiken und unerwünschte Wirkungen mit einbeziehen müssen. Außerdem weiß wissenschaftsbasierte Medizin um ihre Beschränkungen, während CAM nicht selten grenzenlose Verheißungen macht. Auf Beweismaterial gestützte Heilkunde ist dagegen ehrlich, bedient damit aber nicht das technizistische Machbarkeitsdenken vieler Patienten.
Die Vorstellung also, dass auch Gesundheit „herstellbar" ist.
In meiner Praxis erlebe ich recht häufig, dass ein Patient „sofort" von seiner Erkältung befreit werden möchte, weil er einen wichtigen Termin hat oder ähnliches. Er oder sie ist dann sehr erstaunt zu hören, dass das nicht möglich ist. Wir können zwar zum Mond fliegen, aber bis heute einen Schnupfen nicht wirksam behandeln - diese Tatsache wird als eklatanter Widerspruch empfunden und ist anscheinend nicht leicht auszuhalten. Umso mehr natürlich, wenn es um wirklich schwere oder unheilbare Krankheiten geht.
Ist dieses Machbarkeitsdenken nicht ebenso in der Schulmedizin verankert?
Das ist richtig. Machbarkeitsansprüche werden auch von unseriösen Vertretern der EbM gefördert, etwa mit aufgebauschten Behandlungserfolgen und dem Verschweigen unerwünschter Ergebnisse. Auch Teile der Pharmaindustrie mit ihrer nicht immer durchschaubaren Produktvermarktung und der gezielten Fehlinterpretation von Studien spielen dabei eine unrühmliche Rolle.
Da solche Praktiken durch die Medien inzwischen öffentlich bekannt sind, stehen auch viele kritische und hochgebildete Bürger der „Schulmedizin" skeptisch gegenüber.
Was sagen Sie Patienten mit solchen Vorbehalten?
Trotz aller Skandale und Fehler im System bleibt festzuhalten, dass die wissenschaftsbasierte Medizin Methoden verwirft, wenn sich herausstellt, dass diese Schaden anrichten können, oder wenn der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit fehlt. EbM ist also ständig in Bewegung und erklärt nichts für endgültig oder abgeschlossen.
Etwas Ähnliches klingt doch auch in dem Standardargument der Esoterik an: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt."
Nein, ich sehe hier nichts Ähnliches - sondern nur einen grandiosen logischen Fehlschluss: Aus dem unbestreitbar richtigen Hamlet-Zitat folgern Alternativmediziner schlicht, dass alles wahr ist, was wahr sein könnte.
Bei der Verarbeitung zum homöopathischen Arzneimittel werden Substanzen oft so stark verdünnt, dass davon in einer Dosis kein Molekül mehr enthalten ist. |
Nicht zuletzt aufgrund solcher Behauptungen ist CAM aber unzweifelhaft ein ausgezeichneter Träger des Placebo-Effekts, der auch in der geprüften Medizin zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ist das nicht an und für sich genommen positiv zu bewerten?
Nicht unbedingt, und das gleich aus mehreren Gründen. Einmal geht es um Aufrichtigkeit und Vertrauen, gerade in der sensiblen Arzt-Patienten-Beziehung: Wer eine unsinnige respektive naturwissenschaftlich unmögliche Methode einsetzt, um Placebo-Effekte zu erzielen, betrügt aus meiner Sicht den Patienten, auch wenn er Gutes anstrebt. Außerdem geht die Heilwirkung wissenschaftsmedizinisch bewährter Verfahren über Placebo-Effekte hinaus.
Und nicht zuletzt bin ich der Überzeugung, dass der Patient die Möglichkeit haben muss, sich umfassend selbst über die Therapie zu informieren. Das kann er aber nur, wenn er das Verfahren durchschaut und versteht - was bei der CAM schwierig ist, allein schon wegen des sogenannten Binnenkonsenses.
Darunter versteht man die seltsame Tatsache, dass im Bereich der „besonderen Therapierichtungen" die Anwender selbst über die Wirksamkeit ihrer Mittel und Verfahren entscheiden dürfen und keinerlei wissenschaftlich belegten Nachweis zur Wirksamkeit erbringen müssen.
Wenn man so will, handelt es sich also auch um eine Form der Demokratieerhaltung, wenn ich als Arzt nur geprüfte Medizin anwende, weil nur diese ihre Methoden transparent und für jedermann nachvollziehbar und erklärbar macht. Transparenz ist ja ein wichtiger Grundsatz der Demokratie: Nur der gut informierte Bürger kann sich eine Meinung bilden und sie in den demokratischen Prozess der Willensbildung einbringen.
Kommen wir nochmal auf den Placebo-Effekt zurück.
Der wichtigste Grund ist: Wir brauchen keine alternativmedizinischen Methoden, um den Placebo-Effekt zu aktivieren. Es ist inzwischen gut belegt, dass die evidenzbasierte Medizin Placebo-Effekte sogar bis hin zu ganz spezifischen Wirkungsweisen von Medikamenten erzielt, etwa bei Parkinson. Man weiß auch, dass die Wirkung von Antidepressiva etwa zur Hälfte auf dem Placebo-Effekt beruht.
Aber angenommen, es würde wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass man bei bestimmten Erkrankungen zehn Prozent mehr Patienten heilen kann, wenn man irgendeinen Unsinn zur Heilmethode erklärt - wäre das für die GWUP dennoch nicht akzeptabel?
Nein, denn der Placebo-Effekt der Unsinns-Behandlung ist immer untrennbar gekoppelt mit seinem negativen Gegenspieler, dem Nocebo-Effekt - und der geht zu Lasten der evidenzbasierten Medizin. Er kann die Wirkung wissenschaftlich bewährter Heilverfahren und Medikamente empfindlich schwächen, etwa wenn der Patient Angst hat vor der „schädlichen Chemie", die darin enthalten sei, oder wenn er dem Arzt, bewusst oder unbewusst, misstraut.
Nun ist Placebomedizin mehr als die reine Absichtserklärung, heilen zu wollen - sie muss für den Patienten auch suggestiv einsichtig sein, also in einer Sprache erfolgen, die der Organismus verstehen kann. Können Sie sich ein Therapiekonzept vorstellen, mit dem man das Potenzial der Placebo- und Suggestivmedizin ausschöpfen kann, ohne den Boden von Wissenschaft und Wahrhaftigkeit zu verlassen?
Auf jeden Fall. Placebo-Effekte sollten viel mehr als bisher erforscht und praktisch angewendet werden. Das geht mit Sicherheit auch in der EbM. Ich glaube, da stehen wir erst am Anfang. Allerdings sollte es aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit darum gehen, Placebo-Effekte zu optimieren, ohne geistige Umweltverschmutzung zu betreiben und die Patienten zu verdummen. Vor allem die praktischen Erfahrungen von Psychologen und „Schulmedizinern" sollten hier hilfreich sein.
Eine Auswahl von guten Doppelblindstudien mit schlechten Ergebnissen für die Homöopathie:Altung, U. et al.(2007): Homeopathy for childhood and adolescence ailments: systematic review of randomized clinical trials. Mayo Clinic Proc. 82 (1): 69-75. |
Was würde umgekehrt die CAM denn aufgeben, wenn sie luftige Thesen und Phantasiebegriffe wie „geistartige Kräfte", „Lebensenergie" und ähnliches ad acta legen und sich stattdessen allein auf ihre positiven Aspekte wie Zuwendung, Nähe, Anteilnahme et cetera konzentrieren würde?
Dann verlöre sie ihren Namen und ihre Daseinsberechtigung und ginge in der geprüften Medizin auf. Ohne diese verquaste Begrifflichkeit und ohne solche kuriosen Denkmodelle hätte Altenativmedizin ja gar keine Verheißungen mehr, mit denen sie sich von der wissenschaftsbasierten Medizin abheben könnte.
Warum sind Sie als niedergelassener Arzt so engagiert gegen Alternativ-und Komplementärmedizin eingestellt? Gibt es dafür noch weitere Gründe, über die wir nicht gesprochen haben?
Einige, ja.
Zum Beispiel?
Die CAM sieht sich gerne als „sanfte" Medizin, weil sie nebenwirkungsarm bis nebenwirkungsfrei sei - Kritiker meinen übrigens, dass schon allein dadurch die angebliche Wirkung äußerst fraglich ist, aber das nur nebenbei. Was mich als Arzt an dieser „sanften" Medizin stört, ist die Tatsache, dass deren Vertreter praktisch eine Patientenselektion vornehmen: Als Gegenstand ihrer Methoden wählen sie üblicherweise leichte oder chronische Krankheitsbilder, wo Erfolge einfach zu erzielen sind beziehungsweise sich sogar ganz von selbst einstellen. Zum Beispiel deswegen, weil chronische Erkrankungen häufig ungleichmäßig verlaufen, was es einfacher macht, Zeiten zu finden, in denen die Behandlung zu helfen scheint. Das schafft natürlich Vertrauen, während alles Schwierige an die wissenschaftsbasierte Medizin verwiesen wird - die gegebenenfalls auch daran scheitert.
Umgekehrt gibt es den vermutlich nicht seltenen Fall, dass Schwerkranke sich der Alternativ- und Komplementärmedizin zuwenden, die dann als „rettender Strohhalm" gilt.
Was sie natürlich nicht ist. Die CAM kann weder den Krankheitsverlauf entscheidend beeinflussen noch das Leben verlängern - stattdessen geht es vage um eine angebliche „Verbesserung der Lebensqualität". Natürlich ist es menschlich nur allzu verständlich und völlig legitim, dass Schwerstkranke und Sterbende alles versuchen, was vielleicht Rettung oder Linderung verspricht. Dennoch: Gerade in solchen Fällen, bei Patienten, die für palliativmedizinische Methoden geeignet sein könnten, halte ich es in hohem Maße für unethisch, Verfahren anzubieten, deren Wirkmechanismus unplausibel, deren Wirksamkeit nicht bewiesen oder wo ein Wirknachweis nur schwer zu führen ist.
Bei den eben angeführten leichteren Fällen könnte man immerhin noch sagen: Solange der Patient die Kosten dafür trägt, kann er machen, was er will.
Ja, auch das scheint mir ein Punkt zu sein, der eng mit den „Erfolgen" der Außenseitermedizin verknüpft ist. Schließlich muss CAM meistens von den Patienten selbst bezahlt werden. Diese Kosten will man selbstverständlich nicht umsonst gehabt haben. So wird der Gesundungswille gefördert, der stark von der Höhe dieser Kosten beeinflusst wird.
Womit wir wieder beim Placebo-Effekt wären. Könnte der oft geforderte „Diskurs auf gleicher Augenhöhe" zwischen Schulmedizin und CAM beziehungsweise eine „Kooperation" oder gar „Integration" möglicherweise auf Basis der von Ihnen angesprochenen Placebo-Forschung zustande kommen?
Theoretisch ja. Nur ist nicht abzusehen, dass sich das Methodeninventar und speziell die Berufung auf die Grundlagen so angleichen ließe, dass damit ein gemeinsames Vorgehen ermöglich würde.
Für mich bleibt der Dreh- und Angelpunkt die konsequente Anwendung der wissenschaftlichen Methodik der evidenzbasierten Medizin, die streng unterscheidet, ob die Heilwirkung einer Methode über die Wirkung einer Scheinbehandlung hinausgeht oder nicht. Im letzteren Fall gilt die Behandlung als unwirksam, obwohl die Placebo-Effekte - bei der Homöopathie zum Beispiel die Gesamtheit der Arzt-Patienten-Beziehung, die Repertorisierung, die Public Relations et cetera - dabei eine heilende Wirkung haben können.
Die meisten Homöopathen behaupten aber, homöopathische Mittel wirken „wirklich".
Das ist falsch. Die Arznei hat keinerlei Anteil. Entgegen der Behauptung der Homöopathie-Vertreter kann jede Art von homöopathischer Behandlung mit doppelter Verblindung getestet werden, wie schon eingangs erklärt (Schuck et al. 2001; Wolf 2006a). Gute Doppelblindstudien zeigen tendenziell schlechte Ergebnisse für die Homöopathie. (Fisher, Scott 2001; Walach et al. 2001; Ernst 2002; Lewith et al. 2002; White et al. 2003; Shang et al. 2005; Altuncetal.2007).
Das klingt nach dem wissenschaftlichen Todesurteil für die Homöopathie.
Es sei denn, die beiden letzten Punkte würden experimentell glaubwürdig widerlegt. Da dies bisher noch nie gelungen ist, besteht der sinnvolle Aspekt aktueller Forschungsprojekte zur Homöopathie allein darin, herauszufinden, wie sich Placebo-Effekte wirksam optimieren lassen. Das wären Erkenntnisse, die auch für die Wissenschaftsmedizin von großer Bedeutung sind.
Die Erwartungen der Carstens-Stiftung an den Berliner Lehrstuhl werden da wohl andere sein.
Ja, obwohl die Lehrstuhlinhaberin Frau Prof. Claudia Witt das oben Gesagte schon selbst herausgefunden hat, weswegen sie und andere sich auf „Kontexteffekte" zurückzuziehen diese aber unverdrossen der Homöopathie zurechnen.
Aus Sicht der GWUP gibt es für viele Verfahren, die sich unter „Alternativ- und Komplementärmedizin" tummeln, nichts mehr zu erforschen. Die naturwissenschaftlichen Akten könnten längst geschlossen werden. Interessant ist höchstens noch die historische beziehungsweise die psychologische/soziologische Dimension.
Kurz gesagt: Unmögliche Dinge muss man nicht erklären. Sondern darüber aufklären, dass und warum sie unmöglich sind.
Interview: Bernd Harder
Der Artikel erschien im Skeptiker 3/2008.
Literatur
Altunc, U. et al.(2007): Homeopathy for childhood and adolescence ailments: systematic review of randomized clinical trials. Mayo Clinic Proc. 82(1): 69-75.
Ärztliche Praxis Prävention (2008): Nadelstiche an der Uni. S. 8-11
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